Cover des Buches Das Büro der einsamen Toten (ISBN: 9783455405286)
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Rezension zu Das Büro der einsamen Toten von Britta Bolt

Frischer „Ermittler-Wind“

von M.Lehmann-Pape vor 9 Jahren

Rezension

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M.Lehmann-Papevor 9 Jahren
Frischer „Ermittler-Wind“

Mit Pieter Posthumus (der Name ist Programm) ist es Britta Bolt gelungen, einen Ermittler vorzustellen, der als eigenständige Größe sich bestens einreiht in die Riege besonderer „Fall-Löser“.

Ein Protagonist, den Bolt interessant differenziert anlegt. Der „modern altmodisch“ oder „altmodisch modern“ in Wesen und Haltung daherkommt, der in sich selbst Reibung trägt mit einander fast widersprechender persönlicher Geschichte.

Einer, der damals zur Amsterdamer Hausbesetzerszene gehörte und dennoch keine Jeans trägt, sondern nur „gute Kleidung“. Einer, der zu Zeiten dem Alkohol intensiv zugesprochen hat (mit Folgen, an deren Last er bis zum heutigen Tag schwer trägt), der aber auf der anderen Seite sehr akribisch und mit einem hohen Gerechtigkeitsgefühl seinen „öffentlichen Dienst“ versieht. Einer, der sich nach Familie schon sehnt, aber lieber eine sehr lose und vage Beziehung führt. Mit einer, mit der schon mal engeres im Raume stand. Mithin einer, der nicht gerne loslässt, der seine inneren Bindungen nicht leugnen kann, egal, wie die Umstände auch anders werden mögen.

Einer, der nicht wegschaut, wenn ihm etwas auffällt, der den Dingen nachgeht.
„Er konnte einfach nicht loslassen. Vor allem nicht in Sachen Korruption“.

Deswegen wurde er abgeschoben in diese merkwürdige Behörde.
„Das Amt für Katastrophenschutz und Bestattungen war eine seltsame Behörde“.

Zuständig vor allem jene Toten in Amsterdam, die vereinsamt gestorben sind. Posthum nimmt sich dieser Fälle an. Regelt die Wohnungsangelegenheiten, die Todesfälle, sucht nach Hinweisen auf Verwandte, kümmert sich um die finanziellen Mittel und organisiert die entsprechende Beerdigung.

Und auch das mit Herz. So kommt er, ganz nebenbei, auf den Gedanken, auch den einsamsten Toten noch ein eigens verfasstes Gedicht mit auf den letzten Weg zu geben.

Ein Mann mit Vergangenheit, mit Herz, mit einem klugen Kopf und einem starken Beharrungsvermögen, wenn ihm etwas auffällt und wichtig wird.

Wie dieses Tattoo an einem der jüngsten Selbstmörder. Ein Tattoo, das ihm keine Ruhe lässt, das ihn unvermittelt in die harte SM-Szene der Stadt führen wird.
Neben dem nächsten Toten, einem jungen Marokkaner, der durch einen Taser getroffen in einer der Grachten ertrunken ist.

Während in einem zweiten Strang der Geschichte der Geheimdienst auf den Spuren des Terrors ist, eine islamistische Zelle verfolgt und dingfest machen will.

Dass all dies zusammenhängt und wie das zusammenhängt, das ist die Geschichte dieses ersten Falles des Pieter Posthumus, in dem Britta Bolt mit leicht wirkender Hand Themen der Gegenwart aufnimmt und diese mit dem Fall eng verknüpft.

Das Leben der Immigranten, das Gefühl der Ungerechtigkeit, in dem, wie man sich behandelt führt einerseits. Die Befremdlichkeit und Angst vor den Gefahren des Terrors und die generellen Verdächtigungen auf der anderen Seite. Die Distanz zwischen der ersten Einwanderergeneration und deren sich radikalisierenden Kindern, die Reibung zwischen Tradition und Moderne innerhalb moslemischer Familien.

Dazu die „neue Form“ der Lebensorganisation (Posthumus selber führt eine „Nicht-Beziehung“ mit gewissen „Extras“) in der modernen westlichen Welt. Inbegriffen die erotisierte „harte Szene“ der Metropole Amsterdam (die nichts mit einem fast lieblichen „Shades of Grey“ zu tun hat. Inklusive des Schmiedens von Ränken um des eigenen Vorteils willen, das im Hintergrund mit lauert. Und nackter, harter Gewalt, deren Auswirkungen von Ferne bis nach Amsterdam reichen werden.

So ergibt sich ein intelligenter Fall, ein Ermittler mit Ecken, Kanten und Brüchen, ein Abbild des aktuellen, modernen Lebens (nicht nur) in Amsterdam und ein Blick auf die moderne Gesellschaft, auf die Veränderung der „Säulen“, wie Posthumus es an einer Stelle nennt.

„Säulen“, auf denen die „getrennte“ Gesellschaft damals beruhte. Und kommen diese „Säulen“ wieder? Voneinander getrennt, aber gleichberechtigt? Oder im Kampf gegeneinander? Driftet alles auseinander und ist die nachbarschaftliche, fast familiäre Sonntagnachmittagsgesellschaft im „Dolle Hund“ nur noch ein Relikt gesellschaftlich verbundener Zeiten?

Interessante Themen, differenziert angelegte Charaktere und ein intelligenter Fall mit ruhiger Spannung. Eine sehr empfehlenswerte, aktuelle und unterhaltsame Lektüre.
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