Rezension zu Im Raum der Stille von George Steiner
Rezension zu "Im Raum der Stille" von George Steiner
von WinfriedStanzick
Rezension
W
WinfriedStanzickvor 13 Jahren
In seinem 2006 ebenfalls bei Suhrkamp erschienen Buch „Warum Denken traurig macht“ hatte der in Paris geborene und in Oxford lehrenden Literaturwissenschaftler George Steiner mit einer kühnen kosmischen Perspektive aufgewartet, die zugleich eine metaphysische ist; im Fokus aber stand, aus solcher Perspektive rückbetrachtet, die einzelne menschliche Existenz. Von dieser wurde behauptet, dass ihr eine gewisse, unentrinnbare Traurigkeit anhafte, die wiederum der trübe Grund sei, aus dem Bewusstsein und Erkenntnis Kraft schöpften. Das Kosmische daran ist der Vergleich mit jener Hintergrundstrahlung, wie sie die Radioteloskope der Astronomen als Echo des großen Urknalls empfangen, mit dem das Universum, einer gültigen Theorie zufolge, entstanden sein soll. Mit anderen Worten: Der Ursprung des Alls und die unzerstörbare Melancholie allen Lebens sind nut zwei Seiten derselben Medaille. Das Buch zeugte damals von unabhängigem Denken in bester Tradition und wurde trotz aller Vergeblichkeit nie zynisch oder gar hoffnungslos. Genau diese Geisteshaltung scheint auch in den hier vorliegenden „Lektüren“ durch, die Suhrkamp unter dem Titel „Im Raum der Stille“ veröffentlicht hat. Es ist eine Auswahl von George Steiners brillanten Essays, die er über einen langen Zeitraum immer wieder im „New Yorker“ veröffentlicht hat. Lesefrüchte sind das auf hohem Niveau über Autoren, die zum großen Teil zu der berühmten „Suhrkamp-Kultur“ gehören, Brecht, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Paul Celan, Hermann Broch und viele andere. Immer wieder geht es Steiner darum, das Geheimnis, das Wunder und auch die Abgründe künstlerischer Schöpfung auszuloten und zu beschreiben. Dabei leitet ihn immer seine Überzeugung: „Ich bin mißtrauisch gegenüber Theorien: Die Kunst der Lektüre, das ist die Kunst des Zuhörens und des Staunens. Die Kunst einer konzentrierten und präzisen Hinwendung.“ In einer Zeit, in der selbst unter gebildeten Menschen diese Fähigkeit immer schneller abzunehmen scheint, sind diese Essays Lehrstücke unabhängigen Denkens.