Cover des Buches Steine im Bauch (ISBN: 9783462046526)
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Rezension zu Steine im Bauch von Jon Bauer

Was für ein sagenhaft andersartiges Buch. Dieser Schreibstil berührt und entsetzt bis auf´s Letzte!

von Floh vor 9 Jahren

Kurzmeinung: ein emotionales, verstörendes und berührendes Buch, welches sich schwer in Worte fassen lässt. Unglaublich anders und lohnend!

Rezension

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Flohvor 9 Jahren
Der englische Autor Jon Bauer begibt sich mit seinem emotionsschweren Roman "Steine im Bauch" in die zerstörte, unverstandene und kaputte Kindheit eines 7 jährigen Jungen, der es sich im Erwachsenenalter zur Aufgabe gemacht hat, all seine verletzten Gefühle, all seine Steine im Bauch auf die inzwischen todkranke Mutter abzuladen und eine Art Rache auszuüben. Die kranke und ruinierte Seele eines kleinen Jungen, inzwischen eines erwachsenen Mannes, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, seinen Gefühlen Luft zu machen. Koste es was es wolle... Starke Psychogramme, entsetzliche Gedanken, die nachdenkliche Welt eines Kindes und später die Verhaltensgestörte Seele eines Mannes im Umgang mit der hilflosen Mutter... Eine emotionale Welt aus Gedanken, Bildern und Handlungen!
Erschienen im KiWi Verlag (http://www.kiwi-verlag.de/)

Inhalt:
"Der 28-jährige Ich-Erzähler kehrt in das Haus seiner Kindheit zurück, weil seine Mutter schwer erkrankt ist. Als kleiner Junge litt er darunter, dass die Pflegejungen, die die Mutter aufnahm, immer den Vorzug bekamen und sie seine hilflosen Schreie nach Liebe miss-verstand oder ignorierte. Der Pflegejunge Robert brachte schließlich das Fass zum Überlaufen – mit Folgen, die noch in der Gegenwart sichtbar sind. Weder Mutter noch Sohn haben jemals wieder über die Ereignisse gesprochen, und nun, da sich die Machtverhältnisse aufgrund der Krankheit der Mutter umkehren, nimmt der Sohn auf subtile Weise Rache … »Steine im Bauch« zeigt mit unbarmherziger Präzision, wie Verletzungen, die man in der Kindheit erleidet, im Erwachsenen nachwirken. Ein Buch, das atemlos spannend und bisweilen schmerzhaft die Hilflosigkeit eines Kindes nachzeichnet. »Steine im Bauch« wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und von Presse und Leserschaft begeistert aufgenommen."

"Ich habe immer erzählt, ich sei ein Pflegekind, dabei war ich bei uns zu Hause der Einzige, der keines war." Seite 7

Handlung:
Alles fängt ganz vermeidlich an, ein 7 jähriger Junge, der in der scheinbar perfekten Vorzeigefamilie lebt. Darum darf auch genau diese Familie so gerne Pflegejungen bei sich aufnehmen. Jungen, die es nicht so gut haben , und dessen Eltern gerade eine schwierige Phase des Lebens durchmachen. Diese Jungen bleiben nun in dieser Pflegefamilie, bis sich das familiäre Verhältnis der eigenen Eltern stabilisiert hat. Doch irgendetwas scheint auch in dieser achso perfekten Pflegefamilie nicht zu stimmen. Vor allem als der noch 12jährige Robert einzieht, ändert sich das Leben des 7 jährigen Protagonisten, der von seinem Dad liebevoll nur Sonny Jim genannt wird, von jetzt auf gleich. Denn seine Mum scheint den neuen Pflegejungen Robert viel mehr zu mögen als ihn. Er darf im Auto vorn sitzen, er wird am Tisch nicht ermahnt und er ist immer lieb und artig und flucht nur, wenn es kein anderer außer Sonny Jim mitbekommt. Für diesen 7 jährigen Jungen dreht sich die Welt nun anders und sein Gedankenkarussell beginnt zu drehen, die Schlange im Bauch wird immer dicker und die Steine immer schwerer. Bis ein normales Zusammenleben schier unmöglich wird und der Pflegejunge durch einen Unfall zum Pflegefall wird. Eine Familie, viele Facetten, tiefe Eindrücke, Gedanken und Beklemmungen. Die Welt aus den Augen eines Jungen, der sich allein, ungeliebt und vernachlässigt fühlt... Bis dieser Junge nach vielen familiären Schicksalen mit 28 Jahren zurückkehrt um seiner todkranken Mutter beizustehen. Doch dieser notwendige Beistand des Sohnes nimmt ganz andere Züge an, als sie sollten. Es gibt unterschwellige Rachegefühle, die nun den erwachsenen Mann übermannen und an die Oberfläche dringen. Eine abnorme menschliche Beziehung, größte Wut, unglaubliche Gedanken und Handlungen...Neben den beiden parallelen Handlungssträngen aus Damals und Heute gehen wir Seite für Seite in die Tiefe der Seelen und erfahren aus den Leid der Familie, welches eigentlich von außen gesehen gar nicht so schlimm hätte sein dürfen....Ein Mann, eine Kindheit, eine Geschichte, ein Schicksal und der Tod!

