Cover des Buches Sturmwolken am Horizont (ISBN: 9783865919212)
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Rezension zu Sturmwolken am Horizont von Elisabeth Büchle

Die Meindorff-Saga geht weiter: ein starker Mittelband

von SiCollier vor 10 Jahren

Rezension

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SiColliervor 10 Jahren
Alles um sie herum befand sich im Umbruch; eine Entwicklung löste die vorherigen in rasanter Geschwindigkeit ab, noch ehe Anki sie vollständig erfassen konnte. Sicherheit gab es nicht. (Seite 359)

Meine Meinung

Da sitz ich nun, ich armer Tor, und weiß nicht so recht, wie ich das, was nach Abschluß des Buches in mir tobt, in Worte fassen soll. Denn es ist ein Ding, ein Sachbuch über den Ersten Weltkrieg zu lesen, aber ein ganz Anderes, die gleichen Geschehnisse in einem Roman anhand konkreter, teilweise historischer, Figuren erzählt zu bekommen.

Es sind nicht immer die Kriegsbeschreibungen, und von denen gibt es einige im Buch, die emotional am Heftigsten wirken. Viel eher sind es die Geschehnisse abseits der Front, die aufwühlen. Im direkten Kugelhagel bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken, aber im Lazarett, zuhause bei den Familien vermag es den Leser um so härter zu packen und das Grauen, das Unsinnige eines Krieges, in dem Freunde plötzlich zu Feinden werden, in all seiner Fürchterlichkeit vor Augen zu führen.

Hatte ich mit dem ersten Band der Trilogie, der noch recht deutlich die Merkmale einer Familiengeschichte aufwies, so meine Schwierigkeiten, hat mich dieser recht schnell gepackt und in seinen Bann gezogen. Zwar spielen auch hier eine Reihe von Angehörigen der Familie Meindorff eine Rolle, aber eingebettet in die historischen Ereignisse ist es vor allem ein historischer Roman, in welchem eine Reihe der Figuren durch verwandtschaftliche Verhältnisse miteinander verbunden sind.

Manche der Ereignisse waren mir aus den Geschichtsbüchern vertraut. In den Anmerkungen finden sich dann Erläuterungen zu wesentlichen Vorkommnissen, im Personenregister werden die historischen Personen kurz vorgestellt. Es hat mich erstaunt, wie gut die Autorin ihre fiktiven Figuren in die Historie eingefügt hat - als ob sie dabei gewesen wäre und nun ihre Erzählung darüber schreibt.

Es gab einige Szenen im Buch, die ich als hochemotional und aufwühlend empfand, die ich hier aber ohne zu spoilern nicht erwähnen kann. Und es gab eine Konstellation, an der ich unwillkürlich an einen anderen Arzt und seine Krankenschwester denken mußte, auch wenn deren Verhältnis zueinander sehr verschieden von dem von Robert Busch zur Schwester hier ist. Auf der anderen Seite der Front, in ganz anderer Gegend, aber im gleichen Weltkrieg. Jurij Andréitsch Schiwago und Lara Fjodorowna Antipov. Ich kann nur hoffen, daß die Autorin mit den Figuren hier gnädiger verfährt als Pasternak mit den seinen.

Überhaupt fand ich die Stimmung an den verschiedenen Schauplätzen gut getroffen. Egal, an welchem Ort die Handlung spielte, ich hatte immer das Gefühl, mitten drin dabei zu sein. Die Figuren waren zum Leben erwacht, das Kopfkino lieferte farbige Bilder, die ich aber vermutlich nicht unbedingt im Kino oder auf dem TV-Bildschirm sehen möchte. Denn was hier der Fantasie überlasssen bleibt oder nur angedeutet wird, würde dort unbarmherzig gezeigt werden müssen. Oder ließe sich nur schwer in die Filmsprache übersetzen.

Wo man hinschaut, scheint die Welt im Umbruch zu sein. Geht eine Ordnung unter, ohne daß ersichtlich wäre, was für eine neue folgen wird. Mein Vater wurde in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges geboren. Ich habe mich oft gefragt, wie das damals für die Menschen wohl gewesen ist, in was für eine Welt die Kinder hineingeboren wurden. Hier im Buch wird diese Welt lebendig, diese Frage zumindest teilweise beantwortet.

„Sturmwolken über dem Horizont“ hat mir deutlich besser gefallen als „Himmel über fremdem Land“. Mit einer gewissen Beklemmung beginne ich nun den dritten und abschließenden Band der Trilogie. und ich habe durchaus Angst um Philippe und Demy, Hannes und Edith, Robert und Anki, um Henny, die Chabenskis und wie sie alle heißen. Denn ich fürchte, nicht alle werden die letzten Kriegsjahre überleben. Ein starker und mitreißender Mittelband der Trilogie, unbedingt lesenswert.


Kurzfassung

Im Sturm fegen die Jahre des Ersten Weltkrieges die Welt- und Gesellschaftsordnung hinweg. Lesenswertes Porträt einer untergehenden Epoche.
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