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Lese-Hase

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Cover des Buches Unser allerbestes Jahr (ISBN: 9783596511747)

Bewertung zu "Unser allerbestes Jahr" von David Gilmour

Unser allerbestes Jahr
Lese-Hasevor 9 Jahren
Kurzmeinung: EIne sehr berührende, wahre Geschichte über einen Vater, der mit seinem pubertierenden Sohn einen ungewöhnlichen Weg gegangen ist.
Ein gewagtes Experiment

Bücher, in denen es um Jugendliche geht, sind ehrlich gesagt nicht meine erste Wahl. Da ich selber keine Kinder habe und meine eigene Jugendzeit schon einige Jährchen zurückliegt, sind meine Welt und die Welt von Jugendlichen nicht gerade gute Nachbarn. Ich weiss also nicht mehr, warum ich auf dieses Buch gestossen bin. Heute bin ich dankbar dafür.

Der Klappentext lautet so: „Eltern sind auch nur Menschen. Und was macht man mit einem Sohn, der nicht mehr in die Schule gehen möchte? David, der Vater, hat eine ungewöhnliche Idee. ‘Unser allerbestes Jahr’ erzählt die wunderbare und wahre Geschichte darüber, wie Mut und Vertrauen belohnt werden, wie Zeit und Zuneigung Leben verändern können.“

Ein Jugendlicher, 16 Jahre alt, möchte also nicht mehr zur Schule – das allein ist ja noch nichts Ungewöhnliches. Dass sein Vater, bei dem er momentan lebt, ihn aber nicht dazu zwingt, ja nicht einmal versucht ihm zu erklären, warum es besser wäre, er würde es tun, das ist doch recht speziell. David Gilmour – denn die Geschichte ist die seines Sohnes und sich selbst – begreift eines Sonntagnachmittags, nachdem er vergeblich stundenlang mit Jesse Latein gebüffelt hat, „dass wir den Schulkampf verloren hatten.“ Er macht ihm ein Angebot: Jesse muss nicht mehr zur Schule, muss auch nicht arbeiten oder Miete bezahlen. Aber er muss mit seinem Vater zusammen (der Filmkritiker ist) wöchentlich drei Filme anschauen, die sein Vater aussucht. „Das ist die einzige Form von Ausbildung, die du bekommst.“ Und Drogen sind tabu.

Das Buch ist nun aber keine Abhandlung über die Kino- und Filmgeschichte, obwohl ein Kinogänger ganz nebenbei einige interessante Dinge erfährt und sich die Filme durch das ganze Buch ziehen. Aber David geht es vor allem darum, Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, mit ihm in diesem heiklen Zustand im Gespräch zu bleiben, einen gemeinsamen Punkt zu finden. Und bei drei Filmen pro Woche sind es Hunderte von Stunden, die sie gemeinsam auf dem Sofa verbringen.

Parallel zu den Geschichten in den Filmen wartet auch das Leben der beiden mit Geschichten auf. Jesse verliebt sich in ein Mädchen, das der Vater von Anfang an durchschaut und mitansehen muss, wie sich sein Sohn durch seine eigenen schmerzhaften Erfahrungen quält. Dabei schafft er es sogar, sich “Ich habe es dir ja gesagt” und andere Weisheiten zu verkneifen. Er selbst hat sich mit einer unsicheren beruflichen Zukunft auseinander zu setzen, denn seine Freiberuflichkeit – auch eine Entscheidung – will nicht so recht klappen. Und manchmal baut er auch richtig Mist: Als er die Zusage für einen grösseren Auftrag erhält, lädt er seine Frau und Jesse zu einem Urlaub nach Kuba ein. Als sie zurückkommen, ist der Auftrag weg. Und das Geld auch. Auch Erwachsene sind nicht perfekt.

Sehr erfrischend empfand ich auch, dass dem Leser niemals weisgemacht wird, Entscheidungen dieser Art würden einmal getroffen und damit hat sich’s. Immer wieder überkommen den Vater Zweifel: „Aber was ist, wenn sich nichts tut? Wenn ich ihn in einen Brunnen geworfen habe, von dem es keinen Ausgang gibt, nur einen beschissenen Job nach dem anderen, mit beschissenen Arbeitgebern und kein Geld und zuviel Alkohol? Was ist, wenn ich dafür den Boden bereitet habe?“

Doch genau auf diesen Zweifeln kann sich die Vater-Sohn-Beziehung entwickeln. Durch Liebeskummer, Arbeitslosigkeit, Zukunftsängste und Erinnerungen baut sich allmählich das Interesse und die Neugier am anderen auf. Sich gegenseitig Schwächen und Fehlschläge einzugestehen schafft Vertrauen und Bindung. Mit grosser Freude, aber auch mit Wehmut sieht David seinem Sohn im Laufe der Geschichte dabei zu, wie er langsam lernt, Dinge anzupacken und zu regeln. Und er weiss, was das bedeutet: Die neugewonnene Nähe täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Vater und Sohn in einem langen Prozess des Abschieds befinden. David ist sich im Klaren darüber, dass man „irgendwann nicht mehr viel für seine Kinder tun kann, aber man hat immer noch diesen Impuls.“

