Cover des Buches Die Bücherdiebin (ISBN: 9783570306277)
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Rezension zu Die Bücherdiebin von Markus Zusak

Etwas zu konstruiert

von Daryl vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Die Geschichte eines kleinen Mädchens in der Zeit des zweiten Weltkrieges, erzählt vom Tod persönlich. Leider etwas enttäuschend.

Rezension

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Darylvor 9 Jahren

(Diese Rezension ist meine persönliche Meinung. Alle Aussagen sind völlig subjektiv und sind nicht als absolute Wahrheiten zu werten.)
Nach der Gründung meines eigenen kleinen Buchclubs habe ich mich nach einiger Überlegung für "Die Bücherdiebin" als erstes Projekt entschieden. Wir wussten im Vorfeld genau drei Dinge:
  • Das Buch handelt von einem kleinen Mädchen.
  • Das Buch spielt während des zweiten Weltkrieges.
  • Es ist aus der Sicht des Todes erzählt.

Das reichte auch schon, um unser Interesse zu wecken und uns in die Lektüre zu stürzen. Leider wurden unsere Erwartungen etwas enttäuscht...

Zur Geschichte
Ich werde hier keine Zusammenfassung schreiben, das findet man in anderen Rezensionen zur Genüge. Die Geschichte ist auf jeden Fall interessant, wenn sie dann mal in Fahrt kommt. Leider plätschert der Plot in der ersten Hälfte des Buches nur so vor sich hin, ein roter Faden ist kaum erkennbar. Stattdessen werden die Charaktere vorgestellt und viele kleine Episoden aus dem Leben der Protagonistin Liesel erzählt. Dies finde ich im Prinzip auch nicht störend, nur sind die Episoden meist zu schnell vorbei, als dass man sich wirklich in die Situation reinversetzen könnte. Somit hat man nichts halbes und nichts ganzes.
Dies ändert sich etwas in der Hälfte des Buches, wenn Max auftaucht. Der episodenhafte Stil bleibt erhalten, jedoch entsteht plötzlich eine Verknüpfung der Ereignisse. Ein Schritt folgt auf den nächsten, aus einer zufälligen Stolperei wird plötzlich eine Richtung erkennbar. Dies macht das Leseerlebnis dann doch deutlich angenehmer.
Zum verschenkten Potential gehört auch der Tod als Erzähler. Diese interessante Idee wird leider nur selten relevant, bis auf gelegentliche Kommentare bleibt der Tod eine stille Kamera, welche auf Liesels Leben gerichtet ist. Was bleibt ist die Tendenz, praktisch alle wichtigen Ereignisse vorzugreifen (was leider manchmal einiges der Spannung zerstört) sowie den Nachteil, dass ein Grossteil der Emotionen nur von aussen beschrieben werden können ohne eine Sicht ins Innere der Figuren zu gewinnen. Die Personen bleiben somit eher gesichtslos (z.B. Liesel selber) oder werden zu Karikaturen ihrer selbst (z.B. Liesels Adoptivmutter Rosa, die laut fluchende Mutter mit grossem Herz - noch ein Nudelholz, dann könnte sie als Gutemiene in Asterix mitspielen).
Was bleibt ist der Eindruck, dass viele Figuren und Ereignisse sehr gezielt ausgewählt wurden, um bestimmte Emotionen hervorzurufen. Man nehme ein unschuldiges blondes Waisenmädchen, eine grosszügige Vaterfigur, eine strenge aber liebende Mutter...all diese Puzzle-Teilchen führen zu einer Geschichte, die ganz gezielt auf die Tränendrüsen drückt. Dabei hat mich der Schluss lustigerweise noch am wenigsten gestört, was auch daran liegen mag, dass er bereits in der Hälfte des Buches vorgegriffen wurde. Das führt bei mir schlussendlich eher zum Eindruck eines gezielt konstruierten Gebildes, statt einer "natürlich" entstandenen Geschichte.

Zum Schreibstil
Auch ein Thema, was das Buch deutlich von andern, ähnlichen Büchern abhebt. Zusak verwendet viele unterschiedliche Methoden, welche sonst selten zu sehen sind. Das startet mit einer Zusammenfassung des kommenden Abschnittes in der Form kurzer Überschriften ("Es spielen mit: ...), fett gedruckte Einschübe während des Textes, Zeichnungen, Würfel, etc. Während einige dieser Methoden ganz interessant waren (wie z.B. die Kurzzusammenfassungen), fehlte es vielen andern Dingen an Konstanz. Sind die fetten Einschübe Gedanken des Todes? Teils ja, aber oft nicht. Man kriegt manchmal den Eindruck, dass Textstellen zufällig ausgewählt wurden welche auch wunderbar im normalen Fliesstext funktioniert hätten, ohne an Bedeutung zu verlieren. Vergleicht man dazu z.B. die Fussnoten in den Büchern von Pratchett erkennt man da viel mehr Sinn. Ebenso die Entscheidung, ein ganzes Kapitel in einen "siebenseitigen Würfel" zu unterteilen - weshalb ein Würfel, weshalb eine Seite zu viel, wie hängen die sieben Ereignisse überhaupt zusammen? Es ist eine interessante Idee, aber Abwechslung allein um der Abwechslung Willen ist für mich keine genügende Begründung. Und mehr Gründe, weshalb diese Stilform in dieser Situation verwendet wurde, konnten weder ich noch meine Mitleser finden.
Neben dem Layout des Textes ist auch der Schreibstil selbst ziemlich einzigartig. Zusak verwendet eine extrem poetische, bildhafte Sprache. Da wird aus einem blonden Jungen ein "Junge mit Haar wie Zitrone". Leider wirken manche Stellen auch hier wieder ZU konstruiert. Manche Metaphern sind dann doch zu abstrakt und stolpern über sich selber. Als ich "Eine Scheibe Luft wurde ins Haus geatmet" gelesen habe musste ich tatsächlich kurz in der englischen Originalversion nachsehen, ob das tatsächlich so geschrieben wurde oder ob da was in der Übersetzung verloren gegangen ist. Es lag nicht an der Übersetzung.


Zusammengefasst
Wir drei waren uns alle einig, dass das Buch sehr viel Potential verschenkt. Dies ist insofern erstaunlich, dass das Buch sehr, sehr viel positive Resonanz geniesst. Ich bereue es nicht, "Die Bücherdiebin" gekauft und gelesen zu haben, es bot auf jeden Fall viel Stoff zur Diskussion. Für mich bleibt es schlussendlich ein interessantes Buch mit deutlichen Schwächen, was mehr von sich hält als es tatsächlich liefert. Von mir gibt es deshalb bloss 2 1/2 von 5 Sternen


Ein kurzes Wort zum Film
Interessanterweise macht der kürzlich entstandene Film zum Buch vieles besser, was mich im Buch gestört hat. Viele stilistischen Entscheidungen fallen in den Bildsprache eines Filmes weg, die Handlung ist etwas gestrafft und viele Ereignisse treten plötzlich schon zu Beginn in eine logische Abfolge. Leider gibt es ein paar Szenen, die deutlich verschlimmbessert wurden (der Schluss mit Rudi steht da ganz Oben auf der Liste). Trotzdem find ichs eine extrem gut gelungene Verfilmung, der ich mindestens 4 von 5 Sternen verteilen würde.








(Eine kleine Theorie für Leute, die das Buch schon gelesen haben - VORSICHT, SPOILER)
Am Schluss habe ich eine kleine Theorie entwickelt, welche einige der stilistischen "Unarten" des Buches erklären könnte. Liesel überlebt die Bombardierung von Molching ja bloss, weil sie damit beschäftigt war, ein Buch zu schreiben. Ein Buch, welches die Ereignisse ihres Lebens erzählt, und schlussendlich vom Tod gerettet wird. Somit legt dies den Schluss nahe, dass das ganze Buch "Die Bücherdiebin" von der Bücherdiebin selbst geschrieben und vom Tod bloss nacherzählt wurde. Bei einer 14jährigen Autorin, mit relativ wenig Kontakt zu Büchern ihrer Zeit, machen solche "einzigartigen" Metaphern plötzlich deutlich mehr Sinn.
Für mich wird mit diesem Gedanken im Hinterkopf das Buch deutlich stimmiger. Es ist keine "Carte Blanche", das Buch kriegt nicht plötzlich 2 Sterne mehr in meiner Bewertung. Aber ich kann mit gutem Gewissen aufrunden =)
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