"Die Augenbrauen wandern in die Höhe, sodass seine Stirn aussieht wie der Sandstrand, nachdem sich die Welle zurückgezogen hat." Seite 65

Schreibstil:
Der Schreibstil ist unter anderem dass, was das Buch zu dieser Besonderheit macht. Denn wir lesen diesen sehr besonderen Roman aus den Gedanken und den unglaublichen Zügen des Psychogrammes des Ich-Erzählers und Protagonisten. Seinen Namen erfahren wir nicht, er wurde in seiner Kindheit liebevoll von seinem Dad Sonny Jim genannt. Der Autor Jon Bauer hat hier einen Stil geschaffen, den ich so noch nie gelesen habe. Das Lesen gestaltete sich so zu einer ganz neuen und anderen Art des Lesens. Jon Bauer berichtet aus Sicht des namenlosen 7 jährigen Jungen, der im alter von 28 Jahren in sein Elternhaus zurückkehrt. In zwei sich abwechselnden Handlungssträngen erleben wir seine vernichtende Kindheit, hier sollte man sinnieren, ob diese wirklich so extrem vernichtend war, oder ob die kindlichen Gedanken übergeschwappt sind..., dann erleben wir den Erzähler als erwachsenen Mann im Umgang mit der zum Tode geweihten Mutter und den noch immer schwelenden Gefühlen des Verletztseins im Bauch. Durch den Ich-Erzähler spricht der Autor Jon Bauer die Leser direkt an, und nimmt ihnen Fragen und Gedankengänge vorweg. So ist der Leser direkt im Dialog und in den teils kindlichen Gedankengängen, Wünschen und Gefühlen eines verletzten kleinen Jungen gefangen.
Eine weitere Besonderheit ist das weitreichende Spektrum an Bildern, Sinnvorstellungen und kindlicher Naivität. Die blanke Gefühlswelt aus den Augen eines Kindes was die Welt nicht mehr versteht. Ein Junge, der seine eigenen Gedanken als Böse auffasst und hilflos wird. Erfrischend wird dieser beklemmende Roman dadurch, dass zu jedem Alltägllichen und Normalen eine Anekdote, ein Nähkästchenplausch oder eine Weisheit, eine These oder einen Fakt aus dem Munde des Dads, des Jungen, dem Pflegejungen oder auch der Mutter stammt. Durch seine enorme Tiefe und Emotionsgeballtheit schreibt der Autor Jon Bauer klar, überzeugt, selbstbewusst und lässt durch Vielseitigkeit und Unglaublichkeit und den sehr authentischen Gedanken des Jungen und des späteren Mannes so einzigartig werden. Alles andere als Mainstream.

"Sie ist noch da, immer noch, irgendwo unter dem nahenden Tod. Ich kann es sehen. Fühlen. Und da will ich ran. Um zu helfen. Auch wenn das alles ist, was von der Frau übrig blieb, der ich die Schuld gebe." Seite 70

Charaktere:
Was wäre dieses Buch ohne seine Protagonisten? Mit Gold nicht aufzuwiegen sind die besonders gestalteten Charaktere hier in dieser Story. Hier schöpft der Autor aus den Vollen und hat eine Welt aus tiefsten Abgründen, kranken Seelen, gestörten Empfindungen und zerrütteten Weltbildern und dem zunächst unscheinbaren Schmerz des Erzählers geschaffen. Wenn ich ehrlich bin, so möchte ich niemals nur annäherd fühlen und erleben, was hier die einzelnen Charaktere, wie der Pflegejunge, die Mum, der Dad, der Erzähler oder weitere Nebendarsteller aus dem Buch erfahren und durchlebt und durchdacht haben... Eine raffinierte Auswahl an Protagonisten und Charakteren begegnen wir durch die nahen Beschreibungen der Seelenzustände in diesem Buch. Man ist dazu verleitet, nachzuempfinden, ob diese Emotionen und Gefühle gerechtfertigt sind? Darf man so fühlen? Autor Jon Bauer hat so viele wichtige Charaktere erschaffen, die so sonderbar sind, wie keine anderen. Hier gibt es nicht nur ein Spiel mit der Sprache, hier gibt es auch ein perfides Spiel mit kranken Psychen und deren Opfer.

"Tiere müssen allein sterben. Niemand hält einem Tier die Pfote." Seite 151

Schauplätze:
Irgendwo im Nirgendwo. So wie der Protagonist keinen Namen hat, so hat auch sein Wirkungskreis keinen Namen. Der Autor lässt dem Leser viel Raum für Spekulationen und Phantasie. So auch bei den Schauplätzen. Er beschreibt Orte, die jeder meint zu kennen und schafft somit Nähe. Hier nutzt er gern Details und kleine Alltäglichkeiten. Das Haus der Familie, das Zimmer mit der Löwenhöhle des Erzählers, die Autofahrten, eine Pommesbude, der Kinderpsychologe, das Krankenhaus, später der Pflegedienst, der verwilderte Garten, der Park indem er auf Reg trifft...Bizarre Orte, tiefe Abgründe, neue Welten, entsetzliche Kulissen, aber auch die gute biedere Gemütlichkeit und Geborgenheit einer fast heilen Familie kommen nicht zu kurz. Der Autor J. Bauer bietet dem Leser einen Blick in die Welt der häuslichen Not, Vernachlässigung, Krankheit, Behinderung, Schicksal, Verlust und Tod. Das ist das Leben eines Kindes in einer Familie, die sich auch liebevoll um Pflegekinder kümmern will....alles nur Schein?

"Was aber bin ich dann?
Ich weiß es nicht, weiß nur, dass ich alles bin, was übrig blieb." Seite 306


Meinung:
Dieser geballte Roman ist keine leichte Kost, liest sich aus Kinderaugen und kindlichen Gedanken, ist gesellschaftlich anspruchsvoll und ist geballt mit Alltagswissen und enormen Besonderheiten. Ich war von Beginn an gefesselt, war entsetzt und fasziniert sogleich. "Steine im Bauch" bietet Besonderheiten, an die man sich erst gewöhnen muss und mit seinen Gedanken und Emotionen annähern muss. Ich bewundere und lobe diese Einzigartigkeit des Autors, wie hat er es geschaffen, solch authentische und erschreckende Gedanken so real zu Papier zu bringen? Ein geniales Spiel mit dem Wort und ein genialer Dialog mit den Lesern. Ganz besonders großartig. Die Handlung gefällt mir gut, auch wenn mir nur nach und nach die Vergangenheit und der Schatten der Familie schlüssig wurde. Gegen Ende kamen mir sogar Tränen. Tränen der Rührung, des Mitgefühls, des Entsetzens oder des Schocks? Ich weiß es nicht. Denn dieses Buch bewegt,ohne dass man weiß wohin es einen bewegt!

Cover / Buch:
Das Buch ist absolut hochwertig und sehr schön verarbeitet. Das Schriftbild ist sehr angenehm, die Kapitel nicht allzu lang.
Das Cover gefällt mir leider absolut gar nicht. Der Schutzumschlag zieht sich über die ganze Länge und der Titel ertreckt sich so über das ganze Buch. Das gesenkte Profil des Jungen lockt meine Blicke nicht. In der Buchhandlung hätte ich leider nicht zu diesem Buch gegriffen. Es war eine Empfehlung, und der Klapptext weckte meine Neugierde! Für mich kein ideales Cover zum Buch.

Der Autor:
"Jon Bauer wurde in England geboren und lebt seit 2009 in Melbourne, Australien. Er schreibt Kurzgeschichten und Theaterstücke, auch fürs Radio. Steine im Bauch ist sein erster Roman, für den er u. a. mit dem Indie Award For Best Debut ausgezeichnet wurde."

Fazit:
Kein Mainstream, ein ganz besonderer Roman mit allen erdenklichen Emotionen, die der Leser kaum einordnen kann! Der Autor schreibt zum Schluß: "Möge dieser Roman all jenen nutzen, die ihre Kindheit noch in sich tragen!"
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