Cover des Buches Die andere Hälfte der Hoffnung (ISBN: 9783426281000)
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Rezension zu Die andere Hälfte der Hoffnung von Mechtild Borrmann

Aufwühlend und herausragend

von gagamaus vor 9 Jahren

Rezension

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gagamausvor 9 Jahren

In „Die andere Hälfte der Hoffnung“ wird aus drei Handlungssträngen in der „Gegenwart“ und einem in der Vergangenheit eine dramatische Geschichte zwischen Ukraine und Deutschland gestrickt. Dank Mechthild Borrmanns virtuoser Erzähltechnik entsteht daraus ein gehaltvolles Buch, welches den Leser von der ersten Seite in seinen Bann zieht.

Es geht um Tanja und ihre Freundin Marina, die aus der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, um zu studieren und möglichst schnell Geld zu verdienen. Aber sie wurden wie viele andere junge Frauen getäuscht und im „gelobten Land“ wartet ein grausames und beängstigend menschenverachtendes Schicksal auf die beiden Mädchen. Doch Tanja gelingt die Flucht und sie landet bei einem einsamen Bauern, der auf ungeahnte Weise in das Geschehen eingreift.

Währenddessen versucht ein ukrainischer Polizist herauszufinden, wohin so viele Studentinnen spurlos verschwinden. Er lernt dabei Walentyna, die Mutter eines der Mädchen kennen, und verspricht ihr, dass er die Tochter finden und heil zurück bringen wird. Walentyna ihrerseits wird von der Ungewissheit fast erdrückt und beginnt in ihrer Not die Erlebnisse ihrer Vergangenheit für ihre vermisste Tochter aufzuschreiben. Und diese Geschichte ist mindestens genauso erschütternd, wie die Geschehnisse der Gegenwart.

Seit meinem ersten Buch von Mechthild Borrmann bin ich eines Besseren belehrt, dass nicht die große Seitenanzahl Kennzeichen eines großartigen Romans sein muss, sondern dass man mit wenigen Seiten und wohlgesetzten Worten mehr aufwühlen und begeistern kann, als manch dicker Schinken. Auch in „Die andere Hälfte der Hoffnung“ (ein kongenialer Titel, wie ich finde) ist es mir so ergangen.

Man wird sofort in die Geschichte reingeschmissen und hat kaum Zeit Luft zu holen. Die Hauptdarsteller kommen dem Leser ganz schnell ganz nahe und man leidet mit ihnen und hofft und bangt um sie, als wären es langjährige Freunde. Der Kummer, der die meisten von ihnen irgendwann im Buch ereilt oder ereilt hat, ist manchmal fast zu groß, um ihn zu begreifen. Und doch hat man immer das Gefühl, dass es eine Wahrheit in dieser Geschichte gibt, eine Verbindung zu realen Personen einer realen Welt. Deshalb ist es nicht immer leicht zu lesen und man sollte sich Zeit dabei lassen und die einzelnen Kapitel auch verdauen und überdenken.

Besonders interessant fand ich die Tagebucheintragungen des Lebens von Walentyna. Hier wird ein Stück Zeitgeschichte beschrieben, welches ich noch am Rande in meiner Jugend selbst erlebt habe ohne zu ahnen, wie es wirklich in Russland und der Ukraine abgelaufen ist und was die Menschen im Einzelnen dort erlebt haben. Dabei wird gezeigt, wie der damalige russische Machtapperat Tausende von Menschen missbraucht, im Ungewissen gelassen und mit seinen Maßnahmen und Anordnungen gar zu Krankheit und Tod verurteilt hat. Und noch heute leiden die Menschen unter den Auswirkungen eines Unglücks, welches jederzeit auch jedes andere Land der Welt ereilen könnte – siehe Fukoshima.

Der letzte Abschnitt löst alle Rätsel, deckt alle Lügen und Unwahrheiten auf, lässt keine Zweifel und keine Fragen zurück. Alle Stränge sind miteinander unlöslich verknüpft, haben ihre Ende und ihren Anfang gleichermaßen gefunden.

Das Buch ist sicherlich keines, welches man mit glücklichem Gefühl beiseitelegt, weil es teilweise einfach sehr traurig ist und die Menschen im Buch stellvertretend für die realen Menschen Schreckliches erleiden müssen. Aber das aufwühlende Leseerlebnis hat mich dennoch auch zufrieden gemacht, weil es ein Buch ist, welches so viel Tiefgang und Menschlichkeit in sich hat und ich eine Menge Dinge auf eindringliche neue Weise erfahren durfte.


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