Cover des Buches Tschick (ISBN: 9783499256356)
Melvadjas avatar
Rezension zu Tschick von Wolfgang Herrndorf

Lesenswert, aktuell und voller Freiheit-Leider aber mit einigen Schwachstellen

von Melvadja vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Lesenswert, voller Freiheit und aktuell, leider aber mit zu überzogener Jugendsprache-außerdem ist teilweise Ausdauer beim Lesen gefragt.

Rezension

Melvadjas avatar
Melvadjavor 8 Jahren

,,Kein Unfall, keine Behörde und kein physikalisches Gesetz konnten uns aufhalten. Wir waren unterwegs, und wir würden immer unterwegs sein, und wir sangen vor Begeisterung mit, soweit man bei dem Geklimper mitsingen konnte.“

Wolfgang Herrndorf hat mit seinem ,in der Öffentlichkeit oft als ,,modernes Huckleberry Finn Abenteuer“ umschriebenem, Roadtriproman ,,tschick“ ein Werk voller Freiheit, Selbstfindung und Tiefgang geschaffen. Ein Buch voller Abenteuer, Witz und beinahe philosophischen Gedankengängen -alles verpackt in der spontanen wie einzigartigen Reise zweier Jugendlicher quer durch Deutschland. Auch wenn es einige Schwachstellen zwischen den Seiten gibt.

In dem 2010 im Rowohlt Verlag erschienenen Roman ,,tschick“ geht es -wie schon im Namen zu erkennen- grundlegend um den Kurztrip der beiden Hauptcharaktere Maik Klingenberg und Andrej Tschitchatschow -kurz Tschick. Als dieser neu in die Klasse kommt und somit in Maiks Leben tritt, ist eine Freundschaft der beiden nur schwer vorstellbar: Tschick verkörpert Maiks Klischee des alkoholabhängigen Russen gänzlich, während Maik das genaue Gegenteil darstellt: ,,reich, feige, wehrlos“ und dazu noch unglaublich langweilig, wie er sich selbst beschreibt. Nichtsdestotrotz finden sich Beide später auf der Autobahn wieder- ohne Karte und Kompass in einem geklauten Lada und auf dem Weg in ein unbeschreibliches Abenteuer.


Das Buch beginnt in der Gegenwart auf einer Polizeistation, wo der Leser erstmals mit Maik Klingenberg bekannt gemacht wird, welcher im Verlauf die Ereignisse der Vergangenheit aufzählt und schlussendlich wieder auf die Gegenwart zurückkommt. Dieser Zeitenübergang gelingt Herrndorf so spielerisch und nebensächlich, dass man als Leser kaum etwas davon wahrnimmt und sich somit auch nicht irritieren oder im Lesefluss stören lassen kann.

Die Erzählweise von Maik ist so jugendlich wie erfrischend und an jeder Ecke gespickt mit Humor. Auch die ernsthaften, teils melancholischen Stellen im Buch lassen sich leicht aufnehmen und verarbeiten. Es gibt keine komplizierten Verschnörkelungen der Sätze, der Aufbau ist eher einfach gehalten. Dennoch liegt in Maiks teils leicht sarkastischer Erzählweise viel Tiefgang, der es schafft, den Leser trotz kurzen, einfachen Sätzen zu berühren. Und auch die hauptsächlichen Charaktere sind sehr schön ausgearbeitet. Man erfährt nebensächlich und ohne sich allzu sehr langweilen zu müssen viele Details über Maiks Leben und seine Motive, taucht ein in seine Gedankengänge und Gefühlswelt und lernt den grundlegenden Charakter der Figuren gut kennen. Während des Buches durchläuft Maik eine Charakterentwicklung, die der Leser nur schleichend am Rande wahrnimmt, ehe sie ganz am Ende zum Vorschein kommt. Viele Charaktereigenschaften verstecken sich dabei im großen Pluspunkt des Romans: der Dialoge. Zumeist ebenfalls kurz gehalten, bieten sie neben Maiks Gedankengängen oft Grund zum Lachen oder Nachdenken. Die Geschichte lebt von der erstaunlich klaren Sicht des Erzählers und den unterhaltsamen Wortwechseln zwischen Tschick und Maik.

