Cover des Buches Opferland (ISBN: 9783570402481)
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Rezension zu Opferland von Bettina Obrecht

Einmal Opfer, immer Opfer... Gibt es noch ein normales Leben danach?

von Floh vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Hier werden Augen geöffnet. Ein wertvolles Buch in wichtiger Mission. Sollte Schullektüre werden!!!

Rezension

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Flohvor 9 Jahren
OPFERLAND. Ist Deutschland ein Opferland? Sind deutsche Schulen ein Opferland? Bieten die sozialen Netzwerke die ideale Plattform um ein neues Opferland zu schaffen? Und wer einmal dort im Opferland gefangen ist, der wird es niemals verlassen können... nicht mehr als gesunde und lebensfrohe Seele. In ihrem Jugendbuch "Opferland" spricht die Autorin Bettina Obrecht ein wichtiges und ruinöses Thema offen, ehrlich und schonungslos an. Dieses Buch geht zu Herzen, öffnet Augen und erweckt den Wunsch zu Helfen und zu reagieren. Ich würde diese Lektüre jedem Lehrer, allen Eltern und vor allem den Schulklassen ans Herz legen. Ein Buch in wichtiger und richtiger Mission!
Erschienen im cbj Verlag (http://www.randomhouse.de/cbj/)

Klapptext / Inhalt:
"Wenn die Schule zur Hölle wird ...
... Jahrelang wurde Cedric gemobbt, mehrere Schulwechsel hat er hinter sich. Doch jetzt besucht er eine entfernte Stadtschule, hier kennt ihn niemand, hier scheint ein Neuanfang möglich. Dafür nimmt Cedric sogar die Trennung von seiner Familie in Kauf. Doch als der Schul- Liebling Lars ihn zum Spaß »Opfer« nennt, brennen bei Cedric die Sicherungen durch und die Vergangenheit holt ihn ein - gnadenlos. Nur die zurückhaltende Sinja hält noch zu ihm. Werden die beiden es schaffen, dem »Opferland« endlich zu entfliehen?"

Handlung:
Ein einziges verletzendes Wort ist noch kein Mobbing, doch was geschieht, wenn diese verletzenden, verhetzenden und immer krasser werdenden Worte zur Gewohnheit werden? Wenn sie nicht mehr nur von einem einzelnen Initiator kommen? Wenn ganze Mitläufer zu Hetzern werden? Wenn diese Worte zu Taten werden? Wenn nicht mehr Angesicht zu Angesicht gefechtet wird? Wenn diese systematische Pein online in der Cyberwelt stattfindet? Wenn sich das Opfer nicht mehr wehren kann? Wenn es allein ist? Und auch die Lehrerschaft nur Probleme in diesem einen Schüler in der "Opferrolle" sieht? ...Was dann? Hier erleben wir genau dieses schicksalhafte Los, Genau diese eine Verkettung von Folgen, ein Ausmaß an unerträglichen Botschaften, eine wahnsinns Story basierend auf Mobbingattacken, wie es sie an unseren Schulen mehr als nur als Dunkelziffer gibt. Aber zurück zu Anfang:
Wir lernen einen Jungen kennen, Cedric, der seine Geschichte im Heute schildert und uns in Rückblenden mitnimmt, wie und warum sein Leben so geworden ist, wie es heute ist. Und ob man noch von einem Leben sprechen kann.
Cedric hat genau das erlebt, was an vielen Schulen heute zum Alltag gehört. Aber der Wahnsinn hört mit Schulschluss nicht auf, denn die neuen Medien und sozialen Netzwerke bieten genau den passenden Raum, die systematische Zerstörung eines einzelnen auserkorenen Opfers auch in der Freizeit noch voran zu treiben. Ein Mob von Anhängern lässt diese Gruppe stark werden und zerstört in Windeseile das junge und eigendlich unbeschwerte Leben eines jugen Schülers.
In diesem Buch wird die ganze Geschichte glasklar und schonungslos wiedergegeben. Wir erleben die Eltern, die Familie, die Lehrer und das Schulsystem im Umgang und der eigentlichen Pflicht zu handeln. Doch dass, was hier von den Lehrern an Hilfe kommt, hat mich wirklich sehr entsetzt. Ist das Opfer nicht selbst schuld?
Und diese Frage stellt man sich wirklich, wenn man beobachtet, wie sich Cedrics Verhalten trotz Schulwechsel kaum ändert, sonder eher verschlimmert. Der seelische menschliche Verfall.
Dieses Buch, bzw. diese Handlung bewegt, irritiert und bringt viele Botschaften an den Leser. Es lässt Umdenken und zeigt ganz andere Blickwinkel. Die Folgen des Mobbing!

