Cover des Buches Unterwerfung (ISBN: 9783832197957)
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Rezension zu Unterwerfung von Michel Houellebecq

Müdes sexistisch-intellektuelles Geplänkel unterm Halbmond

von thursdaynext vor 9 Jahren

Rezension

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thursdaynextvor 9 Jahren
Rallus und Thursdaynext haben zusammen dieses Buch, mit einem brandaktuellen Thema, gelesen und auch zusammen daran gelitten.

"Unterwerfung" vorangestellt ist ein Zitat des Schriftstellers J.-K. Huysmans. Damit charakterisiert Houellebecq seinen Antihelden François bereits eindeutig - durch dessen Dissertationsthema - Werk und Leben J.-K. Huysmans.

"Im Grunde, dachte er, während er sich erhob ... ist mein Herz durch das lockere Leben verhärtet und vertrocknet, ich bin zu nichts nutze.“

Der bereits das nahende Alter verspürende Literaturprofessor ist ein bequemes, verwöhntes, oberflächliches, faules, zur Hypochondrie neigendes, sexistisch-chauvinistisches, hobbyloses Arschloch. Ausgestattet mit überlebensnützlichem, pseudointellektuell verbrämtem Opportunismus. Seine akribische, sich über acht Jahre erstreckende Dissertation, hat ihm zur Professur an der Sorbonne verholfen.

"Die Menschheit interessierte mich nicht, sie widerte mich sogar an. Ich betrachtete die Menschen keineswegs als meine Brüder, und ich tat es umso weniger, wenn ich einen kleineren Ausschnitt der Menschheit in Augenschein nahm, so zum Beispiel denjenigen, der aus meinen Landsleuten oder meinen ehemaligen Kollegen bestand. Dennoch musste ich wohl anerkennen, dass diese Menschen mir unangenehm ähnelten, dass sie meinesgleichen waren, auch wenn es gerade diese Ähnlichkeit war, die mich dazu veranlasste, sie zu meiden."

Das Einzige, was ihm ein wenig Lebensfreude bereitet, ist sein gut funktionierendes primäres Geschlechtsteil:

"Mein Schw... war im Grunde das einzige Organ, das sich mir nie durch Schmerzen bemerkbar gemacht hatte, sondern nur durch rauschhaften Genuss. Bescheiden, aber robust, hatte er mir stets treu gedient – das heißt: vielleicht war es sogar umgekehrt, und ich diente ihm – doch sein Regiment war ein sanftes: nie befahl er mir etwas, gelegentlich ermunterte er mich nur in aller Bescheidenheit ohne Groll und Wut ein geselligeres Leben zu führen."

Als die Freuden, die er sich damit bereiten kann abnehmen, erlahmt sein Lebenswille. Die Handlung spielt in der nahen Zukunft. Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich stehen bevor. Hinter den Rechten von Marine le Pen liefern sich die Sozialisten und die Bruderschaft der Moslems unter dem populistischen, liberalen Moslem Mohammed Ben Abbes ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ben Abbes gewinnt knapp das Rennen um den zweiten Platz und verbündet sich mit den Sozialisten, um die zweite Wahl zu gewinnen - was auch gelingt.

Das Land verändert sich, François muss sein bequemes Leben verlassen, da die Universität jetzt von Moslems geleitet wird. Doch seine Entwicklung besteht einzig darin, dass er es ein wenig bedauert, dass appetitlich verpackte Frauenärsche von den Strassen verschwinden, weil sie "resozialisiert" werden. Sein Weg ins Kloster aufgrund seiner Verzweiflung ob des altersbedingten körperlichen Verfalls seiner Person scheitert daran, dass man im Zimmer nicht rauchen kann, der in der Nähe vorbeidonnernde TGV ruhestörend ist und er die gewohnten Annehmlichkeiten vermisst. Die wirklich interessanten Ansätze streift Houellebecq allzu flüchtig:

"Mir war aber bereits klar geworden, dass der sich seit Jahren verbreiternde, inzwischen bodenlose Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprachen - also Politikern und Journalisten -, notwendigerweise zu etwas Chaotischem, Gewalttätigem und Unvorhersehbaren führen musste."

Die eklatante, politische und gesellschaftliche Umwälzung, die wirklich interessante Grundidee des Romans, wird nur aus François' eingeengter Sicht und daher so sparsam beschrieben, dass sie flach und öde erscheint, obwohl sie den Abbau aller emanzipatorischen Bestrebungen, den Sieg des Patriarchats und der Religion über die Demokratie beinhaltet. Dabei ignoriert Houellebecq , entgegen aller Logik und Wahrscheinlichkeit, sehr unelegant sämtliche Widerstände, die auftreten würden. Sie existieren nicht. Die gesamte Weiblichkeit Frankreichs lässt sich knechten ohne Aufstand und die Welt schaut zu? Never ever! Zumal eine Art der Argumentation im Buch darin besteht, dass das Christentum, ja das ganze Abendland seit 100 Jahren im Niedergang begriffen steht. Zu diesem Thema mag man positiv stehen, nur dass die durch den Humanismus begünstigte Emanzipation ein tragender Punkt im Aufstieg des Abendlandes war, lässt er völlig außen vor.

Sein abgehalfterter, egozentrischer Held findet durchaus eine Lücke, um sein bequemes nutzloses Leben weiterzuführen. Aber seine 'Entwicklung' besteht darin, zu konvertieren, um sich ein noch bequemeres nutzloseres Leben in der Polygamie zu ermöglichen (sein Traum von Partnerschaft: Eine gute versorgende Mutterfigurköchin mit ab und an, wenn ihm genehm, Tendenzen zur Dirne ...). Halleluja. Wie intellektuell. Diese geistlose Hirnwichserei setzt sich in Houellebecqs sterilen Sexszenen fort. Die weibliche Sexualität existiert hier nicht. Sie dient allein dem Vergnügen des Mannes. Passend zu den ursprünglich monotheistischen Religionen, die mit Sexualität, speziell weiblicher, ja durchaus auch das eine oder andere Problemchen haben.

Schreiben kann Houellebecq. Poesie, Charme und sprachliche Schönheit wurden nicht erwartet und diese Vermutung hat sich stark bestätigt. Stilistisch empfinden wir ihn als Mittelmaß. Der Plot des Romans allerdings ist dürftig. Begrenzt er sich doch auf die Sicht eines nur an sich selbst interessierten Literaturprofessors, dessen Nabelschau und seine stark eingegrenzte Weltsicht. So kann man nur erahnen, was sich sonst im Lande abspielt. Dadurch gerät die Schilderung der Dystopie in der ein laizistischer, demokratischer Staat den Humanismus über Bord wirft und die Hälfte seiner Bevölkerung unterdrückt - nur ein paar Alphamännchen begünstigt und ein noch deutlicheres Klassensystem schafft - zur reinen Nebenhandlung, die zudem wenig realistisch erscheint.

Schätzenswert an Houellebecq ist allerdings, dass er das kritische Denken geradezu herausfordert. Eben weil er sich, beziehungsweise seinen Protagonisten, als rechtslastigen, antihumanistischen Schwachkopf mit Schwanzfixierung geriert. Es gab tatsächlich Anflüge von Ironie in „Unterwerfung“. Als deutschsprachiger Leser, der wenig mit den „Heroen“ der französischen Literatur zu tun hatte, musste man zum besseren Verständnis aber einiges an Nachforschungsaufwand betreiben. Hier wären Fußnoten / ein Anhang nett gewesen. Uns war es nicht möglich, Autor und Roman zu trennen. Muss man, kann man das?

"Aber allein die Literaten vermitteln uns ein Gefühl der Verbundenheit mit einem anderen menschlichen Geist, mit allem was diesen Geist ausmacht."

Satire ist durchaus erkennbar. Ist sie aber auch hochkarätig?

"Allein das Wort Humanismus verursachte bei mir ein leichtes Gefühl von Übelkeit, aber vielleicht waren es auch die warmen Teigtaschen, mit denen ich es übertrieben hatte; ich nahm noch ein Glas Meursault, um das Gefühl zu vertreiben."

Kann Houellebecq überhaupt Satire? Sind sich François und der Autor nicht doch ein wenig ähnlich? Zumal der Typ Mann sich durchgehend in Houellebecqs Werke schleicht, sind deshalb ALLE Werke Houellebecqs Satire? Die Frage mag jemand anders beantworten. Aber in Houellebecqs Geist zusammen mit seinen Protagonisten herumzustreifen, ist alles andere als erhebend. Es ist deprimierend und widerwärtig.

„Ein Buch das man mag, ist zudem vor allem ein Buch, dessen Autor man gern begegnet, mit dem man gern seine Tage verbringt.“

Diesem Zitat stimmen wir vollauf zu. Dieser Roman Houellebecqs ist infolgedessen strikt zu meiden! Durch das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo und die Freiheit wurde das Interesse an diesem Buch sicherlich noch mehr geschürt. Houellebecq jetzt als Visionär zu bezeichnen, halten wir aus oben genannten Gründen dennoch für verfehlt.

Trotz alledem: Ein Buch, das polarisiert, das Denken und Diskussionen anfacht und das zeichnet - neben Stil, Charme und Poesie - auch gute Literatur aus, egal wie schmierig der Autor empfunden wird.

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