bookscout
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Grenzen spielen eine zentrale Rolle in Julia Jessens einprägsamem Debüt. Sie zu erkennen, zu spüren und schließlich zu überschreiten, entgegen aller Vorschriften oder gängigen Moralvorstellungen. Weil man selbst im Dunklen steht und auf der anderen Seite das Licht wartet. Damit am Ende alles hell wird.
Am Beginn der Geschichte steht das Verbot der Großmutter, Nachbars Garten zu betreten oder die angrenzende Straße zu überqueren. Oda ist noch keine zehn Jahre alt, als sie sich dieser Regel widersetzt. Angsterfüllt, mit pochendem Herzen und doch wild entschlossen rennt sie wie der Wind durch den Garten und erreicht von der anderen Seite, über die untersagte Straße, die sichere Linie der Bordsteinkante. Das im Höllenritt zerrissene Kleid schiebt sie einem rasch erfundenen Hund in die Schuhe, ihr erstes von vielen wohlgehüteten, dunklen Geheimnissen, die ihr Sicherheit geben.
Je älter sie wird, umso besser lernt Oda, mit ihren Geheimnissen umzugehen, ihre Grenzen Stückchen für Stückchen weiter nach außen zu verschieben, im Gleichschritt mit ihrer wachsenden Begierde nach dem Licht. Alles, nur nicht feig sein. Wo kämen wir schließlich hin, wenn wir nicht mutig wären?
Mut braucht Oda auch, als sie als Pubertierende vor der gesamten Klasse tanzen soll, sich ganz öffnen, ihre innerste Gefühslwelt preisgeben. Oder als sie sich plötzlich zu Nils. dem Verlobten ihrer Tante, hingezogen fühlt, erste Gefühle aufkeimen, die Oda nicht einordnen kann und die noch weniger ausgelebt werden dürfen, im Kreis der heilen, liebenden Familie.
Der Leser begleitet Oda auf ihrer facettenreichen Lebensreise, sieht sie in Momenten des Lichts ebenso wie des Schattens, an den Meilensteinen ihrer Existenz. Lange Strecken dazwischen bleiben gänzlich im Dunklen, erschließen sich nicht, wie ein Kaleidoskop, das sich weiterdreht und kurz darauf ein anderes Bild präsentiert, zusammengesetzt aus den gleichen Steinchen und doch ganz neu.
Nichtsdestotrotz hatte ich schon bald das Gefühl, Oda zu kennen, ihre Zerrissenheit, ihre Motivation, ihre sperrige, aber liebenswerte Art. Sie, die sich nie in eine Form hat pressen lassen, die immer versucht, ihren Weg zu gehen, möglichst ohne jemandem wehzutun, aber auch ohne sich selbst zu verleugnen – das Dilemma des Lebens, und zugleich seine wunderbare Schönheit. Wo kämen wir hin, wenn wir nicht mutig wären.
Fein geschrieben, klug, anmutig, witzig – und mit der skurrilsten Hochzeit, von der ich je gelesen habe. "Alles wird hell" sollte man sich nicht entgehen lassen.
Bewertung zu "The Good Luck of Right Now" von Matthew Quick
Nach dem Tod ihres Mannes beschließt die unscheinbare Florence Green, ihren Mut zusammenzunehmen und mit einer Buchhandlung im verschlafenen Hardborough neu durchzustarten. Das Darlehen der Bank in der Tasche, macht sie sich mit Feuereifer und großen Hoffnungen an die Renovierung des bis auf die Grundmauern feuchten und großteils baufälligen Old House.
In ihrer Vorstellung hat der Dorfschaft zu ihrem Glück nur eine Buchhandlung gefehlt – doch die unfreundliche Realität holt sie bald ein. Nicht nur wird sie von einem Poltergeist heimgesucht, auch würde Hardboroughs "First Lady" Mrs. Gamart im Old House lieber ein Arts Center für Touristen sehen und ist mehr denn verstimmt, dass Florence sich ihren Plänen nicht fügt.
Als der phlegmatische BBC-Günstling Milo North Florence noch die Aufnahme eines aufstrebenden Werks eines Russen namens Vladimir Nabokov ins Sortiment ans Herz legt, um die schleppenden Umsätze anzukurbeln, spitzen sich die Ereignisse zu.
1978 erstmals veröffentlicht, wurde "Die Buchhandlung" 2000 auf deutsch übersetzt. Penelope Fitzgerald charakterisiert ein unprätentiöser Schreibstil, sicherlich ist sie keine Frau vieler Worte, ausufernde Elogen sucht man bei ihr vergeblich. Nichtsdestotrotz vermag sie stets genau die richtigen Worte zu wählen, sie trifft den Nagel zielsicher auf den Kopf.
Im Zuge der Lektüre fühlt man sich zunächst in die sprichwörtliche "gute, alte Zeit" der 1950er zurückversetzt, bis man realisiert, dass sich – bis auf kleine Details wie mangelnde Digitalisierung – wenig Weltbewegendes geändert hat. Die Dorfgemeinschaft ist, damals wie heute, geprägt von wechselnden Allianzen, Intrigen und geschickt getarnten Machtspielchen.
Ein stilles, aber umso stärkeres Buch über eine stille, aber umso stärkere Protagonistin.
Eine Reihe verschrobener und doch liebenswerter Charaktere beheimatet das verschlafene Städtchen Crosby – allen voran die auf den ersten Blick etwas hantige pensionierte Mathematiklehrerin Olive Kitteridge, die mit ihrem gütigen Mann Henry und Sohn Christopher hier an der unwirtlichen Küste Maines lebt.
Im Lauf der Jahre, im Wandel der Gezeiten darf der Leser sie und andere Bewohner Crosbys jeweils eine Etappe ihres Lebens begleiten – nie lange genug, um sie in der Tiefe kennenzulernen, jedochs stets weit genug, um ein besonderes Geheimnis zu entdecken.
Die liebevolle Verbundenheit der Autorin mit jedem einzelnen der Porträtierten überträgt sich unweigerlich auf den Leser, sodass sich mit dem Näherrücken der letzten Seite eine gewisse Wehmut einstellt.
Kurz vor Schluss wartet noch ein besonderer Leckerbissen für Strout-Fans: Die Enkelin Reverend Tyler Caskeys - bekannt aus "Bleib bei mir" – hat es mit ihrem Vater ebenfalls nach Crosby verschlagen.
Inhaltlich kann man kaum mehr verraten, denn einen klassischen Erzählstrang gibt es zunächst nicht. Jeder Bewohner steht für sich, erzählt seine Episode, seine Geschichte, erst nach und nach gelingt es, die losen Enden zu verknüpfen, das Bild entsteht mit der Lektüre.
Schlussendlich ist "Mit Blick aufs Meer" eine Hommage an die Vielfalt der Lebensentwürfe, der Entscheidungen und der Möglichkeiten – daran, dass man falsch abbiegen und dennoch ans Ziel gelangen kann.
Strout ist eine würdige Pulitzer-Preisträgerin und wird gerade jenen, die Rowlings "The Casual Vacancy" mochten, viel Freude bereiten.
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