Cover des Buches Einfach unvergesslich (ISBN: 9783492060011)
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Rezension zu Einfach unvergesslich von Rowan Coleman

Ein Buch voller Erinnerungen

von Kittyzer vor 9 Jahren

Rezension

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Kittyzervor 9 Jahren
"Ich möchte dir gerne das Kleid da kaufen." Ich nicke in Richtung eines geblümten Kleides im Schaufenster gegenüber. Cremefarbene Baumwolle mit rosa Rosen. "Es ist so hübsch und stell dir mal vor, wie toll du darin aussehen wirst, mit einem Paar roter schöner Schuhe, rot lackierten Nägeln und rotem Lippenstift!"
"Ich kann Farben nicht leiden. Aber da du ja die Alzheimer-Trumpfkarte gespielt hast..."
Ich ziehe sie vom Tisch hoch und rüber in den Laden, wo sie das Kleid anprobiert, das ihr perfekt steht und Platz für ein bisschen Bauch lässt. Glücklich schleife ich sie mit zum Geldtresen und zücke meine Kreditkarte. Und da wird mir bewusst, dass ich meine PIN nicht mehr weiß. Also kann ich mein Geburtsjahr wohl doch vergessen.

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INHALT:
Claire ist grade einmal in den Vierzigern - und erhält eine Diagnose, die normalerweise erst Jahrzehnte später gestellt wird: Sie leidet an Alzheimer, und zwar einer Form, die durch Medikamente nicht verbessert werden kann. Irgendwann weiß sie nicht mehr, wer der Mann ist, der da in ihrem Bett schläft oder wie Telefone funktionieren und vergisst den Namen ihrer jüngsten Tochter. Es geht rapide bergab und sie hat Angst, vielleicht bald schon keinen einzigen klaren Moment mehr zu erleben. So legen Claire und ihre Familie ein Erinnerungsbuch an, in das sie all die schönen Erlebnisse und Momente hineinschreiben, damit sie ihnen länger erhalten bleiben kann, als sie wohl wirklich da sein wird...

MEINE MEINUNG:
Rowan Coleman nimmt sich in "Einfach unvergesslich" dem schwierigen und tragischen Thema der frühmanifesten Alzheimerdemenz an - an das ich mich bisher in literarischer Form noch nie herangetraut habe. Nicht nur, weil es emotional sehr mitnimmt, sondern auch, weil es da durchaus passieren kann, dass die Erzählung unglaubwürdig und albern wirkt. Wie kann eine außenstehende Autorin schließlich wissen, wie eine an Demenz erkrankte Person ihre Geschichte erzählen würde? Doch der Schreibstil überzeugt von der ersten Seite an mit Realitätsnähe und Einfühlsamkeit und reißt so sofort mit.

Claire ist eine Protagonistin, deren Krankheit zu Beginn des Buches schon einigermaßen fortgeschritten ist, dementsprechend verwirrt verhält sie sich des Öfteren auch. Aber in den Rückblicken und ihren klaren Momenten wird immer wieder klar, was für eine exzentrische, liebevolle und witzige Frau sie ist. Das hat sie auch an ihre Tochter Caitlin weitergegeben, die ebenso ihren eigenen Weg geht und sich rührend um ihre Mutter kümmert. Nicht alles funktioniert für sie so, wie es das soll, aber sie findet immer wieder auf die Spur zurück. Claires Ehemann Greg ist der Charakter, mit dem man am meisten mitleidet - er liebt seine Frau sehr und doch entfernt sie sich immer mehr von ihm. Er ist ein gutmütiger und zärtlicher Mensch, weswegen man ihn immer wieder in den Arm nehmen möchte. Und dann sind da noch die kleine, fröhliche und intelligente Esther, sowie Claires Mutter Ruth, wütend, weil sie zum zweiten Mal in ihrem Leben einen Menschen auf diese Weise verlieren muss, aber auch unendlich geduldig in ihrer Pflege. Die Figuren haben Ecken und Kanten und wirken gerade deswegen so berührend authentisch.

Mit ihnen gemeinsam entwickelt sich die Geschichte immer weiter, wird lebendiger und für den Leser greifbarer. Claire und Caitlin erzählen hauptsächlich die gegenwärtige Geschichte, aber in Zwischenkapiteln kommen auch Greg und Ruth zu Wort, lassen ihren Gefühlen freien Lauf und berichten von den schönsten Momenten ihres Lebens, die einen oft zum Lächeln, manchmal aber auch zu einem schweren Schlucken bringen. Insbesondere Claires Entfernung von ihrem Ehemann, obwohl die beiden gegenseitig in sich die Liebe ihres Lebens gefunden haben, ist schwer zu ertragen. Man will Claire irgendwie schütteln, doch zu sehen, wer das ist, der da in ihrem Haus wohnt - aber sie kann nichts dafür, und grade das ist es, was einen während des Lesens manchmal so mitnimmt, dass man das Buch kurz weglegen muss.

Zwischenzeitlich gibt es Momente, in denen sich mir die Erzählweise nicht ganz erschloss. Außer in den kursiven Kapiteln des Erinnerungsbuches wird im Präsens erzählt, weshalb es mir manchmal nicht ganz passend erschien, dass Claire, während sie davon erzählt, etwas vergessen zu haben, auch gleich dazu sagt, was sie vergessen hat. Und auch gibt es des Öfteren ganze Wiederholungen von Sätzen innerhalb einer Seite, die nicht nur auf der Thematik des Alzheimers beruhen können, weil sie auch in Caitlins Kapiteln vorkommen. Ansonsten jedoch passt alles zusammen: Die zwei Liebesgeschichten, die nicht in den Vordergrund treten, aber beide zu berühren wissen; der starke Zusammenhalt innerhalb der Familie, selbst wenn es mal Streit gibt; und der behutsame Umgang mit dem Hintergrund, wobei die Autorin aber auch Momente der Leichtigkeit mit einfließen lässt. Da ist eines sicher: Am Ende bleibt kein Auge wirklich trocken.

FAZIT:
Rowan Colemans "Einfach unvergesslich" ist eine tragische, aber auch an vielen Stellen wunderschöne Geschichte, die nicht nur vom frühmanifesten Alzheimer an sich handelt, sondern auch davon, wie die Familie darum kämpft, die betroffene Person trotzdem so lang wie möglich da zu behalten. Eine mutige Geschichte, der ich sehr gute 4 Punkte gebe.
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