Venedig: bunt und lebhaft, melancholisch und morbide, weltoffen und voller Geheimnisse, zwischen Tradition und Moderne, Sehnsuchtsort vieler Hochzeitsreisender – dies alles (und noch so viel mehr) steht für die mythenumrankte Lagunenstadt an der Adria. Auch viele Literaten konnten sich ihrem Zauber nicht entziehen, schöpften aus ihr die Inspiration und wählten sie als Handlungsort für ihre Werke: Thomas Manns „Tragödie einer Entwürdigung“ gipfelte in TOD IN VENEDIG, Donna Leon schickt Commissario Brunetti seit VENEZIANISCHES FINALE stetig durch die Gassen dieser Stadt, und auch der berüchtigte Giacomo Casanova erlebte amouröse ABENTEUER IN VENEDIG.
Was hier so romantisch-harmlos klingt, birgt auch große Gefahren für die Stadt. Die Menschenmassen, die sich täglich touristisch über die Stadt ergießen, die großen Kreuzfahrtschiffe, die in einen Hafen einlaufen, der nicht für sie geschaffen ist, und zudem die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels: Sie verändern das Leben in Venedig. Dies erkannte schon in den 70er Jahren der Künstler Štěpán Zavřel und schuf mit TRAUM VON VENEDIG ein phantasievolles Bilderbuch, das zum Träumen verführt aber auch einen ernsten Unterton besitzt.
Inspiriert von einem Bild, das Marco in der Schule gemalt hat, träumt er sich des Nachts in eine zauberhafte Welt: Seine Heimatstadt Venedig ist plötzlich gänzlich unter dem Meeresspiegel. Eine kleine Meerjungfrau lädt ihn ein, mit ihr gemeinsam durch die versunkene Stadt zu tauchen. Sie schwimmen vorbei an all den bekannten Gebäuden und Sehenswürdigkeiten, die nun im schemenhaften Licht, das sich durch das Wasser bricht, noch viel geheimnisvoller erscheinen. Doch das viele Wasser schadet zunehmend der Stadt, und es ist fraglich, wie lange diese Schönheit noch erhalten bleibt…!
Bereits Ende der 60er Jahre hatte Štěpán Zavřel die Idee, mit dem Bohem-Verlag eine Institution zu gründen, die den Kindern durch Bilderbücher die Kunst näher bringen sollte. So ist dieses Buch sein kunstvolles Vermächtnis, die Kinder für die Schönheit Venedigs zu sensibilisieren, und gleichzeitig sein Appell, die Stadt zu schützen.
Seine Bilder sind alles andere als naturalistisch, vielmehr verstärken sie mit ihrem Stil die märchenhafte Komponente der Geschichte. Zwar ist Venedig mit den markanten Bauwerken klar wiederzuerkennen, doch sind die Formen schmeichelnd rundlich. In den Bildern fächert sich das Panorama der Stadt harmonisch vor den Augen der Betrachtenden auf. Ebenso harmonisch wählte Zavřel auch seine Farben: Sie wechseln nuancenreich von Blau zu Grün, von Gelb über Orange zu Rot. Mit helleren Farben setzte er gekonnt Akzente und deutete Lichtreflexe an. Wasserpflanzen umspielen wunderbar schwebend und fließend die Architektur der Stadt und lassen diese geheimnisvoll erscheinen. Die Gebäude wirken, als würden sie sich gemeinsam mit der Vegetation im Wasser sanft hin und her wiegen. Seine Kunstwerke sind (passend zum Titel des Buches) traumhaft schön.
Anlässlich des 20. Todestages von Štěpán Zavřel erschien im Jahre 2019 seine Hommage an diese außergewöhnliche Stadt in einer limitierten Sonderedition, die mich sowohl absolut beeindruckt wie auch ganz und gar begeistert hat.