Cover des Buches Pretty Girls (ISBN: 9783959670074)
Joachim_Tieles avatar
Rezension zu Pretty Girls von Karin Slaughter

Mischung aus "Desperate Housewives" und "Mutti ist die Beste"

von Joachim_Tiele vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Nägelkau-Spannung ohne Substanz

Rezension

Joachim_Tieles avatar
Joachim_Tielevor 8 Jahren
Eingeräumt ist, dass der neue Thriller "Pretty Girls" von Karin Slaughter hervorragend startet und danach zu einem echten "Nägelkauer" wird. Daher sollte sich niemand von meiner Überschrift und meinen "nur" drei Sternen abschrecken lassen, sich dieses Buch zuzulegen, wenn er/sie bereits Fan der Autorin ist und in etwa weiß, was ihn/sie von ihr erwartet. Hinzugefügt sei, dass ich Abonnent des "Rolling Stone" bin, bei dessen Rezensionen drei Sterne "uneingeschränkt gut" und "Kaufempfehlung" bedeuten. So sind meine Sterne hier gemeint. Aber eben auch, dass es sich hier nach meiner Auffassung nicht um einen "Spitzentitel" handelt.

Das Buch beginnt mit einem Prolog, der sich später als einer von mehreren über das Buch verteilten Tagebuchauszügen eines Vaters erweist, der sich im Stil eines Briefes an seine verschwundene Tochter wendet und ihr das Leben und die Ängste ihrer übrigen Familie beschreibt, nach dem sie - mutmaßlich aber nicht gewiss - entführt und ermordet wurde. Das nächste Kapitel beschreibt eine erwachsene Frau, die sich nach einem Gefängnisaufenthalt zum ersten Mal wieder mit ihrem Ehemann in einer Bar in Downtown Atlanta trifft, mit diesem anschließend in einer dunklen Gasse einen "Quickie" beginnt, in dessen Folge das Paar überfallen wird und der Ehemann dabei zu Tode kommt. Cut. Eine ganz andere Frau wird beschrieben, die sich nach einer problematischen Jugend "gefangen" hat und als alleinerzeihende "Mom" eine Teenager-Tochter großzieht. Als ihr Freund ihr vom Tod des Mannes aus dem vorgangegangenen Kapitel berichtet, ist ihr Kommentar "Ich hoffe nur er hat gelitten". Ein weiterer Tagebuchauszug rundet die "Exposition" des Romans ab, in dem der Bogen zum Klappentext geschlagen wird, zur vor inzwischen 24 Jahre lang vermissten seinerzeit 19-jährigen Julia. Drei Frauenschicksale, auf noch unklare Weise verbunden, werden, so darf man vermuten, im weiteren Verlauf des Buches die Hauptrollen spielen.

Drei weitere Kapitel und ein erneuter Tagebuchauszug legen routiniert "Irrungen und Wirrungen" möglicher Handlungsverläufe und Beziehungen der beteiligten lebenden und toten Personen und führen zu einem Punkt, von dem an nahezu "alles mögliche" passieren kann und die Spannung für ein großes Thrillererlebnis aufgebaut ist. Es folgt eine rasante Verketteung von Ereignissen, menschlichen Handlungen von schier unglaublicher Bosheit, verknüpft mit geschäftlichen Interessen, polizeilichem Fehlverhalten und politischer Korruption, die eine schlaflose Lesenacht garantieren. Hier beginnt allerdings auch das große "Aber". Ich habe mir angewöhnt, Bücher, die ich rezensiere, mindestens zweimal zu lesen. Bis einschließlich Kapitel sechs hat das auch diesmal gut funktioniert. Danach entspannt sich eine schiere Hektik aus von den meisten Protagonisten undurchdachten Handlungssträngen, die wie diktierter und nur unaufmerksam redigierter Originaltext der Autorin wirken. Spatestens beim zweiten Lesen enthüllen sich auch Logikfehler, Mängel an der Glaubwürdigkeit und insgesamt das Gefühl, wie können die Protagonisten nur so blöd sein, dass ihnen dieses Schlamassel passieren kann. Immer stärker übernimmt die bis dahin lediglich als Hintergrundfigur gestreifte Mutter der drei weiblichen Protagonisten das Regiment. Zwei verzweifelte Hausfrauen, deren Mutter sich als "die Beste" erweist, ein "schlechter Bulle", der sich später als guter herausstellt, und jede Menge Lob der amerikanischen "family values" erzeugten für mich zum Ende hin einen fast klebrigen Schluss, der die vielen gesellschaftskritischen Ansätze des Romans konterkarriert. Beim zweiten Lesen, bei dem es mir um Substanz, Nuancen, aber auch um "Literaritzität" geht, bin ich irgendwo zwischen Kapitel sieben und neun ausgestiegen.

Der Verlag hat etwa sechs Wochen vor dem Erscheinungstermin des Romans die Vorgeschichte dazu als günstiges Ebook only herausgebracht, "Tote Blumen", die auch als eigenständige Erzählung für sich stehen kann. Diese habe ich entsprechend eigenständig rezensiert*) und wegen ihres literarischen Wertes mit fünf Sternen bewertet. Wenn man beide gelesen hat, kann man das Gefühl haben, dass sie ineinanderfallen wie zwei Hälften eines Kartenspiels, die zusammen ein "Blatt" ergeben. Für Fans der Autorin sind sicherlich beide zu empfehlen, in welcher Reihenfolge man sie auch liest.

_________

*) Hier der Link zu meiner Rezension zu "Tote Blumen": http://www.lovelybooks.de/autor/Karin-Slaughter/Tote-Blumen-1200356847-w/rezension/1207712283/
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks