Cover des Buches Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand (ISBN: 9783570585016)
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Rezension zu Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand von Jonas Jonasson

Ein wunderbarer Schelmenroman

von bebibel vor 9 Jahren

Rezension

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Der Debütroman des schwedischen Journalisten Jonas Jonasson (geb. 1961) wurde bei fünf von sechs Verlagen abgelehnt, eroberte dann zu Beginn des Jahres 2012 Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, stieg weltweit zum Millionenbestseller auf und gilt als einer der größten literarischen Erfolge der letzten 20 Jahre. Der sensationelle Erfolg des Schelmenromans macht neugierig und tatsächlich: die Skurrilität und der Witz, die der Titel bereits verspricht, finden sich in der Erzählung unbedingt wieder.
An seinem 100. Geburtstag klettert Allan Karlsson aus dem Fenster im Altersheim um sich vor seiner eigenen Geburtstagsfeier zu drücken. Sein erstes Ziel ist der Busbahnhof, an dem er mit dem erst besten Bus fährt soweit ihn seine 50 Kronen bringen - und da der junge Mann, dessen Gepäck er beaufsichtigen soll, nicht rechtzeitig von der Toilette zurückkehrt, nimmt Allan den Koffer gleich mit. Unglücklicherweise ist der Mann Mitglied einer kleinen Gangstergruppe und der Koffer prall gefüllt mit Geld aus Geschäften mit der Russenmafia. Ehe Allan sich umsehen kann, sind nicht nur die Polizei und diverse Journalisten hinter ihm her, sondern auch die "Never Again"-Bande auf der Suche nach ihrem Geld. Allan bleibt nicht lange allein, ihm schließt sich zunächst ein Gelegenheitskrimineller an, dann ein Imbissbudenbesitzer und schließlich "die schöne Frau" mit ihrem Hund und ihrem zugelaufenen Elefanten.
Kapitelweise wechseln sich Episoden aus Allans abenteuerlicher Flucht in der Gegenwart und seine Auftritte auf dem Parkett der Weltpolitik in der Vergangenheit ab. Im Jahr 1905, als Allan Karlsson geboren wird, beginnt dieser zweite Handlungsstrang, in dem der Autor vieles einarbeitet, was sich in 100 Jahren Weltgeschichte zugetragen hat. Er lässt Allan Karlsson eine Reihe skurriler Abenteuer und absurder Begegnungen und Ereignisse erleben und es erschließen sich dem Leser ganz neue, ersponnene Hintergründe für bekannte Weltereignisse. Mit überschäumender Phantasie erzählt Jonasson wie Allan, der Naiv-Unpolitische, ungewollt und zufällig mitten in die Krisenherde der Welt purzelt und - nach dem Modell Forrest Gump - in sämtliche politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts verwickelt ist. Er erhält Einladungen von unterschiedlichsten Regierenden - Stalin, Truman und Franco, um nur einige seiner Gastgeber zu nennen -, denn alle versprechen sich Vorteile oder guten Rat, wenn nicht gleich die Atombombe.
Es ist eine haarsträubende und zugleich unterhaltende Erzählung, die in sich logisch bis ins kleinste Detail ausgearbeitet ist. Der Hundertjährige und die Figuren, die er auf seiner Flucht um sich schart, ziehen den Leser in den Bann und sind reich mit allen Eigenarten ausgestattet, die man seit Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga an den typisch schwedischen Romanfiguren schätzt. Trotz der teilweise scharfen Übertreibungen gestaltet Jonasson die Figuren so, dass sie bei aller Verschrobenheit liebenswürdig bleiben. Das Skurrile rutscht bis auf wenige Passagen nicht ins Lächerliche ab, sondern bleibt als köstliche Parodie bestehen. So entwickelt sich vor den Augen der Leser eine vortreffliche Gaunergeschichte in einem Sprachstil, der leicht und flüssig, kurzweilig und spritzig, gespickt mit umgangssprachlichen Ausdrücken und viel trockenem Humor ist. Die Erzählung bietet eine satirische Perspektive auf das Verhalten der Menschen, in der selbst lebensbedrohliche Situationen voller Komik stecken. Leichen werden auf komisch-makabere Weise beseitigt, Ideologien als lächerliche Konstrukte entlarvt, die Dialoge funkeln von abgeklärtem Zynismus und lethargischer Schlichtheit und die Tragik des kleinen Mannes wird mit der Komik des weltpolitischen Geschehens verflochten. Es ist, wie Joseph von Eichendorff über Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus sagte, „eine Lust zuzusehen, wie er diese bestialische Welt humoristisch zu bewältigen weiß.“
Unterm Strich ist Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand meiner Meinung nach ein großes Lesevergnügen, kein sehr tiefgründiges oder nachdenklich stimmendes Buch, einfach ein guter Unterhaltungsroman. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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