Aus dem vereinbarten einen Jahr sind letztlich drei geworden. Jesse wird erwachsen, wenn auch auf unkonventionelle Weise. In Begleitung eines Vaters, der ihm mit einer mutigen Entscheidung den Raum eingestanden hat, der nötig war. Jesse hat die Zeit bekommen die er brauchte, um herauszufinden, was er mit seinem Leben anfangen will. Der Vater kann auf drei schöne Jahre mit seinem Sohn zurückblicken, die ihre Beziehung gefestigt haben, ohne sie einzuengen. Er tut dies mit einer Mischung aus Melancholie und Stolz. Und ja: Natürlich geht die Story gut aus.

Neben der schönen Geschichte hat mich vor allem die Sprache des Buches überzeugt. Hier ist einer am Werk, der schreiben kann (David Gilmour ist Journalist und Schriftsteller). Einer, der die Sprache nie missbraucht, um zu beschönigen oder den Leser zu beeindrucken. Gilmour weiss ganz einfach, wie er mit Sprache erzählen kann, was er erzählen will. Ganz besonders wohltuend kommt das in den authentischen Dialogen zum Vorschein. Dialoge zwischen einem unsicheren Jugendlichen und einem manchmal ebenso unsicheren Erwachsenen. Dialoge also, die auf zerbrechlichem Grund gebaut sind.

„Unser allerbestes Jahr“ ist eine warmherzige, liebevolle und weise Geschichte, klug und unsentimental erzählt. Und das schönste daran: Sie ist wahr.

Cover des Buches Schloss aus Glas (ISBN: 9783453351356)

Bewertung zu "Schloss aus Glas" von Jeannette Walls

Schloss aus Glas
Lese-Hasevor 9 Jahren
Kurzmeinung: Eine wahre Geschichte, die man fast nicht glauben kann. Toll ist dabei, dass die Autorin nicht anklagt, sondern sehr eindrücklich erzählt.
Für einen Roman wärs too much ...

Wäre dieses Buch ein Roman, ich hätte es aus der Hand gelegt, weil ich es als gottlos übertrieben abgetan hätte. Aber es ist kein Roman, es ist wahr. True story. Und die geht so:

Jeannettes Walls, erfolgreiche Journalistin mit Wohnsitz an einer der besten Adressen in New York, sieht eines Tages auf dem Weg zu einer Party aus dem Taxi heraus eine Obdachlose in einem Mülleimer wühlen. Es ist ihre Mutter. Jeannette Walls sinkt in den Sitz. Sie will nicht, dass ihre Mutter sie erkennt. „Ich hatte schreckliche Angst davor, dass die Leute etwas über meine Eltern herausfinden würden, darüber, dass ich als Kind in Pappkartons geschlafen und tagelang gehungert hatte. Deshalb erzählte ich niemandem von meiner Vergangenheit – bis jetzt.“

Doch dieses Erlebnis ist ein Wendepunkt. Sie entschliesst sich, ihre Geschichte zu erzählen. Und so erfahren wir in „Schloss aus Glas“ von einer Kindheit in äusserster Armut mit Eltern, die ständig am Existenzminimum leben und alles tun, um für ihre Kinder dieses Leben als grosses Abenteuer darzustellen. Was auch lange Zeit funktioniert.

