Cover des Buches Runa (ISBN: 9783809026525)
Rezension zu Runa von Vera Buck

Was für ein Debüt!

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 8 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 8 Jahren
Vera Buck legt mit "Runa" einen medizinisch-historischen Roman vor, der mir nicht nur einmal einen kalten Schauer den Rücken hinunter gejagt hat.
Es ist eine große Zeit auf dem Gebiet der Neurologie und die große Zeit des Pariser Hôpital de la Salpêtrière. Eine sogenannte Nervenheilanstalt, die viele Weichen für die Forschung, auf dem Weg zu unserem heutigen Wissen, gestellt hat und wichtige Fachausdrücke geprägt hat - aber zu welchem Preis? Das ist eine der Fragen, mit der man sich bei der Lektüre unweigerlich beschäftigt...
"Runa" entführt den Leser ins Jahr 1884 an die berühmte Salpêtrière, wo unter der Leitung von Dr. Jean-Martin Charcot Experimente an Patientinnen durchgeführt werden. Seine dienstäglichen "Vorführungen" locken zahlreiche Neugierige an - unter ihnen auch die Schweizer Studenten Jori und sein Freund Paul. Die beiden verfolgen die Versuche an hysterischen Patientinnen wie gebannt. Besonders Jori, der in Pauline verliebt ist, die - ausgerechnet - ebenfalls an einer angeblichen Hysterie erkrankt und in der heimischen Nervenheilanstalt Burghölzli in Behandlung ist. Jori hat das hehre Ziel, seiner großen Liebe helfen zu können und steckt deshalb alle Energie in sein Studium.
Doch dann taucht Runa auf, ein Mädchen, das nicht isst und spricht, aber all den gängigen Behandlungsmethoden an der Salpêtrière trotzt. Selbst Charcot - stets von seinem Bestreben nach mehr Ruhm getrieben - resigniert an Runa, im Gegenteil zu Jori, der seine Chance sieht. Kann er mit einer gewagten Operation seinen lang ersehnten Doktortitel erlangen und dann zu Pauline heimkehren und sie ebenfalls heilen? Doch sein Plan ist sogar für die damalige Zeit schier undenkbar: er möchte den Wahnsinn aus dem Gehirn Runas schneiden und ihr so eine Genesung ermöglichen...

Dieses Buch ist etwas Besonderes, so viel schon einmal vorweg. Zum einen liegt das am Thema an sich, da ich so eine Geschichte noch nie gelesen habe. Ich finde, dass man deutlich die Leidenschaft der Autorin für dieses Fachgebiet bemerkt - die Herangehensweise ist bemerkenswert, da sich sehr gute Recherche, medizinische Details und Schilderungen mit haarstäubenden Gruselelementen mischen. Für mich war hier nicht nur stellenweise das Fürchten angesagt, sondern vor allem musste ich vieles sacken lassen. Es ist schlicht und ergreifend schockierend, was vor nicht einmal 150 Jahren viele Frauen im Dienste der Forschung und der Heilkunst (!) erdulden mussten. Nicht nur, dass man sie in Schubladen gedrängt und durch Zwänge und komplett absurde Methoden sie erst recht krank gemacht hat, nein, sie wurden auf das Übelste bloß gestellt, gequält und sogar getötet! Und keinen hat es so recht gekümmert... Wenn man dann noch liest, dass es sich bei den behandelnden Ärzten um Koryphäen der Neurologie gehandelt hat, von denen sich mancher zum Beispiel mit Sigmund Freud ausgetauscht hat, wird einem schlecht. Zumal mir klar wurde, dass so manche - noch heutige gültige - Erkenntnis auf Basis von brutalsten Versuchen erlangt wurde. Hier hat der Roman für mich schon fast philosophische Tendenzen, da er mich sehr stark zum Nachdenken gebracht hat, was ethisch ist und was gar unmenschlich. Diese angeblich hysterischen Frauen waren in den Augen der großen und wichtigen Köpfe lediglich Mittel zum Zweck. Ihr Leben war keinen Heller wert.
Der andere große Faktor dieses Buches ist die Sprache und der Stil der Autorin. Schlicht sind die Sätze und dennoch von ungeheuerlicher Eleganz. Dadurch wird die Geschichte besonders eindringlich und geht nicht nur aufgrund der schockierenden Stellen unter die Haut... Aber auch der Mix aus medizin-historischen Fakten und fiktiven Handlungen ist einfach nur gelungen. Auch wenn ich manche Stellen als schwer zu ertragen empfand, hat mich diese Geschichte und das Können Vera Bucks einfach vom Hocker gehauen.

Auch wenn "Runa" kein einfach zu lesendes Buch ist - was an der Thematik und dem bei mir ausgelösten Nachdenken darüber liegt, es lohnt sich so sehr. Als ich mich halbwegs an das Personal gewöhnt hatte, wurde ich auch schon von einer ganz eigenen Spannung mitgerissen und mit einer Handlung mitgerissen, die mich zu wichtigen Fragen geführt hat. Dass die Figuren nicht unbedingt Sympathieträger sind, liegt nicht an einer Autorin, die sie mir nicht nahebringen konnte, sondern schlicht und ergreifend daran, dass Vera Buck sie sehr authentisch dargestellt hat. So ist der einzige Lichtblick ein gewisser Joseph Babinski - aber um das in Gänze einordnen zu können, empfehle ich die Lektüre von "Runa".

Fazit: Wenn dies das Debüt einer jungen Autorin ist, dann kann ich nur sagen, dass ich schon jetzt mit allergrößter Neugier auf den zweiten Roman warte! Unbedingt lesen - auch wenn man für manche Szenen nicht unbedingt allzu zartbesaitet sein darf!
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks