Cover des Buches Wer die Nachtigall stört ... (ISBN: 9783499217548)
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Rezension zu Wer die Nachtigall stört ... von Harper Lee

Sollte man gelesen haben

von PMelittaM vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Voller Weisheit und Wärme, aber auch voller Humor

Rezension

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PMelittaMvor 8 Jahren

Die sechsjährige Jean Louise Finch, Scout genannt, lebt Anfang der 30er Jahre mit ihrem älteren Bruder Jem, ihrem Vater, dem Anwalt Atticus Finch, und der farbigen Haushälterin Calpurnia im tiefsten Süden der USA. Es ist für das Kind ein recht idyllisches Leben, das eines Tages ziemlich erschüttert wird, Atticus wird als „Niggerfreund“ beschimpft, denn er verteidigt den Farbigen Tom Robinson, der wegen eines schweren Verbrechens angeklagt wird. Über Rassismus hatte sich Scout bis dahin keine Gedanken gemacht, doch der Prozess und die ihn begleitenden Ereignisse bringen das Mädchen dazu, die bestehende Gesellschaft zu hinterfragen.

Erzählt wird von Scout selbst, die als Alter Ego der Autorin, die selbst im Süden aufwuchs und deren Vater ebenfalls Anwalt war, gilt. Der kindliche Mund ist dabei oft sehr weise, aber Scout ist auch ein besonders aufgewecktes, kluges Kind. Sie stellt manche Dinge in Frage, aber längst nicht alle, denn sie ist eben verwurzelt in den herrschenden Verhältnissen. Der Prozess um Tom Robinson nimmt erst in der zweiten Hälfte des Romans Raum ein, bis dahin erleben wir Scouts Alltag, machen mit ihr die Gegend unsicher, lernen die Nachbarn durch ihre Augen kennen, sind, wie sie, enttäuscht von ihrem ersten Schultag, in dem ihr vorgeworfen wird, dass sie schon lesen kann, fürchten uns vor Boo Radley, dem allerhand Schandtaten nachgesagt werden, und sind doch neugierig auf ihn, und freuen uns auf Dill, der die Sommerferien bei seiner Tante verbringt, und der von Truman Capote inspiriert ist, mit dem Harper Lee eng befreundet war.

Welches Verbrechen Tom Robinson begangen hat, wird zunächst nicht aufgedeckt. Die Gerichtsverhandlung, der Scout, Jem und Dill zusammen mit der farbigen Bevölkerung auf dem Balkon des Gerichtssaals beiwohnt, wird ausführlich beschrieben und am Ende ist der Leser vom Geschworenenspruch genauso schockiert wie die Familie Finch.

Scouts Kindheitserinnerungen, ihre Streiche, ihre Enttäuschungen und Ärgernisse, ihre glücklichen Momente, haben mich oft an Tom Sawyer denken lassen, dem Scout manchmal sehr ähnlich scheint. Ihr Erzählungen scheinen zunächst gänzlich ohne Bezug zu einem übergeordneten Thema aneinandergereiht, zeigen sich aber dann doch als nicht losgelöst vom Ganzen, sogar Boo Radleys Geschichte erhält Wichtigkeit. Mir haben aber schon die Erzählungen des Alltags der Protagonistin viel Freude bereitet. Der Roman spielt über ca. zwei Jahre und man kann gut Scouts und Jems Entwicklung nachvollziehen. Sehr gut wird auch die Atmosphäre in einer kleinen Stadt in den Südstaaten vermittelt.

Die Charaktere sind – natürlich – subjektiv geprägt, haben alle aber eine große Tiefe. Die Erzählung ist bildgewaltig, als Leser hat man das Gefühl, dabei zu sein, mit Scout durch ihren Heimatort zu laufen, die Bewohner zu kennen und Atticus ins Herz zu schließen. Scout selbst muss man einfach mögen, sie ist so offen und ehrlich, wie es nur Kinder sein können. Ich fühlte mich von der ersten Seite an gefesselt und habe mich schnell in den Roman verliebt.

Der Roman war lange Zeit Harper Lees einziger Roman, erst 201 5 wurde ein weiterer veröffentlicht, allerdings wurde dieser bereits vor „Wer die Nachtigall stört“ geschrieben, damals aber vom Verlag abgelehnt und nicht veröffentlicht. Aus diesem Manuskript entstand dann letztlich die „Nachtigall“. „Gehe hin, stelle einen Wächter““ handelt ebenfalls von Scout, allerdings von der erwachsenen Scout. Ich habe den „Wächter“ noch nicht gelesen und weiß auch noch nicht, ob ich es tun werde, denn die „Nachtigall“ ist ein so wunderbarer Roman, der absolut für sich alleine stehen kann, muss ich da noch einmal zu Scout zurückkehren? Womöglich eine ganz andere Scout, einen ganz anderen Atticus kennen lernen? Wahrscheinlich werde ich es trotzdem tun, alleine aus Neugier, aber erst mit gebührendem Abstand …

Empfehlen kann ich auf jeden Fall, sich die Verfilmung der „Nachtigall“ mit Gregory Peck anzusehen, diese hat zwar nicht ganz die Tiefe des Romans, aber die belebten Bilder haben eine ganz eigene Eindringlichkeit.

Die „Nachtigall“ ist für mich ein absolutes Lesehighlight, der voller Weisheit und Wärme, aber auch voller Humor steckt. Ich habe diesen Roman, sicher nicht das letzte Mal, begeistert gelesen, für mich ist er eines der Bücher, die jeder einmal gelesen haben sollte. Daher erhält der Roman eine absolute Leseempfehlung und volle Punktzahl.

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