Jeannettes Walls’ Eltern halten nichts von Regeln und Konventionen. Oft verlassen sie Hals über Kopf – meist mitten in der Nacht – ihren momentanen Wohnort, auf der Flucht vor dem FBI, wie der Vater erzählt. In Wahrheit fliehen sie vor Gläubigern und dem Jugendamt. Die Mutter träumt von einer Karriere als Kunstmalerin und Schriftstellerin und arbeitet nur im äussersten Notfall in ihrem Beruf als Lehrerin, und auch das mehr schlecht als recht. Der Vater nimmt immer mal wieder Gelegenheitsjobs an, arbeitet aber eigentlich an einer Goldsuchmaschine, die die Familie endlich reich machen soll. Seinen Kindern verspricht er, ihnen ein Schloss aus Glas zu bauen. Diese wachsen grösstenteil unbeaufsichtigt auf, und die Eltern schaffen es immer wieder, ihr Leben als aufregendes und spannendes Abenteuer darzustellen. Sie weigern sich aus ideologischen Gründen, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Stattdessen hausen sie in ungeheizten Bruchbuden mit abenteuerlichen sanitären Verhältnissen. Oft ist der Kühlschrank tagelang leer, und die Kinder sammeln Pfandflaschen, essen Katzenfutter oder durchwühlen die Abfallkörbe in den Schulen. Die Grundlage der Erziehung in dieser Familie lautet: Wer es in der Jugend schwer hat, ist später besser fürs Leben gerüstet. Dennoch fordern die Eltern den Intellekt der Kinder heraus, und in der Familie wird viel gelesen. Überhaupt scheint in diesen Jahren der Zusammenhalt in der Familie sehr stark zu sein, obwohl man es als Leser oft nicht glauben kann, wie unverantwortlich die Eltern handeln. Die Autorin vergöttert ihren Vater und glaubt ihm lange Zeit, dass er immer alles im Griff hat. Doch als Jeannettes ältere Schwester in die Pubertät kommt und unangenehme Fragen stellt, als sie in einem Schulsommercamp erlebt, dass sie als „ganz normales Mädchen“ wahrgenommen werden kann, entsteht ein Plan. Die Kinder nehmen kleine Aufträge an – Babysitten, Nachhilfestunden, Gartenarbeiten – und sammeln gemeinsam Geld, damit eines nach dem anderen nach dem Schulabschluss nach New York gehen und ein eigenes Leben aufbauen kann. Derweil wird der Vater immer mehr zum Trinker, und seine Tricks, zu Geld zu kommen, werden immer gerissener. Einmal nimmt er seine halbwüchsige Tochter sogar in eine Bar mit, um den Männern den Kopf derart zu verdrehen, dass sie zu viel trinken und er sie beim Billard schlagen kann. Dass seine Tochter dabei beinahe genötigt wird, quittiert er mit „Ich wusste ja, dass du dich wehren kannst.“ In der Liebe zum Vater entstehen erste Risse. Und als er schliesslich ihre Ersparnisse entdeckt und sie ungehemmt versäuft, steht für Jeannette fest, dass sie weg muss.

Die drei älteren Geschwister schaffen es. Sie unterstützen sich gegenseitig in New York, die ältere Schwester wird Grafikerin, der Bruder Polizist und Jeannette ergattert sogar einen Studienplatz. Nur die jüngste Tochter bleibt ein Problemkind. Einige Jahre später ziehen die Eltern ebenfalls nach New York und leben als Obdachlose, bis der Vater schliesslich stirbt. Heute lebt die Mutter in einem Häuschen, das ihr Jeannette zur Verfügung gestellt hat. Ihre verwahrloste Lebensweise allerdings hat sie in dieses neue Zuhause mitgebracht.

Das Beeindruckendste an dieser Geschichte ist aber, dass Jeannette Walls nicht anklagt. Sie macht keine Vorwürfe, sie will kein Mitleid und keine Genugtuung. Sie erzählt einfach ihre Geschichte, klar und direkt, ehrlich und ohne Effekthascherei. Und genau das macht die Stärke und die Wirkung dieses Buches aus. Dass Menschen mit einem derartigen Hintergrund es aus eigener Kraft schaffen, aus der Misere herauszukommen, ja sogar an einer der renommiertesten Universitäten zu studieren, das rückt das eigene Schicksal in ein ganz anderes Licht. Bewunderung bleibt zurück, Bestärkung. Und ein wenig Demut.

Cover des Buches 6 Uhr 41 (ISBN: 9783552062559)

Bewertung zu "6 Uhr 41" von Jean-Philippe Blondel

6 Uhr 41
Lese-Hasevor 9 Jahren
Cover des Buches Der Seidenfächer (ISBN: 9783442367573)

Bewertung zu "Der Seidenfächer" von Lisa See

Der Seidenfächer
Lese-Hasevor 9 Jahren
Cover des Buches Die Deutsche im Dorf (ISBN: 9783596170623)

Bewertung zu "Die Deutsche im Dorf" von Lukas Hartmann

Die Deutsche im Dorf
Lese-Hasevor 9 Jahren
Cover des Buches Minnesota Winter (ISBN: 9783352008672)

Bewertung zu "Minnesota Winter" von Elli H. Radinger

Minnesota Winter
Lese-Hasevor 9 Jahren
Cover des Buches Everything I Never Told You (ISBN: 9780349134284)

Bewertung zu "Everything I Never Told You" von Celeste Ng

Everything I Never Told You
Lese-Hasevor 9 Jahren
Cover des Buches Die Giftholzbibel (ISBN: 9783492273848)

Bewertung zu "Die Giftholzbibel" von Barbara Kingsolver

Die Giftholzbibel
Lese-Hasevor 9 Jahren
Cover des Buches Meistersänger (ISBN: 9783404240180)

Bewertung zu "Meistersänger" von Orson Scott Card

Meistersänger
Lese-Hasevor 9 Jahren
Cover des Buches Die Bienenhüterin (ISBN: 9783442732814)

Bewertung zu "Die Bienenhüterin" von Sue Monk Kidd

Die Bienenhüterin
Lese-Hasevor 9 Jahren

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