Cover des Buches Fabian (ISBN: 9783855359097)
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Rezension zu Fabian von Erich Kästner

Der Moralist auf verlorenem Posten

von juni_mond vor 9 Jahren

Rezension

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juni_mondvor 9 Jahren
Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sonder einen Zerrspiegel vorzuhalten. Die Karikatur, ein legitimes Kunstmittel, ist das äußerste was er vermag. Wenn auch das nicht hilft, dann hilft überhaupt nichts mehr. Das überhaupt nichts hilft (...) ist keine Seltenheit. Eine Seltenheit wäre es allerdings, wenn das den Moralisten entmutigte. Sein angestammter Platz ist und bleibt der verlorene Posten. Ihn füllt er, so gut er kann, aus. Sein Wahlspruch hieß und heißt auch jetzt: Dennoch!

Dies ist ein Auszug der Worte, mit welchen Erich Kästner in seinen Roman "Fabian" einleitet, der erstmals 1931 in der deutschen Verlagsanstalt erschienen ist und ein Gesellschaftsbild Berlins am „Vorabend“ der Machtergreifung Adolf Hitlers zeichnet. Der Roman enthält autobiografische Züge und wurde von der Deutschen Verlagsanstalt in der ersten Fassung gekürzt veröffentlicht, aus Angst vor politischer Zensur, denn es werden viele damalige Tabus angesprochen.
Das Werk schildert deutlich den moralischen Verfall und die Entwicklung des Protagonisten Dr. phil. Jakob Fabian, der sich von einem Mann, der ironisch auf alles um sich blickt und nichts wahrhaft ernst zu nehmen scheint, zu einem Realisten entwickelt, der sich nicht mehr zurecht findet in der Welt - zumindest nicht in den Umständen, zu denen sich die Lage, Ende der 1920er Jahre entwickelt hat.
Der Germanist Fabian arbeitet als Propagandist (heute: Werbetexter) in einer Zigarettenfabrik - als sein Leben eine Wendung nimmt und er fast das Gefühl hat, angekommen zu sein, verliert er seine Arbeit und auch die positiven Wendungen in seinem Leben vergehen.

"Er hatte durstig ein Gefäß in der Hand gehalten und es nicht tragen mögen, weil es leer war. Da, als er es kaum noch hoffte, war das Schicksal gnädig gewesen und hatte das Gefäß gefüllt. Er hatte sich darüber geneigt und endlich trinken wollen. 'Nein', hatte das Schicksal gesagt, 'nein, du hieltest ja den Becher nicht gern', und das Gefäß war ihm aus den Händen geschlagen worden, und das Wasser war über seine Hände zur Erde geflossen."

Fabian betrachtet sich selbst die ganze Zeit über als Moralisten. Das heißt für ihn - und für Erich Kästner - dass die Handlungen der Menschen auf ethischen Prinzipien beruhen sollten und die ihrerseits auf bürgerlichen Freiheitsrechten und zwischenmenschlicher Solidarität gegründet sind. Dies wird von den Menschen der Gesellschaft um Fabian jedoch missachtet.

Aber was tut man, wenn die ganze Gesellschaft konträr zu den eigenen Idealvorstellungen lebt? Kann man in so einer - für sich selbst als unpassend identifizierten Welt (über)leben?
Ob und wie Fabian es kann erfährt man nur, wenn man bis zum Ende des Buches liest.

In meiner Ausgabe waren am Ende noch die ursprünglich herausgekürzten Kapitel abgedruckt. Im Nationalsozialismus als entartet deklariert und 1933 schließlich der Bücherverbrennung zum Opfer gefallen verlegte erstmals der Atrium Verlag 2013 die eine ungekürzte Fassung.

"Wollte er die Besserung der Zustände? Er wollte die Besserung der Menschen. Was war ihm jenes Ziel ohne den Weg dahin? Er wünschte jedem Menschen pro Tag zehn Hühner in den Topf, er wünschte jedem ein Wasserklosett mit Lautsprechern, er wünschte jedem zehn Automobile, für jeden Tag der Woche eines. Aber was war damit erreicht, wenn damit nichts anderes erreicht wurde? Wollte man ihm etwa weismachen, der Mensch würde gut, wenn es ihm gut ginge? Dann mussten ja die Beherrscher der Ölfelder und der Kohlengruben wahre Engel sein!"

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