Cover des Buches Deutscher Meister (ISBN: 9783455404951)
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Rezension zu Deutscher Meister von Stephanie Bart

Boxen in Zeiten der Diktatur

von Himmelfarb vor 10 Jahren

Rezension

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Himmelfarbvor 10 Jahren
Darf man einen Roman kritisieren, obwohl er das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte thematisiert? Oder muß man per se davon beeindruckt sein? Die Geschichte des deutschen Sinto Johann "Rukelie" Trollmann, der 1933 von den Nationalsozialisten erst instrumentalisiert, dann getötet wird, ist unglaublich, wie so viele Schicksale während des Dritten Reiches. Es ist der Autorin Stephanie Bart zu danken, dass sie Trollmann dem Vergessen entreißt. Wie sie das macht, ist allerdings wenig überzeugend. Seite um Seite wird beschrieben, wie der Erste Vorsitzende des deutschen Boxsportverbandes bemüht ist, die neuen Richtlinien der Nazis umzusetzen, und auch im weiteren Verlauf der Handlung versucht, Trollmann zu eliminieren. Leider ist keine der handelnden Person des Romans wirklich mit Leben erfüllt, es gibt keinerlei Entwicklung der Protagonisten, und das höchste der Gefühle des perfiden Ersten Vorsitzenden, gipfelt darin, dass er, der aus Liebe zum Führer Vegetarier geworden ist, "Heißhunger auf ein saftiges Kasseler" bekommt. Ein netter Gedanke, um Heuchelei zu beschreiben, nur kommt diese Phrase leider zwei mal kurz hintereinander, was man natürlich auch dem Lektorat vorwerfen kann... Ach ja, der Stil! Kommt irgendwie uninspiriert daher. Nicht nur gibt es unzählige Redundanzen, Stephanie Bart versucht, in den Dialogen "Berliner Schnauze", soll heißen, einen möglichst authentischen Umgangston zu erzeugen, was nur teilweise gelingt. Des weiteren sind die Dialoge wie in einem Drehbuch geschrieben, was ihnen jegliche Emotion entzieht. Nie, oder höchst selten, erfährt man, in welchem Duktus die Protagonisten reden, bzw.agieren. Um die Geschichte noch authentischer zu erzählen, treten im Verlauf der eher dürftigen Handlung einige Stars der 1930er Jahre auf, wie z. B. Elly Beinhorn, die Fliegerin, oder Hans Albers. Leider bleiben auch sie nur Staffage. Wirklich peinlich dagegen das kurze Auftreten von Sally Bowles auf Seite 96 ("Anderntags sagte Sally Bowles in ihrem abgedunkelten Zimmer in Schöneberg zu Christopher Isherwood:" I'm sure that some day you'll write the most marvellous novel...") Wenn man sich als Autorin schon diesen naseweisen Verweis auf eine der größten Erzählungen über das Leben im Berlin der 1930er Jahre, Christopher Isherwoods "Goodbye to Berlin", leistet, dann sollte man doch recherchiert haben, dass "Sally Bowles" nur der fiktionale Name von Isherwoods Bekannter Jean Ross ist, und Bowles nicht auch als historische Persönlichkeit verkaufen. Interessanterweise habe ich vor "Deutscher Meister" den kleinen, intensiven Roman "Laufen" von Jean Echenoz gelesen, der sich mit einem ähnlichen Thema, nämlich "Sport und Diktatur" befasst. Dort geht es um ein anderes Sportidol seiner Zeit, den tschechischen Läufer Emil Zatopek, und darum, welchen Repressalien er während das kommunistischen Regimes in der CSSR ausgesetzt war. Auf 128 Seiten schreibt Echenoz sich ins Herz des Lesers, und bringt einem Zatopek menschlich nahe, etwas! das Stephanie Bart auch auf über 300 Seiten nicht gelingen will. Liebe Leser, lest Echenoz und Isherwood! "Deutscher Meister" dagegen langweilt. Und, ja, man darf auch Romane kritisieren, die sich mit der Zeit der Nationalsozialisten beschäftigen...
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