Cover des Buches Piratenmond (ISBN: 9783453527461)
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Rezension zu Piratenmond von Chris Wooding

Schönwetterganoven im Nebel

von AnnikaLeu vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Überzeugende Darstellung. Allen Chars wird Aufmerksamkeit geschenkt und gegen Ende geht es richtig ab. Macht Lust auf viel mehr!

Rezension

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AnnikaLeuvor 9 Jahren

„Wir starten vor 10 Minuten.“

Immer diese Hektik! Da setzt man sich 'mal eben' hin und denkt sich: Och, das Buch stand auf deiner Wunschliste, könnteste ja mal... und dann is 6 Uhr Morgens durch und du denkst dir: "Spucke und Blut! Das hab' ich nich erwartet." Na gut, so enorm hat mich das Buch jetzt nicht vom Hocker gehauen. Im Direktvergleich mit anderen Piratenabenteuern kann es kaum mithalten. Es geht doch nichts über die Erhabenheit einer echten Fregatte im Gegenzug zu einem Luftschiff, welches mir nicht einmal ausreichend beschrieben wurde. Aber Dank des Covers, kann man sich ja ein Bild machen. Und die Storyline war jetzt auch ziemlich vorhersehbar so ab Kapitel 30. Die Charaktere ziemlich... Stereotypisch für eine Piratenmannschaft (bester Freund des Kapitäns ist zufällig ein ehemaliger Sklave...).

*Gähnt ausgiebig* von welchem Buch rede ich grad eigentlich? Ich sollte ins Bett... - "Frey? Borgst du mir mal grad deine Shine-Tropfen?" (Für Uneingeweihte, das ist ein Narkotikum, welches man sich in die Augen tröpfeln kann.) - "Schlacke? (Der Schiffskater) Kommsu schlafen? Darfst auch auf meinem Gesicht pennen!" - "Pinn? Pfoten weg von meiner Unterwäsche, ich merk' das! Verzieh' dich und denk an deine Lolita, oder wie die hieß!" Ich könnt ewig so weiter machen. Ich möchte Crewmitglied der 'Ketty Jay' werden! Ich hab' diese komischen Vögel total lieb gewonnen. Alle wie sie da sind. Ich geh auch mit Malvery einen Rum heben und komm Harkins nicht zu nahe, damit er sich nicht versehentlich einnässt. Und Silo: ich stell' bestimmt auch die richtigen Fragen! Crake? Ich schrubb' deiner Bess auch den Metallrücken... ich polier' sie auch! Jez... Jez, bring mir das Navigieren bei! Ach bitte, bitte... nehmt mich doch auf!

„Es gab eine Menge Piraten hier draußen.
Echte Piraten. Keine Schönwetter-Ganoven wie sie.“


So. Was ist denn da überhaupt passiert, dass ich so begeistert bin?
Frey wird angeheuert eine Kiste Diamanten zu stehlen zu einem lukrativen Preis vom Luftschiff: 'Ace of Skulls'. Das ganze Unternehmen ist ein Hinterhalt und der bis dato völlig unscheinbare Kapitän, der sich selbst als ‚frei’ und ‚Herrenlos‘ bezeichnet wird zum Staatsfeind Nummer Eins. Auf einmal ist sein Konterfei in allen Zeitungen und nicht nur die Zenturienritter sondern auch die ‚Hexe der Lüfte‘ Trinica Dracken machen Jagd auf ihn. Aber er ist nicht der einzige Flüchtige, wie der Doc so schön sagte: „Es gibt keinen bei uns, der nicht vor irgendwas wegläuft, Sie eingeschlossen. (…) Deshalb gehören Sie hier her. Weil Sie einer von uns sind.“ (S.51)

Der Ablauf der folgenden Geschichte erinnert mich ein wenig an den Film: ‚Prince of Persia‘ - indem dem Protagonisten auch etwas in die Schuhe geschoben werden sollte, er den Kopf hinhalten sollte. Die ganze Welt in der dieses Buch spielt ist jedoch frei erfunden und überlagert mit allerlei Neologismen für Städte, Regionen und auch wissenschaftliche Errungenschaften: zB das Pokerähnliche Spiel: ‚Rake‘, die Entdeckung des Kontinents: ’Neu-Vardia’ oder dem ‚Aerium-Gas‘ dem Treibstoff der Flugschiffe in allen Größen und Formen. Ich kann mich persönlich nicht entscheiden in welches Genre ich dieses Buch einordnen sollte. Eine völlig frei erfundene Welt, mit gewissem technischem Fortschritt - mit Glühbirnengirlanden aber ohne Funk, mit Zukunftsprognosen aus Stöckchen werfen und Eingeweide lesen. Mit Pistolen und Gewehren - alle mit Patronen oder Kugeln, sowie Entermessern und Zweihandschwertern auf dem Rücken. Irgendwo feststeckend zwischen Fantasy und Science Fiction. Mit Dreispitz und Mänteln, Hafenschenken, einem Piraten-Utopia und Maschinengewehren unterm Bug von Begleitschiffen. Die Piloten müssen sich in ihren kleinen Cockpits über die Schulter umsehen, um Ziele die sich hinter ihnen befinden, zu orten. Politisch ebenso stagnierend die Frage nach Homosexualität wie Sklaverei - von Demokratie noch nie ein Wort gehört. Und über allem liegt das Beschwören der dämonenartigen Wesen in Gegenstände. Mehr als kurios. Ich muss die ganze Zeit an ’Studio Ghibli’ und seine Vorliebe für Luftschiffe denken, gepaart mit Fantasyelementen: „Das Schloß im Himmel“ oder auch „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ von ‚Hayao Miyazaki‘ (OT: Übrigens der Zeichner von „Heidi“.)