Zum Schreibstil:
Autorin Bettina Obrecht versteht ihr Können. Geschickt greift sie die teils schwierige Gedankenwelt der Jugendlichen auf, sie versetzt sich in die Lage der Teenies und kann somit Jung und Alt gleichermaßen erreichen. Dieses Jugendbuch ist thematisch wahrhaft kein leichter Roman, dennoch ist es ein atembraubendes Buch mit einer sinnvollen und sehr sensiblen Botschaft. Bettina Obrecht versteht ihre Mission und ihre Rolle als Jugendbuchautorin und taucht ehrlich, schonungslos und knallhart in die Realität aus Schule, Freizeit, Familie und Lehrerschaft ein. Autorin Obrecht formt authentische und altersgemäße Dialoge, schreibt unheimlich nah und emotional, gibt Situationen aus dem Jugendlichen Leben wieder, zeigt aber auch einen Schulalltag abseits jedglicher Normalität, zeigt die Tortour eines einzelnen Jungen, der scheinbar das Stigma eines ewigen Opfers trägt. Sie spielt mit den üblichen Gedanken junger Menschen und entwickelt aber auch eine erschütternde Prallelwelt einer einzelnen ruinierten Seele inmitten eines Schulmobs, der auch in der Freizeit kein Halt kennt. Bettina Obrecht bewegt durch gnadenlose Ehrlichkeit, durch Mut und offener Aussprache, sie erschüttert und mahnt durch unheimlich viel Gefühl und Tiefgang. Auch dieses ungeahnte Ausmaß, diese Verkettung von Ereignissen, diese Sinnlosigkeit und Resignation, geht dem Leser sehr nahe und regt zum Nachdenken und ganz wichtig, zum Verstehen an.
Autorin B. Obrecht hat eine Thematik gewählt, die sehr nah und erschütternd geschrieben ist, jedoch auch für ungeahnte Wendung und Richtung sorgt. Sie beschreitet die Welt der jugendlichen Schüler und bringt offen und ehrlich die Probleme und Hindernisse dieser Menschen und Angehörigen an die Leser. Sie beweist Mut mit ihrer Handlung, wirft hier und da immer wieder ein Kopfschütteln auf, erschüttert manchmal sogar und bewegt den Leser sehr zum Sinnieren und Nachdenken. Die Autorin besitzt einen ganz besonders tollen, authentischen, mutigen, gewagten und ungefilterten Schreibstil, die Emotionen, Gedanken und Probleme der nicht alltäglichen Gefühle und Probleme zwischen Protagonist Cedric und seinem Umfeld an den Leser zu bringen. Zu all dem paart sie Gewissensbisse, das Selbstvertrauen, die Beziehung zwischen Hänseln und Mobbing, das eigene Ansehen und den Wunsch nach Rebellion und Ausbruch. Ich mag diese Art des Schreibens und konnte somit ganz nah mit Cedric miterleben, was in diesem bewegenden Buch auf mich wartete. Eine gelungene Gratwanderung, der dem Wunsch Jugendlicher aber auch Erwachsener und hoffentlich auch Lehrern gerecht wird.
Das Schriftbild ist angenehm und die Kapitel nicht allzu lang. Die Dialoge sind knackig, emotional und sehr authentisch dargelegt und können für so manchen Tiefgang sorgen.

Schauplätze:
Hier gibt die Autorin ein tolles Bild aus der ganz normalen alltäglichen (?) Welt des Schulalltags. In diesem bewegenden Roman stehen nicht die Kulissen und Schauplätze im Vordergrund, sondern glaskar die Botschaft und die Handlung des Buches. Bei den Schauplätzen beschränkt sich Bettina Obrecht auf ein Minimum, gibt aber dennoch so viel preis, um ein rundes Bild und eine gelungene Vorstellung zu schaffen, wie sich das Umfeld der Schüler und vor allem von Cedric bewegt und verändert. Autorin B. Obrecht lässt einige wenige Schauplätze dann sogar richtig lebendig werden. Mit vielen dezenten Details schafft die Autorin hier ein buntes Leben aus laut und leise, aus real und virtuell.

