Cover des Buches Ich gehöre keinem (ISBN: 9783442743230)
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Rezension zu Ich gehöre keinem von Åsa Linderborg

Eine etwas andere Kindheit …

von Herbstrose vor 7 Jahren

Rezension

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Herbstrosevor 7 Jahren

Åsa ist gerade vier Jahre alt, als die Mutter die Familie verlässt und das Kind beim Vater zurück lässt. Dieser ist, trotz aller Liebe, unfähig, das Mädchen ordentlich zu erziehen. Leif ist Alkoholiker, ist oft bis zur Bewusstlosigkeit betrunken und erbricht sich vor den Augen des Mädchens ins Spülbecken. Zwar verdient er gut als Metallvergütungsmeister, dennoch ist selten Geld im Haus. So isst man bei den Großeltern und Kleidung bekommt man gespendet. Hygiene ist ein Fremdwort für Vater und Tochter – man wäscht sich nicht, putzt keine Zähne und man schläft in unbezogenen Betten. Aber nach außen hin wird der Schein gewahrt, der Balkon wird jedes Jahr bepflanzt, es gibt Gardinen an den Fenstern und abends brennt immer ein Lämpchen hinter der Fensterscheibe. Erst als Åsa in die Pubertät kommt, ändert sich etwas. Sie zieht zur Mutter – und Vater stürzt völlig ab …

Åsa Linderborg wurde 1968 im schwedischen Västerås geboren, ist studierte Historikerin und arbeitet als Kulturredakteurin bei einer schwedischen Zeitung. Seit 1980 ist sie Mitglied der Linken Kommunisten Schwedens und wurde 1987 Ombudsmann der Kommunistischen Jugend. Sie ist Mutter zweier Kinder. Ihre Autobiographie "Ich gehöre keinem" erschien bereits 2007 in Schweden unter dem Titel „Mig äger ingen” und war für den August-Preis (nach August Strindberg) als bester schwedischer Roman des Jahres nominiert. Das Buch war die Basis für einen Film mit demselben Titel.

Diese Autobiographie lässt mich sehr zwiespältig zurück. Es ist einerseits eine tief berührende, traurige Geschichte, die von der Autorin völlig unsentimental und ohne Pathos erzählt wird – andererseits drängt sich mir die Frage auf: Warum tut sie das? Des Bucherfolges wegen? Muss es wirklich sein, dass man den (inzwischen toten) Vater so schonungslos bloß stellt? Die ganze Familie wusste Bescheid, aber anstatt den Mann zur Therapie zu schicken wurde seine Sucht ignoriert. Auch die Mutter, die ihr kleines Kind im Stich gelassen hat und später zu einer in Schweden bekannten Politikerin und Mitglied im Parlament der Linken wurde, bekommt von mir keine Sympathiepunkte. Ihre Antwort auf Åsas Frage, warum sie sie nicht mitgenommen habe, „Papa tat mir so leid, dass ich ihm das Schönste schenkte, was ich hatte, dich“, wird auch durch ihr wiederholtes beteuern nicht glaubwürdiger.

„Auch ein Alkoholiker kann ein liebevoller Vater sein“ schreibt Åsa Linderborg, was zweifellos stimmt. Sie wurde von Leif geliebt und sie liebte ihn auch, sehr. Sie führten eine liebevolle Beziehung und Åsa fühlte sich als Kind sehr wohl und geborgen bei ihm. Dies änderte sich, als sie älter wurde, das Vertrauensverhältnis schwand. Sie sah ihn plötzlich mit anderen Augen und zog, als sie 14 Jahre alt war, zur Mutter und deren neuer Familie. Zur Abiturfeier wurde Vater noch eingeladen, als sie promovierte war er nicht mehr erwünscht. Dennoch findet sich im ganzen Buch kein Wort der Anklage, weder gegen den Vater, noch gegen die Mutter. Der Schreibstil Linderborgs ist völlig unsentimental, nüchtern und ohne Pathos, klar und deutlich sind ihre Erinnerungen. Der Leser kann nur erahnen, dass die Autorin den vielen verpassten Begegnungen und den versäumten Gesprächen nachtrauert.

Fazit: Ein beeindruckendes Buch – ohne zu werten, ohne Anklage, aber dafür mit viel Liebe und Verständnis geschrieben – lesenswert!
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