Cover des Buches Hart auf hart (ISBN: 9783446247376)
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Rezension zu Hart auf hart von T. C. Boyle

Im Kampfgebiet

von rallus vor 9 Jahren

Rezension

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rallusvor 9 Jahren

Eine Gemeinschaftsrezi von Thursdaynext und rallus

Irgendwo in Costa Rica, Ex-Marine Sten, Schuldirektor im Ruhestand, ist mit seiner Frau auf einer Kreuzfahrt und hat eine Reise in einem nichtklimatisierten Bus gebucht. Die Fahrt wird zur Qual, der Schweiß rinnt ihm in Bächen den Körper hinab, es gibt nur lauwarmes Wasser zu trinken, ein Moment, in dem man als älterer Mensch alle seine verbrauchten Organe und Gliedmaßen spürt und wir dringen wie ein Korkenzieher in diese Gedanken ein, die um sich selbst kreisen, im Strudel immer weiter und tiefer in das Ich von Sten. Am Ende der Busfahrt wird die Gruppe ältlicher amerikanischer Kreuzfahrer von einheimischen Amateurräubern überfallen. Sten ist der Einzige, der sich wehrt, seine Ausbildung als Marine benutzt, um einen Dieb zu fassen und ihn in den Schwitzkasten zu nehmen. Am Ende ist der junge Mann tot.

Das Unangenehme ist, in der brütenden Hitze weiter auf die Polizei zu warten, die anderen dürfen in das klimatisierte Schiff zurück. Zu Hause ist Sten plötzlich der Held, der Held, der die Freiheit verteidigt - wie ein guter Amerikaner. Ab hier entwickelt die Geschichte um die Familie Stenson ihre ganz eigene Dynamik. Sohn Adam, ein spätes Geschenk seiner lange kinderlos gebliebenen Eltern, mittlerweile stramm auf die Dreißiger zugehend, taucht auf.

Adam, der als problematischer Jugendlicher jegliche psychologische Behandlung verweigert hat und auch heute noch verweigert. Sich von seinen Eltern komplett entfernt hat, aber immer noch nimmt, was sie zu geben bereit sind, arbeitsloser Waffennarr, und freiheitsverehrender Drogenbauer, dessen vorgebliche Liebe zur Natur ihrer Ausbeutung keine Grenze setzt. Adam der dermaßen "einen an der Waffel" hat, das man schon ahnt, es wird kein gutes Ende nehmen.

Sein großer Held ist John Colter, ein Trapper aus dem letzten Jahrhundert, der alleine den Lauf gegen die Blackfoot Indianer überlebte. Und so fühlt Adam sich auch, frei in den Wäldern und von jeglicher Verpflichtung und Zivilisation befreit.

Mit Sara taucht noch eine weitere patriotisch inspirierte Freiheitsfanatikerin auf. So frei, dass sie die Zusammenarbeit mit Behörden verweigert, weil sie "keinen Vertrag" mit ihnen hat. Als Sara sich allen juristischen Konsequenzen ihrer Handlungen zu verweigern versucht, trifft sie auf Adam.

Unlogik trifft Wahnsinn und die Chose entwickelt Dramatik, allein dadurch, dass jeder geistig gesunde Leser sich sicher sein kann, dass mit dem Gesetz, so lästig wie Steuer und Finanzamt, nicht zu spaßen ist. Auch nicht in Gods own Country. Gerade dort nicht. Sara, Hufschmiedin, geschieden, verbittert, mit sehr eigenen Ansichten über das Leben und die Männer, wird von Adam angezogen. Ihre Beziehung basiert auf Sex. Zumindest für Adam, den noch dazu Saras hausfrauliche Qualitäten hinsichtlich Futterbeschaffung locken. Soweit sein Gehirn das noch erfassen kann.

Was Sara antreibt, außer den knackigen virilen, jungen, freudenspendenden Körper, weiß sie selbst nicht exakt zu benennen. Egal, diese eine Sache funktioniert für beide, wenn auch unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen.

Alle Personen existieren mehr oder weniger in einem Kampfgebiet, in dem sie versuchen, ihre eigenen bohrenden Gedanken zu beherrschen, der andere wird zum Objekt, Gefühle sind auf eine tiefere tierische Ebene herab gezogen. Boyle beherrscht die Kunst, sich in verschiedene Charaktere einzugraben, perfekt. Selbst Adam, die abwegigste und schwierigste der drei Hauptpersonen, wird beängstigend intensiv in seinen verworrenen, brutalen Gedankengängen geschildert. Die Ursache dafür wird nicht thematisiert. Als Leser muss man ihn so nehmen wie er dargestellt wird. Hier skizziert der Autor grob. Es ist das System, diese dunkle Seite Amerikas, die ihn ankotzt und gegen die er anschreibt, die ihn ebenso verzweifeln lässt, wie seine Protagonisten, die alle selbst in ihrer Verzweiflung gefangen sind.

Folgerichtig hat er den Humor in seinem neuen Roman fast gänzlich weggelassen - es herrscht ja schließlich Krieg, im Innern wie auch in der Außenwelt. Einzig in den Szenen, in denen er die "typisch amerikanischen Rentner Kreuzfahrer" oder später die selbstorganisierte Heimatschutzgruppe vorführt, blitzt eine Form von resigniertem Zynismus durch. Adam kämpft gegen alle, Sara gegen den bösen Staat und seine Handlanger, Sten kämpft gegen das Alter.

Boyle hat, in seinem ihm eigenen, distanziert beobachtenden Stil einen harten und trockenen gesellschaftsspiegelnden Thriller erster Güte geschrieben. Nicht jeder Leser wird ihn mögen. Wir konnten uns dem ihm eigenen Sog nicht entziehen. Uns hat er erreicht.

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