,,tschick“ dient als Jugend- wie Erwachsenenliteratur gleichermaßen, obwohl einige Stellen den Bogen zu sehr überspannen. Teilweise klingt die jugendliche Wortwahl zu sehr durch; unterbewusst fasst man einige Gedankengänge Maiks als naiv oder zu überzogen im ,,Jugendslang“ gehalten auf. Hierbei ist vor allem das Alter entscheidend. Das Jugendliche ist in Teilen sehr schön und nah an der Zeit, an anderen Stellen gerade für jüngere Leser -je nach Geschmack- jedoch zu dick aufgetragen. Und auch die Spannung lässt hin und wieder etwas zu wünschen übrig. Vielmehr bewegt sich der Leser zusammen mit den Protagonisten durch eine Aneinanderreihung verschiedenster Erlebnisse, welche zwar durchaus interessant und skurril gestaltet, auf Dauer aber nicht imstande sind, eine packende Spannungskurve aufrecht zu erhalten. Als Käufer dieses Romans kann man sich zwar sicher sein, das Buch auch zu Ende zu bringen, ein kleines bisschen Ausdauer ist hierbei allerdings von Nöten. Und auch das offene Ende hätte meiner Meinung nach stärker ausgearbeitet werden können. Der Schluss rundet die Geschichte schön wie nachdenklich ab und regt dazu an, sich auch darüber hinaus Gedanken zu machen. Trotzdem hat mir persönlich ein kleiner Teil der Geschichte gefehlt-Etwas, das die Situation für Maik nach seinen Erlebnissen und zurück im Alltag genauer beleuchtet. Für den Leser fühlt sich nach dem Buch nämlich Vieles noch unfertig oder nicht weiter ausgeführt an. Zumindest einige ergänzende Angaben zum Ende des Romans hätten geholfen, damit besser abzuschließen und die Geschichte als vollständig hinzunehmen. So sitzt man etwas ratlos vor der letzten aufgeschlagenen Seite.


Dennoch ist Wolfgang Herrndorfs Roadtriproman ,,tschick“ durchaus lesenswert und vielschichtig-eben ein modernes Huckleberry Finn mit all seinen Vor- und Nachteilen. Und wenn es in Teilen auch etwas zu klischeebeladen daherkommt, so wird doch schnell klar, dass genau dies mit voller Absicht geschieht. Herrndorf lässt die beiden ,,Klischeefiguren“ Maik und Tschick, Sinnbilder zweier völlig verschiedener Welten aufeinanderprallen und schickt sie auf eine ebenso klischeehafte Reise ins Ungewisse. Doch wider Erwarten stellt sich diese als alles andere als trivial heraus und am Rande wird klar, dass nicht alle Vorurteile gerechtfertigt sind: Das ganze Buch ist eine kleine Kritik an unsere Gesellschaft, wenn auch zwischen den Zeilen und niemals zu auffällig. ,,tschick“ ist die einzigartige Schilderung von Freundschaft, Freiheit und Selbstständigkeit. Und von der ersten Liebe. Die oft geteilte Meinung, ,,tschick“ sei das perfekte Buch ohne Mängel und dazu generationenübergreifend muss ich hier jedoch für mich ein wenig einschränken. Trotz allem fehlt es der Erzählung an ,,Biss“ und durchgängiger Spannung-Meiner Meinung nach stellt es die jugendliche Naivität und Selbstfindung zu überzogen dar- für Erwachsene sehr amüsant, für Jugendliche eben nur eingeschränkt. Von insgesamt zehn Punkten würde ich dem Buch somit etwa sechs vergeben, in seinem Genre auch acht. Ein idealer Ferienroman, aber nicht unbedingt die große Kaufempfehlung. Lesenswert, im Gesamten aber doch eher in der Bücherei.

Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks