Cover des Buches Das letzte Sandkorn (ISBN: 9783943795523)
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Rezension zu Das letzte Sandkorn von Bernhard Giersche

Dystopie der anderen Art

von burnedeyez vor 10 Jahren

Rezension

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burnedeyezvor 10 Jahren

“Das letzte Sandkorn” von Bernhard Giersche ist eines dieser Bücher, die man auf diversen Plattformen in höchsten Tönen lobt. Das ist prinzipiell ja gut, auf der anderen Seite aber auch mitunter schon schwer verdächtig und fordert enttäuschte Erwartungen geradezu heraus. Dank einer Leserunde auf Lovelybooks bestand nun also die Chance, sich selbst von den Qualitäten des Romans zu überzeugen.

Ruhigen Gewissens kann ich aber gleich von Anfang an Entwarnung geben: zwar gehe ich nicht mit den vielen Meinungen konform, die “Das letzte Sandkorn” mitunter als das beste Buch des Jahres titulieren, ich kann aber auf der anderen Seite auch nicht sagen, dass es eine maßlose Enttäuschung gewesen wäre, eher im Gegenteil: das Buch hat sich, besonders hinsichtlich meiner eher vorsichtigen Herangehensweise, als erstaunlich gut erwiesen. Giersche gelingt es vom Start weg, den Leser mit einem konstanten Spannungsbogen einzufangen, der ihn auch bis zum Ende der Geschichte nicht mehr los lässt. Kleinere Einbrüche fand haben sich für mich dabei lediglich in den Kapiteln mi der Figur Evelyn eingestellt, welche für mich mitunter etwas wie “Füllmaterial” wirkten, auch wenn der Charakter am Ende schon eine nicht unwichtige Rolle eingenommen hat. Er verzichtet dabei auf großes Geplänkel und lässt die Apokalypse, beziehungsweise das, was die Menschen aus dieser göttlichen Ansage machen, direkt los. Dabei entsteht eine sehr gute und dichte Atmosphäre, die sehr niederschmetternd erscheint, dabei aber nicht darauf verzichtet, mit einer ganz bestimmten Figur auch immer wieder so etwas wie Hoffnung auszustrahlen. Wer den Film “Children of Men” kennt, wird sicherlich nach dem Lesen des Buches mit mir konform gehen. “Das letzte Sandkorn” verfolgt dabei diverse Handlungsstränge, die sich zwar auf den ersten Blick offensichtlich alle in komplett unterschiedliche Richtungen bewegen, dabei aber im Finale zusammenlaufen und unter dem Strich ein rundes Gesamtbild ergeben. Interessant auch der Wechsel zwischen der Ich-Perspektive der Figur Adam (welche ich aber dennoch nicht als den Hauptcharakter ansehen würde) und der dritten Person, in welcher die anderen Fäden verfolgt werden. Besonders das Ende des Romans ist dabei im Speziellen erwähnenswert: es fällt in die Kategorie “Packend” und wird den Leser vermutlich auch noch einige Zeit über das Beenden der Lektüre hinaus beschäftigen. Es wirft Fragen auf, zwingt den Leser, sich mit der Situation und der Geschichte auseinander zu setzen. In diesem Punkt hat Giersche also definitiv einen Volltreffer gelandet.

Die Charaktere sind, wie aus dem bisherigen Text wohl ersichtlich werden dürfte, ohnehin das, was “Das letzte Sandkorn” ausmachen. Bernhard Giersche hat hier unterschiedlichste Figuren mit völlig unterschiedlichen Hintergründen geschaffen, die durch die Bank authentisch wirken und dabei in ihren Handlungsweisen, zumindest soweit es einem Leser, der wohl nie in eine solche Situation kommen wird, dabei immer glaubwürdig und nachvollziehbar. Sie alle haben ganz unterschiedliche Motivationen, ganz unterschiedliche Hintergründe und sind dabei erfreulich klischeefrei. Wie oben schon erwähnt bildet hier einzig Evelyn eine Ausnahme, mit der ich bis zum Schluss nicht warm geworden bin, auch wenn sie am Ende eben einen gewissen Anteil an der Nachdenklichkeit trägt, mit der der Autor den Leser zurück lässt. Ich denke jedoch, dass er das auch anders, wie zum Beispiel etwas ausführlicher mit Agnes hätte lösen können, ohne dabei die Spannungseinbrüche in der Geschichte hinnehmen zu müssen. Alle anderen werden jedoch sehr schön in ein Wechselspiel aus unterschiedlichsten Emotionen eingebunden.

Stilistisch kann man nichts gegen Giersche sagen. Er hat eine sehr bildliche Art, seine Apokalypsenvision zu beschreiben, die dem Leser das Geschehen sehr grafisch in die Synapsen brennt. Er schreibt anspruchsvoll, jedoch nicht hochgestochen oder ausschweifend, bleibt dabei jedoch zu jeder Zeit gut zugänglich. Eigentlich also ein gesunder Lesefluss…

… wären da nicht die Korrektoratsfehler, die sich in der Erstauflage des Romans noch recht häufig finden. Das geht über fehlende Buchstaben, kleine grammatikalische Fehler oder falsch platzierte Absätze. Während die ersten Punkte noch relativ problemlos zu überlesen waren, kam ich während der Lektüre speziell bei letzterem doch öfters mal ins stocken, was natürlich schon ärgerlich ist. Da die Kommunikation in der Leserunde jedoch sehr offen und von der Leber weg erfolgte und auch Autor Bernhard Giersche hier sehr aktiv und sympathisch dabei war und glaubhaft versichern konnte, dass diese Fehler in der zweiten Auflage behoben worden sind, möchte ich diesen Punkt hier nicht überbewerten, sondern dem interessierten Leser, welcher sich an so etwas jedoch stört, nahelegen, auf die zweite Auflage zu warten.

Fazit:

“Das letzte Sandkorn” ist für mich eindeutig nicht das beste Buch des Jahres, hierfür finden sich in der Erstauflage noch zu viele Lektoratsfehler und kleinere Spannungseinbrüche. Der Roman ist jedoch davon ab eine runde und gelungene Sache mit toll ausgearbeiteten und glaubwürdigen Charakteren. Zumeist spannend, atmosphärisch dicht und vor allem mit einem Ende, welches vermutlich von jedem Leser etwas anders interpretiert wird und dafür sorgen dürfte, dass man sich auch nachdem man das Buch zur Seite gelegt hat noch mit “Das letzte Sandkorn” beschäftigt.

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