Cover des Buches Bis ans Ende der Geschichte (ISBN: 9783570102176)
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Rezension zu Bis ans Ende der Geschichte von Jodi Picoult

Solange ich mich an sie erinnere, waren sie noch immer hier. - Seite 353

von Buecherstoeberecke vor 8 Jahren

Rezension

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Buecherstoebereckevor 8 Jahren

Jede Erinnerung ist eine Papierblume im Ärmel eines Zauberers, gerade eben noch unsichtbar und gleich darauf so gegenwärtig und blühend, dass ich mir nicht vorstellen kann, wieso sie sich die ganze Zeit versteckt hatte. Und wie die in die Welt entlassenen Papierblumen lassen sich auch die Erinnerungen unmöglich wieder wegstecken.
- Seite 54


Jodi Picoult versteht es meisterhaft mit Worten Bilder zu malen...
So erschütternd und ergreifend ihre Worte auch sind, viel tiefer, zwischen den Worten, zwischen den Zeilen, liegen Botschaften, die den Leser doch noch viel mehr treffen...
Diese geheimen Worte sind es, die uns ans Buch fesseln, die unsere Seele erschüttern...

Auf den ersten Seiten finden wir Leser einen Satz, der uns zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht viel sagt: "Kann ein Mensch nicht zwei Dinge gleichzeitig sein?" (Seite 20)
Josef Weber bezieht sich hier auf Sage, die in seinen Augen nicht nur eine Bäckerin, sondern auch eine Dichterin ist.
Im Laufe der Geschichte, bekommt dieser Satz aber auch auf Weber selbst bezogen eine ganz neue Bedeutung.
Ja, kann man Opfer und Täter zugleich sein?
Diese Frage stellte sich mir im Laufe der Geschichte immer öfter.
Kann ein Mörder auf einer anderen Ebene selbst ein Opfer sein? Unschuldig daran, dass er zum Mörder wurde...?
Durch vergangene Umstände, die ihm selbst auferlegt wurden?

Wisst ihr, manche Autoren vermögen es ihren Worten beim Lesen eine ganz besondere Klangfarbe zu verpassen, die uns entweder entzückt bzw. erfreut oder in uns Gefühle hervorruft, die wir längst als abgeschlossen betrachtet haben. So habe ich mehrere Tränen über dieser Lektüre vergossen.

Ich hätte gerne, dass Sie mir beim Sterben helfen.
- Seite 62
Dieser Satz ist es, der Sage zutiefst erschüttert, ihr Leben aus der Fassung bringt. Doch letztendlich wird es dieser Satz sein, der ihr Leben auch wieder in eine vernünftige Bahn lenken wird.
Die charakterliche Wandlung, die Sage im Buch durchlebt ist großartig!
Und für uns Leser wird es interessant, da dort im Buch jemand auftaucht, der zwar ähnlich wie Sage ist, aber dennoch ganz anders.

Leo Stein übt nicht nur leidenschaftlich seinen Job aus, sondern ist als Protagonist durch seinen Humor für den Leser eine willkommene Abwechslung zu Sage.
Wo diese zu Beginn oft vor Selbstmitleid vergeht, trumpft er auf durch seine Art durchs Leben zu gehen.
Gemeinsam haben beide ihre Intelligenz und einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.


Zusammen mit Leo begibt Sage sich auf eine Reise in die Vergangenheit, begonnen durch ein Foto von Josef Webber, der eigentlich einen anderen Namen trägt...

Es gab sechs Millionen Menschen während des Zweiten Weltkriegs, die man belogen hat, und ihnen ist jemand die Wahrheit schuldig.
- Seite 94

Die Konstellation aus Erleben, Erzählen und Fühlen, die Jodi Picoult hier heraufbeschwört, ist nichts was man meiner Meinung nach einfach so runterlesen kann. Man braucht Zeit um über bestimmt Sätze und Geschehnisse nachzudenken...
Egal ob Sages Gedanken, Josefs Geschichte oder die literarischen Ergüsse von Sages Großmutter... Alles hat seinen Platz und wird letztendlich den passenden Moment in der Geschichte finden.

Zuerst etwas merkwürdig erscheint einem der ständige Wechsel zwischen Tod, Kriegsverbrechen und dem Backen von Brot, Brioche oder jüdischen Spezialitäten... Aber ich versichere euch beim Lesen macht es durchaus Sinn...
Das Zusammenspiel der verschiedenen Perspektiven ist hier ohnehin eine Besonderheit. Das Buch entpuppt sich als ein einzigartiges Puzzlespiel!

" [...] Der Holocaust hat stattgefunden. Nazis haben existiert. Und als der Krieg zuende war, haben sie sich nicht alle in Luft aufgelöst."
"Das war vor fast siebzig Jahren", betont Detectiv Vicks.
"Ich dachte immer, Mord verjährt nicht", sage ich und verlasse das Verhörzimmer.
- Seite 80

Kann man jemandem Vergeben, der einem selbst überhaupt nichts angetan hat...? Hat man die Erlaubnis, die Macht dazu?
Kann ein Mensch für einen anderen stehen? Ein Jude stellvertretend für alle Juden?
Kann die Tochter für die Mutter verzeihen?
Der Sohn für den Vater?
Die Enkelkinder stellvertretend für die Großeltern...?

Doch nicht alle Juden waren Opfer [...].
Und nicht alle Deutschen waren Mörder.
- Seite 330/331

Picoult wirft auch in diesem Roman wichtige Fragen auf, und nicht alle kann das Buch beantworten... Einige müssen wir uns selbst immer wieder stellen und eine Antwort für uns selbst finden...

Besonders beeindruckend ist es nachher, wenn jemand der solange Zeit geschwiegen hat, plötzlich mit den Worten "Mein Vater versprach mir, ich würde mit einer Kugel im Herzen sterben." (Seite 236) dieses Schweigen bricht und beginnt eine Geschichte der Grausamkeit zu erzählen.
Eine Geschichte in der eine von ihr selbst geschriebene Geschichte ihr das Leben rettete... Eine Geschichte von Freundschaft und Liebe... Eine Geschichte von Gräueltaten und Schlägen... Eine Geschichte voller Namen... Sie fängt an Bilder zusammeln... Bilder, die ihr das Leben retten...

Solange ich mich an sie erinnere, waren sie noch immer hier.

- Seite 353

Zum Schluss überrascht Jodi Picoult dann mit mehreren Wendungen, die ich nicht kommen sah... Und das Lesen deshalb umso großartiger machten...
Aber auch das Hören war ein reiner Genuß, denn wo das Buch die Trennung der einzelnen Perspektiven durch verschiedene Schrifttypen deutlich machen wollte, überraschte das Hörbuch hier einfach durch mehrere Sprecher! Sorgte allerdings für noch mehr Authentizität der Geschichte. Denn obwohl diese hier nicht der Realität entsprungen ist, ist es doch gut möglich, dass genauso etwas geschehen ist. Nun Stimmen zu hören, die das ganze noch mehr in die Realität transportieren, die Geschehnisse noch greifbarer machen, war ein besonderes Erlebnis... wenn auch ein sehr Tränen reiches...
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