Cover des Buches Die Zahlen der Toten (ISBN: 9783596512416)
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Rezension zu Die Zahlen der Toten von Linda Castillo

»Auf geht`s, fangen wir die Bestie«

von Kopf-Kino vor 9 Jahren

Rezension

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Kopf-Kinovor 9 Jahren
Ohio, Painters Mill: Als die verstümmelte Leiche einer jungen Frau auf einem Feld aufgefunden wird, ahnt Kate Burkholder, die neue Polizeichefin des verschlafenen Städtchens, Übles. Ist es möglich, dass derjenige, den die Einwohner vor 16 Jahren den „Schlächter“ nannten, sein blutiges Werk fortführt? Gleichzeitig sieht sich Kate, die einst der in Painters Mill lebenden Amischgemeinde angehörte, von einem dunklen Geheimnis eingeholt, das sowohl ihr Leben als auch ihre Familie zerstören könnte. Kann Kate den Mörder überführen und ebenfalls den Geistern ihrer Vergangenheit entfliehen?

Grundsätzlich bin ich – abgesehen von wenigen Ausnahmen wie bspw. Doyles Sherlock Holmes – keine Krimileserin. Diese Geschichte jedoch weckte meine Neugierde; nicht zuletzt, da der Plot außergewöhnlich klang: Mord und Amisch sind zwei Wörter, die womöglich sehr selten in einem Zuge genannt werden. Gerade dieser Hintergrund machte mich auf Castillos Buchreihe aufmerksam und somit griff ich zu ihrem Debütroman 'Die Zahlen der Toten'.

Der Einstieg packte mich sogleich, der Mittelteil kam mir wie eine Tal- und Bergbahn vor und das Ende war zwar rasant geschrieben, aber für mich sehr vorhersehbar. Den Mörder identifizierte ich leider, leider bereits ca. 180 Seiten vor der eigentlichen Auflösung. Mist. Vielleicht sollte ich den Beruf wechseln...

Der Schreibstil der Autorin ist einfach und mittelmäßig, manchmal etwas holprig und stellenweise recht einfallslos. Im Folgenden werde ich diese Auffassung gerne genauer erklären.

Als ich zum (gefühlten) zehnten Mal Begriffe oder Personen, die dem Leser näher erläutert werden sollten, nach dem (sehr simplen und meiner Meinung nach einfallslosen) Schema 'XY ist... YZ ist...' las, rollte ich genervt mit den Augen. Dies darf nach meinem Geschmack in einem Roman gerne ein- oder zweimal vorkommen – Betonung auf ein- oder zweimal!

Ebenfalls verstehe ich nicht ganz, weshalb vor (gefühlt) jedem „aber“ oder „doch“ ein Punkt zu stehen hat. Dies kann ein geschickter Kunstgriff sein, um einen unvorhersehbaren Einwand stärker zu betonen; leider verliert dieser Effekt an Bedeutung, wenn er – wie hier – inflationär verwendet wird. Gut möglich, dass dies eine Tendenz innerhalb der zeitgenössischen Literatur ist. Unter Sprachgefühl verstehe ich jedoch etwas anderes. Bei solchen Stellen geriet ich beim Lesen ins Holpern, da ich den Sinn der Punkte bzw. Pausen oftmals nicht nachvollziehen konnte.

Außerdem nervten mich die viele „Yeah's“. Alle Personen antworten, selbst wenn sie aus dem Bett geklingelt werden, mit diesem Wort. Ob dies eine originelle Übersetzung sein soll, damit es danach klingt, als würde die Figuren ständig Kaugummi kauen, weiß ich nicht. Das einfache „Ja“ liest sich meiner Meinung nach besser. In anderen Romanen kam mir das Wort lediglich im Kontext von Klassenunterschieden vor, um einen Gassenjargon zu verdeutlichen.

Ich muss dem Roman jedoch zugute halten, dass er sich sehr schnell lesen lässt.

Die Geschichte wird abwechselt von Kate aus der Ich-Perspektive und dem auktorialer Erzähler geschildert, was ich angenehm fand. Dank der gewählten Perspektive erhoffte ich mir einen Einblick in den inneren Konflikt der Protagonisten, die als Amische geboren wurde, ausstieg und fortan als „Englische“ lebt. Auf diesen interessanten Aspekt wird leider nur wenig eingegangen, was aber vermutlich daran liegen könnte, dass dies der Auftakt einer Reihe ist.

Grundsätzlich wird mit Hintergrundwissen zu den Amischen leider sehr gespart. Ich hoffe, die Autorin wollte sich angesichts der Reihe lediglich zurückhalten, um ihr Wissen peu á peu aus dem Ärmel zu schütteln.

Die Protagonistin hat, was die inneren und äußeren Konflikte anbelangt, viel Potenzial, das meiner Meinung nach noch nicht ausgeschöpft wurde. Kate ist eine toughe Chefin, deren Sprache eher schroff ist und die viel einstecken muss, aber ebenso gut austeilen kann.

Den Protagonisten, den ich an dieser Stelle nicht verraten möchte, fand ich aufgrund seiner Ecken und Kanten (nein, kein Schönling - Halleluja!) menschlicher und somit greifbarer als Kate. Ein Aspekt konnte ich jedoch bei ihm keineswegs nachvollziehen, auf den ich jedoch erst am Schluss mit einer Spoilerwarnung eingehen werde.

Andere Figuren, wie die Sekretärin Mona oder der Hilfspolizist Glock, blieben meiner Meinung nach oberflächlich, was sich hoffentlich im Laufe der Reihe ändern wird.

Erwähnen möchte ich noch, dass der Roman definitiv nicht mit Brutalität geizt. Manche detaillierten und monströsen Schockeffekte fand ich ekelerregend – aber das ist Geschmackssache und fließt demnach nicht in meine Bewertung ein. Warnen möchte ich noch jene potenzielle Leser, die von der Thematik Vergewaltigung getriggert werden können.

In meinen Augen war 'Die Zahlen der Toten' ein mittelmäßiger Roman mit vielen Schwächen, den man schnell lesen kann, aber nicht muss. Den Schauplatz ins Amish Milieu zu verlegen, ist jedoch erfrischend anders und vielversprechend. Trotz meiner Kritikpunkte möchte ich dem zweiten Band der Reihe eine Chance geben – in der Hoffnung, dass die folgende Geschichte besser durchdacht und geschrieben ist. Diesem Band vergebe ich 2,5 Sterne.




++++++++ SPOILER ! +++++++



Tomasellis Alkohol- und Pillensucht fand ich mehr als unglaubwürdig. Kaum trifft er auf Kate, verpufft dies. Wo bleiben die ernstzunehmenden Entzugserscheinungen und -probleme? Das fand ich sehr ärgerlich und realitätsfern.

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