Cover des Buches Karte und Gebiet (ISBN: 9783832161866)
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Rezension zu Karte und Gebiet von Michel Houellebecq

Karte und Gebiet

von rallus vor 11 Jahren

Rezension

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rallusvor 11 Jahren
Ersteinmal - es ist schwierig Houellebecqs letzten Roman zu fassen zu bekommen.
Zu emotionslos, zu scheinbar rund und glatt verläuft der Roman.
Dann ist es nicht sicher was Houellebecq überhaupt will, ein Kriminalroman, ein aus der Zukunft geschriebene Biografie eines französischen Künstlers, eine Bestandsaufnahme der jetzigen Gesellschaft mit Ausblicken wohin es gehen könnte?
Ja, das ist es alles und nur Houellebecq bekommt diese einzelnen Teile zusammen, dass sie nicht zerrissen wirken.
Dabei wirkt er selber als Bindeglied inmitten des Romans.
Seine Protagonisten sind vereinsamte Charaktere die selbstgewollt die Gemeinschaft anderer meiden, oder einfach nicht zustande bekommen.
Es ist nicht, dass ihnen etwas fehlt, nur spärlich flackert Bedauernis über die Einsamkeit, meist ist die Isolation die Konsequenz der Lebensweise.
Der Roman beginnt und endet mit Jed Martin ein von seinem - beruflich stark geforderten - Vater aufgezogener Halbwaise dessen Mutter früh Selbstmord beging.
Der Tod ist ein durch den ganzen Roman durchgehendes Thema so wie es in seinen früheren Werken der Sex war.
Doch der Tod beschäftigt die Menschen nun mehr als der Sex und ist auch wirtschaftlich interessanter.
Dies wird Jed Martin klar als er in Zürich nur 50 Meter neben der Sterbehilfeorganisation ein Bordell sieht, was aber weniger frequentiert als das Erstere ist.
Jed Martin hat viel Geld gemacht indem er Michelinkarten aus einem bestimmten Winkel fotografiert, so daß sie lebhafter als die echten Fotos dieses Gebiets wirken.
Die Karte schlägt das Gebiet.
Nach seinem Erfolg, widmet sich Jed der Malerei zu und bildet fiktive Ereignisse mit realen Wirtschaftmagnaten ab.
Der Verkauf verhilft ihm zu einem großen Vermögen, wozu auch der Schriftsteller Houellebecq (ja er selber) beiträgt, der das Vorwort zur Ausstellung schreibt.
Houellebecq (als Houellebecq) beklagt die Flüchtigkeit der Moderne:

Während die unbedeutendsten Tiergattungen, Tausende manchmal Millionen von Jahren existieren, ehe sie verschwinden,
werden gewerbliche Erzeugnisse innerhalb weniger Tage vom Erdboden gefegt, man räumt ihnen nie eine zweite Chance ein,
sie müssen ohnmächtig das unverantwortliche faschistische Diktat von Produktmanagern ertragen, die natürlich besser als alle anderen wissen,
was der Verbraucher will, und die behaupten, beim Verbraucher eine 'Lust auf Neues' entdeckt zu haben,
die in Wirklichkeit sein Leben in eine erschöpfende, verzweifelte Suche verwandelt, in ein endloses Umherirren zwischen ständig anderen bestückten Regalen.“


Gerade diese immer wieder in den Roman geworfenen Gesellschaftsbeobachtungen machen Houellebecq ja aus. Irritierend hier sind die in Schrägbuchstaben geschriebenen Wörter.
Teilweise sind dies gebräuchliche, aber können auch besondere Wörter sein. Sie lassen das Auge stolpern und über den Roman nachdenken.

Zu lesen sind die Ereignisse flüssig, ja selbst die unglaublichsten Situationen werden monoton und emotionslos dargeboten.
Doch das ist alles nur Fassade, das Menschenbild ist schon längst marode und dahin:

Die Menschheit ist manchmal seltsam, sagte er sich, während er die Nummer wählte, aber leider meistens in der Kategorie 'seltsam und widerwärtig', nur ganz selten in der Kategorie 'seltsam und bewundernswert'."

Hoellebecq ist ein verstörender Blick auf die Gesellschaft gelungen den er mit ungewöhnlichen Ideen und Allegorien zwar sparsam aber nachhaltig würzt, so dass es mir als Leser zwar nicht unbedingt gefallen hat was ich lese, aber ich mich der unbedingten Dringlichkeit seiner Wahrheit doch beugen muss.


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