Cover des Buches Gebete für die Vermissten (ISBN: 9783518424520)
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Rezension zu Gebete für die Vermissten von Jennifer Clement

Was ist ein Leben wert?

von Herbstrose vor 10 Jahren

Rezension

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Herbstrosevor 10 Jahren
Es ist keine schöne Gegend hier in den Bergen Mexikos gleich hinter Acapulco. Guerrero ist trocken, heiß und staubig und ab und zu fällt vom Himmel eine giftige Brühe. Sie kommt aus den Hubschraubern der Regierung, die die umgebenden Mohnfelder der Drogenbosse vernichten sollen, stattdessen ihre Ladung aber lieber über den Hütten der Dorfbewohner ablassen. Es gibt hier viele Schlangen und Skorpione, aber keine Männer. Die sind längst abgehauen, haben sich in die USA abgesetzt um dort ihr Glück zu machen. Anfangs kam noch Geld, doch dann haben sie ihre Familien vergessen. Jetzt ist es ein Dorf der Frauen und Mädchen, die dort in ständiger Angst vor Entführungen leben. Sie kommen in Geländewagen, sind bewaffnet und nehmen die jungen Mädchen einfach mit. Niemand weiß, was mit ihnen geschieht, keiner hat sie je wieder gesehen. Nur einer gelang es zurück zu kommen – sie aber schweigt, kann nicht darüber reden. In dieser trostlosen Umgebung wächst Ladydi auf. Sie scheint Glück zu haben, kann allen Gefahren entgehen, kann sich vor den Menschenhändlern rechtzeitig verstecken und bekommt sogar eine Stelle als Kindermädchen in Acapulco. Doch plötzlich wird Ladydi verhaftet und findet sich im Gefängnis von Mexiko-City wieder …
„Gebete für die Vermissten“ ist ein Roman der fasziniert und zugleich tief berührt. In einem mitreißenden Schreibstil lässt die Autorin Jennifer Clement die Protagonistin berichten. Ladydi erzählt im Rückblick über ihr Leben und den Alltag im Dorf, über ihren treulosen Vater, über ihre Freundinnen Maria und Paula, über die Dorfbewohnerin Ruth und ihren ‚Schönheitssalon‘, über ihre alkoholsüchtige und kleptomanisch veranlagte Mutter mit ihren ständigen Rachegelüsten, über die ‚fliegenden Ärzte‘ die alle paar Jahre mal in die Dörfer kommen und über die mehr oder weniger motivierten Lehrer, die es nicht länger als ein Jahr hier aushalten. Ihre Gedanken erscheinen zunächst wirr und chaotisch, fügen sich aber bald zu einem harmonischen Bild zusammen. Sie erzählt wie es ihr gerade einfällt, schweift manchmal ab, um dann wieder auf eine bereits begonnene Episode zurück zu kommen. Man lebt mit Ladydi und erlebt hautnah ihre sämtlichen Emotionen. Angst, Gewalt und Tod sind allgegenwärtig, trotzdem sind Liebe, Freundschaft, Menschlichkeit und Zusammenhalt der Zurückgebliebenen ständig spürbar.
Der Roman ist nicht nur fiktiv, er beschreibt auch schonungslos die sozialen Missstände in einem Land wie Mexiko, in dem Entführungen, Drogenhandel und Korruption offenbar alltäglich sind. Wie im Buch zu lesen ist, hat die Autorin für die Geschichte über zehn Jahre lang vor Ort recherchiert und Hunderte Interviews mit vom Drogenkrieg betroffenen Mädchen und Frauen geführt. Heraus gekommen ist eine nahezu authentische Story über den Überlebenskampf der Frauen und Mädchen, über ihre Machtlosigkeit gegenüber Regierung und Drogenkonzerne, sowie über ihren Traum von einem besseren Leben. Letztendlich bleiben ihnen aber doch nur ihre Gebete.
Fazit: Ein großartiges Buch, packend und aufschreckend, das den Leser aber trotz seiner Traurigkeit hoffnungsvoll zurück lässt.
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