Cover des Buches Der Wolkenatlas (ISBN: 9783499240362)
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Rezension zu Der Wolkenatlas von David Mitchell

Intelligenter Mix

von ralf_boldt vor 10 Jahren

Kurzmeinung: Intelligenter Mix

Rezension

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ralf_boldtvor 10 Jahren
Der Film Cloud Atlas" ist gerade aktuell in die Kinos gekommen. Eine aufwändige deutsche Produktion mit Starbesetzung. Wie es mittlerweile üblich ist, kommt zum Start die literarische Vorlage mit neuem filmorientierten Cover erneut in den Handel. Und das ist gut so, denn der Roman ist ein ganz großer, wenn man sich auf ihn einlässt und ihn in der richtigen Reihenfolge - nämlich so wie abgedruckt - liest...

Es sind eigentlich sechs Geschichten, die Mitchell erzählt:
1.Das Pazifiktagebuch des Adam Ewing. Die Geschichte eines amerikanischen Anwalts an Bord eines Schiffes um das Jahr 1850 in den Gewässern von Ozeanien.
2.Briefe aus Zedelghem. Ein britischer Musiker verdingt sich 1931 bei einem syphilitischen Komponisten, der die besten Tage hinter sich hat.
3.Halbwertzeiten - Luisa Reys erster Fall. Eine Reporterin recherchiert in der Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts im Umfeld eines Kernkraftwerkes, das nicht den Sicherheitsstandards entspricht.
4.Das grausige Martyrium des Timothy Cavendish. Ein Verleger der heutigen Zeit wird zwangsweise in einem Altersheim festgehalten.
5.Somnis Oratio. Eine geklonte Serviererin in einem Fast-Food-Restaurant entdeckt ihre Identität. Diese Story spielt in der Mitte des nächsten Jahrhunderts
6.Sloosha's Crosing` un wies weiterging. In einer postapokalyptischen Welt Mitte des 24. Jahrhunderts bekommen die Bewohner eines Dorfes in der Südsee Besuch von einer Forscherin einer technisch überlegenden Enklave der Menschheit.
Nach diesem sechsten Erzählstrang entwickelt sich die Geschichte quasi wieder zurück. Der nächste Teil ist wieder Somnis Oratio", dann folgt die Fortsetzung von Das grausige Martyrium des Timothy Cavendish" und so fort. Das Buch schließt dann mit dem Pazifiktagebuch des Adam Ewing" ab.

Und wie schon geschrieben, sollte das Buch auch in dieser Reihenfolge gelesen werden.

Die einzelnen Erzählungen unterscheiden sich in der literarischen Umsetzung sehr voneinander. Der erste Teil ist wie der Name schon beschreibt in Form eines Tagebuches verfasst. Es ist stellenweise nicht orthografisch korrekt formuliert, wie man es sich für ein Tagebuch vorstellen kann.

Die Briefe aus Zedelghem sind Antwortschreiben an einen gewissen Sixsmith. Ein Musiker soll einen Komponisten unterstützen, wird aber seiner Ansicht nach nur ausgenutzt. Selbst die Affäre mit der Ehefrau des Komponisten hat den Segen des ehemaligen Meisters.

Halbwertzeiten" ist ein Spionagekrimi. Eine junge Reporterin bekommt Kontakt zu einem Wissenschaftler, der ein Dossier über die Unsicherheit eines Kernkraftwerkes verfasst hat. Dieser Teil endet mit einem klassischen Cliffhanger.

Timothy Cavendish ist ein nicht sehr erfolgreicher Verleger, der über Nacht einen Bestseller in seinem Programm hat. Doch kann er den Erfolg nicht genießen und muss fliehen. Sein Bruder bringt ihn in einem Hotel unter, das sich als Altersheim entpuppt. Niemand kann dort entkommen.

Somnis Oratio" ist ein echtes Stück Science Fiction. Es spielt in einer schönen neuen Welt, die so schön und vor allem nicht neu ist. Konzerne haben die absolute Macht an sich gerissen und die Menschen zu reinen Konsumenten degradiert. Die Arbeit wird von Klonen übernommen, die sich in einem Dienstverhältnis verdingen müssen, das eindeutig Sklaverei ist.

Science Fiction, Krimi, Tagebuch und Briefverkehr. So unterschiedlich die literarischen Formen der Geschichten sind, so unterschiedlich scheinen auch die Inhalte zu sein. Doch der Schein trügt. Jede der Geschichten ist mit allen anderen verwoben. Diese Verwandtschaften und Querverweise zu entdecken, machen den Reiz des Wolkenatlas" aus.

Der Wolkenatlas" selbst ist ein Sextett, an dem der Musiker schreibt. Sixsmith, dem die Briefe geschrieben werden ist eine Person im Krimi und dort werden die Briefe auch gelesen. Ein Muttermal in Form eines Kometen zieht sich als Merkmal durch mehrere der Teile. Das grausige Martyrium des Timothy Cavendish" wurde verfilmt und wird sich in der Mitte des nächsten Jahrhunderts angeschaut. Dies sind nur einige der Verweise.

David Mitchell fabuliert auf wunderbare Weise seine Geschichten aus. Stilistisch und inhaltlich unterscheiden sich die Teile voneinander und sind doch nur Puzzleteile eines Gesamtbildes, das sich dem Leser zur Gänze erst am Ende des Buches erschießt. Das Buch an sich ist schon spannend genug, doch erst die vielen kleinen und großen Aha-Erlebnisse während des Lesens machen die Lektüre zu einem echten und wahren Gesamt-Erlebnis.

Wer sich den Film schon angeschaut hat, sollte das Buch lesen. Denn auf über 650 Seiten erschließen sich noch viel mehr Details. Wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte das Buch lesen und dann entscheiden, ob so ein Werk überhaupt filmisch umgesetzt werden kann und sich dann fürs Kino entscheiden. Wer sich den Film sowieso nicht ansehen will, sollte das Buch gerade deswegen lesen, denn solch eine gute intelligente Unterhaltung zwischen zwei Buchdeckeln gibt es nicht oft.

Eine echte Empfehlung. Und ein Gutes hat die Verfilmung auf alle Fälle: Das Buch gerät in den Fokus des Interesses.
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