„Wie ein Raubvogel zieht die Schuld ihre Kreise. Sie packt uns rasch.“
Ein Lehrer und seine Schüler in der Zwischenkriegszeit sollen hier einerseits aufzeigen wie sich die Menschen unter dem Nationalsozialismus verändern und zugleich ist es aber auch eine Suche nach Gott. Die Geschichte handelt von Entscheidungen und dem Zwiespalt zwischen richtig und falsch, dem Gehorsam, der von allen verlangt wird und wie die Jugend, aber auch Erwachsene sich den neuen Regeln beugen. Während die Schüler immer weniger Respekt vor dem Lehrer zeigen und er sich des Gefühls nicht verwehren kann, dass manche es regelrecht auf ihn abgesehen haben, wird alles noch schlimmer als ein Mord passiert und damit einen tragischen Verlauf auslöst, denn man so wohl nicht erwartet hätte.
In „Jugend ohne Gott“ wird aus Sicht eines desillusionierten Lehrers aufgezeigt, wie sich ihm seine Umgebung zur Zeit des Nationalsozialismus darstellt, aber auch wie er seinen Glauben, den er im 1. Weltkrieg verloren hat, erneut findet. Was hier heraussticht ist, dass der Lehrer, ein Großteil seiner Schüler und auch andere anonym bleiben bzw. man sie nur durch die Anfangsbuchstaben ihres Familiennamens kennenlernt. Während andere aber durchaus Namen haben, die hier schon eine gewisse Bedeutung erahnen lassen und man in diese so einiges hinein interpretieren kann, warum gerade diese ausgewählt wurden.
Die Geschichte ist in recht kurze Kapitel unterteilt und deren Titel ergibt sich meist erst richtig nachdem man diese gelesen hat. Auf relativ wenig Seiten beschwört der Autor eine düstere und drückende Atmosphäre herauf und zieht einen gekonnt in seinen Bann.
Ein Thema ist hier natürlich Gott bzw. wie Gott scheinbar viele auf der Welt verlassen hat. Als der Lehrer nach seinen Glauben wiederfindet, muten diese Szenen teils schon etwas surreal an, besitzen aber auch eine gewisse Aussagekraft und zeigen ein Bild davon wie Gott sich dem Lehrer auf Erden darstellt. Daneben ist natürlich auch der Nationalsozialismus ein Thema, wenn auch nicht unbedingt so präsent wie erwartet, sondern eher im Hintergrund und sorgt zusätzlich dafür, dass eine drückende Atmosphäre entsteht. Im Vordergrund sind es die verschiedenen Persönlichkeiten sowie ihr jeweiliges Umfeld und wie sie dies prägt, unter anderem eben durch den Nationalsozialismus der immer mehr um sich greift, aber auch durch die Eltern, die Sexualität, die Kriegsspiele, die Angst davor den Job zu verlieren uvm. Man erfährt wieviel Druck auf jedem einzelnen lastet und wie jede Entscheidung ihr Leben beeinflusst.
„Wenn kein Charakter mehr geduldet wird, sondern nur der Gehorsam, geht die Wahrheit, und die Lüge kommt.“
Der Lehrer selbst ist eine sehr komplexe, wenn auch nicht gerade wirklich sympathische Figur, allerdings soll er wohl auch nicht so rüberkommen, sondern eher wie jemand der mit sich selbst zu kämpfen hat und durchaus weiß, dass er mit der Masse mitläuft und aus Angst falsche Entscheidungen trifft. Gerade seine Entscheidungen sind es hier, die so einige Kettenreaktionen auslösen im Verlauf der Handlung, sowohl positiv als auch negativ.
„Wer mit Verbrechern und Narren zu tun hat, muss verbrecherisch und närrisch handeln, sonst hört er auf. Mit Haut und Haar.“
Als Lehrer will er den Kindern etwas mitgeben, was ihm zu dieser Zeit nicht mehr möglich erscheint und fühlt sich machtlos ihnen gegenüber. Trotz des anfänglichen Mitgefühls für ihn in seiner Situation tätigt er jedoch Entscheidungen die den Leser gegen ihn einnehmen, auch wenn man ihn bis zu einem gewissen Grade durchaus verstehen kann und wenn man ehrlich zu sich selbst ist, man sich auch selbst fragen muss, wie man sich wohl in so einer Situation verhalten hätte. Genauso geht es einem auch mit anderen Figuren, von denen man nach und nach mehr erfährt und ein komplexeres Bild von ihrem Leben bekommt als zu Beginn. Wieder einmal ist vieles eine Frage der Perspektive und Auslegung, wenn man am Ende wirklich alles erfahren hat. Es zeigt sich hier sehr eindringlich wie schnell eine einzelne Entscheidung aus Angst, schlechtem Gewissen, Neid oder auch Neugier etwas auslösen kann, das einem schon recht bald über den Kopf wächst und das man nie wirklich weiß, was im Inneren seines Gegenüber wohl wirklich vorgeht.
Bei diesem Buch schwirren einem während des Lesens viele Gedanken im Kopf herum und diese nach der Lektüre schriftlich festzuhalten ist schwerer als gedacht um dem Buch auch gerecht zu werden.
Fazit: Eine unglaublich intensive Geschichte, die einen während des Lesens und auch danach noch lange nicht loslässt. Zwar dauert es ein paar Seiten um sich an den Stil des Autors zu gewöhnen und sich in die Geschichte hineinzufinden, aber danach kann man sich ihr gar nicht mehr entziehen. Das passiert einerseits durch die drückende Atmosphäre, den oftmals philosophischen Stellen, den Geschehnissen an sich und auch durch die Interpretationsmöglichkeiten einzelner Dinge, die man auf den ersten Blick so vielleicht gar nicht wahrgenommen hat oder die einem auch nach der Lektüre noch einige Rätsel aufgeben. Ein Buch, dass man sicher einige Male lesen kann und es immer wieder auch von anderen Blickpunkten betrachten kann Definitiv anders als erwartet und dennoch fesselnd, obwohl es teilweise gar nicht so einfach ist alles zu verstehen und es einem weder die Figuren noch manche ihrer Handlungen einfach machen sie zu verstehen. 3,5 Sterne für dieses Buch, das ich erst durch eine Klassikerleserunde für mich entdeckt habe.
Ein überraschend intensives Leseerlebnis