Charaktere:
Auch bei der Wahl der Charaktere punktet die Autorin Obrecht. Hier ist nun wirklich jeder Protagonist mit einer wichtigen und weitreichenden Rolle versehen. Unermüdliche Psychogramme wurden hier für einzelne Persönlichkeiten erschaffen. Gerade Cedric, allein durch seine Erzählperspektive und seine fatale Situation, wird hier eine zentrale Rolle einnehmen. Wer in Cedrics zerstörte Psyche blickt, wird den Titel neu interpretieren. Cedric, das ewige Opfer mit dem scheinbar offensichtlichen Stigmata....Ein Opfer im Opferland. Cedric, der eigendlich in seiner jugendlichen Blüte steckt, der das Leben unbeschwert genießen sollte, vielleicht die erste Liebe erleben sollte.....Cedric, dem all das genommen wurde. Der den Sinn des Lebens nicht mehr sieht und beinahe keinen Ausweg mehr kennt. Und das sind nur die Dinge, die Cedrics Charakter im Buch formen. Auch all die anderen Rollen zeichnen ein sehr wichtiges, teil verstörendes Bild im Buch ab. Hier hat die Autorin aus den Vollen geschöpft und Charaktere und Probleme der Jugend geschaffen, die hoffentlich ein absoluter Einzelfall sind, aber in der Realität leider doch mehr als genug zu finden ist. Wenn man genau hinschaut! Eine sehr runde und feine Mischung aus Hauptprotagonisten und wenigen Nebenrollen, verletzten Psychen, gebrochenen Seelen und geschundene Verhältnisse. Gleich zu Beginn ermöglicht die Autorin ihren Lesern ein klares Bild der einzelnen Persönlichkeiten.
Gerade das Seelenleben und die Gedankenwelt von Cedric und seiner Familie kristallisieren sich schnell heraus und lassen den Leser nicht mehr los. Tief und eindringlich werden hier diese Merkmale vorgestellt. Gekoppelt mit einer tragischen Entscheidung und einer dramatischen Tragödie, wirken alle Personen sehr gut geschildert und verkörpern ihren Part im Roman gekonnt.

Meinung:
WOW, was für ein fesselndes und bewegendes Buch. Mit jeder Seite hab ich den Atem mehr angehalten und darauf gewartet das endlich jemand diese Lavine und Verkettung der Ereignisse und Folgen stoppt. Aber nichts dergleichen geschieht.... die Schüler machen immer weiter, gar besessen davon, Cedric zu mobben. Und auch die Lehrer suchen sich den Weg des geringsten Widerstands.
Zuerst möchte ich die vielen versteckten dennoch offensichtlichen Botschaften loben, die die Autorin in diesem Buch sehr gewissenhaft bedacht hat. Hier ist einmal der Umgang mit Gewalt, die Gefahr der Vereinsamung, der Weg durch die Pupertät, der Umgang mit dem Leben und dem Sinn des Lebens, der Umgang und die Verarbeitung von Alltag und Schule, wenn die doch zur Hölle geworden ist, die Eigenverantwortung und der offene Blick, die Gefahren sozialer Netzwerke und Plattformen, die Schwere der Folgen eines solchen Mobs.
Hier hat die Autorin ein ganzen Portfolio an diskutablem Themen verwoben und für Unverständnis und aber auch für Tiefe gesorgt. Bettina Obrecht hat hier sehr genau auf das Ausmass geachtet und ich finde es ist ihr sehr galant und lobenswert gelungen.
Manches wirkte auf mich im Geschehen sehr beklemmend und ich musste beim Lesen häufig meinen Blickwinkel verstellen, das hat mir wirklich gut gefallen. Ein grandioser, aber sehr spezieller Roman. Das Ende kam so, wie es kommen musste. Zwar sehr knapp, aber lässt dem Leser auch Raum für eigene Mutmaßungen.

Die Autorin:
"Bettina Obrecht wurde 1964 in Lörrach geboren und studierte Englisch und Spanisch. Sie arbeitet als Autorin, Übersetzerin und Rundfunkredakteurin und wurde für ihre Kurzprosa und Lyrik mehrfach ausgezeichnet. Seit 1994 schreibt sie Kinder- und Jugendbücher und hat sich seitdem bereits in die 'Garde wichtiger Kinderbuchautorinnen hineingeschrieben' (Eselsohr)."

Zum Cover:
Das Cover passt sehr zum Inhalt des Romans, Die starke Schlange, und das Opfer der Hase. Rund und stimmig, sehr gelungen.

Fazit:
Das Buch lässt mich zurück, mit einem wirklich bewegenden Gefühl im Bauch. Es polarisiert mit leisen Tönen, die laut nachhallen und sehr erschüttern. Dieses Buch sollte gelesen werden, vor allem im Schulunterricht!
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