„Na sowas (...) das ist aber ein hübscher Zahn!“


Wooding hat sich viel Mühe gemacht, eine einwandfreie Abenteuergeschichte zu erzählen. Man nehme einen schicken klassischen Piratenschmöker (Ich reich mal dezent 'Caraibi'/ 'Piraten der Karibik' zum Vergleich) und statte dieselben Charaktere und dieselbe Handlung mit Luftschiffen statt normalen Booten aus, würze das Ganze mit einem Schuß Evokation und einer ominösen 'Allseele'-Sekte und tada! Vom Stil her kann es ein Wooding mit einem Bowden (Assassin's Creed: Black Flag) aufnehmen. Es fliegen hier ganz gern mal die (Haut-)fetzen und pingelig in Sachen Fäkalsprache ist der Autor auch nicht. Hält sich aber in angenehmen Grenzen. Die relativ große Seitenanzahl kommt dadurch zu Stande, dass schon am Anfang in einer Art Nebenhandlung um einen Schmugglermogul alle Besatzungsmitglieder vorgestellt werden und man angedeutete Tics und Verschrobenheiten der jeweiligen Leute mitbekommt. Im Laufe der Handlung wird jeder einzelne noch einmal beleuchtet und bekommt seine eigenen Dutzend Seiten um seine Hintergründe zu beleuchten. Gleichzeitig anders aber auch als störend empfand ich die Titelüberschriften (zb: "ZWEI - Ein neues Crewmitglied - Viele Vorstellungen - Jez spricht über Flugzeuge - Die Rückkehr des Kapitäns") klingen diese doch eher wie Arbeitstitel und verraten hier und da ein wenig zu viel.

Im ersten Teil dieser Serie geht es vor allem jedoch darum, alle Charaktere vorzustellen und sich gegebenenfalls auch noch ein paar Namen für später aufzuheben (Dies betrifft nicht nur Individuen der 'Ritter' oder der 'Erwecker' sondern auch die Rasse der 'Azryx'). Deswegen haben wir am Ende dieses Bandes auch eine Gruppe auf den Füßen stehen, die einer 'Guardians of the Galaxy'- Truppe nicht unähnlich ist und durch die haarsträubenden Manöver zueinander gefunden hat. Sie verstehen jetzt was es heißt sich auf einander verlassen zu müssen, sie wissen jetzt was Vertrauen bedeutet - Loyalität und Freundschaft sind ihnen keine ungreifbaren Begriffe mehr. Und das ist auch wichtig, denn sie haben sich in diesem Job einige Feinde gemacht. *wirft einen Blick hinüber zu 'Retribution Falls'* Und der Kapitän erkennt, dass er dieses noch recht labile Gleichgewicht unter den Seinen jetzt austarieren muss. Im Laufe der Zeit hat er aber enorm dazu gelernt und wundert sich wahrscheinlich über sich selbst am meisten, dass die Leute tatsächlich auf ihn hören.

Fazit:


Der Titel: 'Piratenmond' geht mal gar nicht. Wo kommt der her, was soll der aussagen? Mit dem Mond hat das Spektakel hier überhaupt nichts zu tun! Meine Wahl wäre jetzt ja eher: 'Piratennebel' oder 'Trübe Suppe' gewesen. Auch schade, dass es ein wenig an Details fehlte. Und wieso zum Henker steht auf der Außenwand des Schiffes nicht der Name...? So was macht man doch nicht! Sehr gut hingegen gefallen hat mir die Anspielung auf Freys persönliche Nemesis: 'Rake'-Karte: 'Ace of Skulls' - der Kerle hat aber auch immer ein Pech! Immer wenn er denkt, diesmal klappt's deckt sich diese Karte wieder auf und er verliert alles. Andererseits kommt ihm aber auch immer wieder unverhofft irgendein Glück dazwischen. Der Mann ist halt einfach nicht für den großen Wurf gedacht.

Die Geschichte lebt von ihren gebeutelten Charakteren und ich scheue mich nicht, ebenfalls den Vergleich zu: 'Firefly' zu ziehen.
Ketty Jay:
"Sie waren glücklich und frei und der endlose Himmel erwartete sie. Das genügte." (S.568)
vs Firefly:
Mal: "Aber wir fliegen noch." - Simon: "Das ist nicht viel." - Mal: "Das reicht mir."
Diese Geschichte lehrt mich, mal wieder, die kleinen Erfolge und Siege zu feiern im Leben. Denn es könnte ja immer schlimmer sein: Man könnte immerhin auch tot sein. Ein gelungener Auftakt, dem es aber ein wenig an der letzten Politur fehlte. Trotzdem werde ich sehr gerne weiter lesen. 'Schwarze Jagd' liegt schon bereit.

Ein "Spucke und Blut" Urteil
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