Cover des Buches Christa Wolf: Der geteilte Himmel (ISBN: B002AFDK46)
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Rezension zu Christa Wolf: Der geteilte Himmel von

»Der Himmel teilt sich zuallererst.«

von Kopf-Kino vor 7 Jahren

Rezension

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Kopf-Kinovor 7 Jahren
„Ein Schatten war über die Stadt gefallen, nun war sie wieder heiß und lebendig, sie gebar und begrub, sie gab Leben und forderte Leben, täglich. […] Wir gewöhnen uns wieder, ruhig zu schlafen. Wir leben aus dem vollen, als gäbe es übergenug von diesem seltsamen Stoff Leben, als könnte er nie zu Ende gehen.“

Halle an der Saale, 1961: Die einundzwanzigjährige Rita erwacht nach einem angeblichen Betriebsunfall in einem Krankenhaus und sieht sich mit ihren Erinnerungen konfrontiert: Wie sie als junges Mädchen ihr Heimatdorf verließ und voller Hoffnung in die Großstadt zog, den zehn Jahre älteren Chemie-Doktoranden Manfred sowohl kennen als auch lieben lernte und als Werkstudentin im Waggonwerk arbeitete.

Die Erzählung 'Der geteilte Himmel' schildert die Geschichte einer gescheiterten Liebe in Zeiten eines geteilten Deutschlands, was bereits in den ersten Seiten verraten wird. Somit stellt sich von Anfang an die Frage, wie es dazu kam bzw. was geschah. Zusätzlich gewährt das Buch einen Einblick in die DDR (Alltag und Krise) kurz vor Erbau der Berliner Mauer. Auf knapp 200 Seiten treffen viele Figuren, wie Funktionäre, Städter und Dörfler, Befürworter und Kritiker, ehemalige NSDAP-Wähler, Professoren und Genossen, aufeinander. Interessant ist hierbei, dass die zwei Hauptfiguren, die Liebenden, grundverschieden sind und unterschiedliche politische Einstellungen repräsentieren.

„Nach einer Weile sagt Rita: »Manchmal frag ich mich: Ist die Welt überhaupt mit unserem Maß zu messen? Mit Gut und Böse? Ist sie nicht einfach da – weiter nichts?“ […] Dann wäre jedes Opfer sinnlos. Wie er gesagt hat: Das Spiel bleibt immer das gleiche. Die Regeln ändern sich. Und über allem das Lächeln der Auguren...«“

Die Handlung spielt sich auf unterschiedlichen Zeitebenen ab: 1961 dient als Gegenwart, die Erinnerungen erstrecken sich von 1959 bis 1961, wobei einzelne Episoden ebenso vom Kriegsende berichten. Da Ritas Erinnerungen assoziativ und bruchstückhaft daherkommen, erlebt die Geschichte viele Zeitsprünge und folgt somit keiner linearen Erzählweise. Hierbei wechselt der auktoriale zum personalen Erzähler und zur Ich-Erzählform; Letztere kommt jedoch überwiegend kommentierend zur Sprache und erfolgt somit reflektierend. Dies gewährt dem Leser jedoch einen Einblick in Ritas Innenleben und Gedankengängen. Frühere Geschehnisse werden außerdem von anderen Figuren berichten. Der Ebenenwechsel erfolgt fließend, ist nicht immer sofort erkennbar, da er äußerlich nur selten zwischen den Kapiteln stattfindet, und unterstreicht das Bild der Protagonistin, die eine Suchende darstellt, gut.

„Inzwischen schreitet das Jahr voran. Die Zeiten schieben sich nicht mehr ineinander, dieses Fließen hat aufgehört. Die langen, bis zum Rand mit traumlosem Schlaf gefüllten Nächte, und die knappen Tage, nach den Vorschriften der Ärzte geregelt – das ist heute. Jenes unaufhaltsame Fortlaufen der Zeit, jenes Vorbeifliehen der Bilder – das war damals.“

Wolfs Sprache ist einfach, die Erzählform eher beschreibend gehalten. Hier und da blitzten tolle Bilder und Beschreibungen auf. Mich störte beim Lesen jedoch, dass das Wörtchen „man“ immer wieder mal verwendet wurde, aber das ist Geschmackssache. Die wörtliche Rede wird nicht immer als solche sichtbar markiert. Der Stil ist somit – trotz der Schlichtheit – eher eigen und gewiss nicht jedermanns Sache. Manchmal kam mir die Geschichte allzu zäh fließend vor, nicht immer wusste mich der Sound zu überzeugen (ein 'aber' als Satzanfang finde ich in den wenigsten Fällen sinnvoll bzw. begründet gewählt).

Obgleich die Liebesgeschichte lediglich auf den ersten Blick im Vordergrund steht und auf den zweiten Blick viel mehr zwischen den Zeilen hergibt, war mir die eine oder andere Szene schlicht und ergreifend zu sentimental gestrickt, was natürlich sehr subjektiv ist. Leider blieben mir einige Figuren viel zu blass, um ihre Einstellungen, Beweggründe und Konflikte nachvollziehen zu können. Hier hätte ich mir gerne mehr gewünscht, um einen Bezug zu erhalten; somit vergaß ich manche Figuren immer wieder mal innerhalb der 200 Seiten (!)und fragte mich beim wiederholten Erscheinen, wer diese Person denn nochmal war.

Dass die Hauptfiguren die damalig rivalisierende Gesellschaftsformen darstellen, gefiel mir sehr gut, ebenso die Kritik an der DDR, die die Autorin als ehemalige DDR-Bürgerin direkt anspricht, wie bspw. die materielle Versorgung. Auch wenn Wolf somit den einen oder anderen Punkt der Schönfärberei a la Propagandaliteratur umgeht, lässt sich - meiner Meinung nach - eine klare sozialistische Haltung herauslesen.

„Die Stadt, taub und stumm, war auf einmal wie unter Wasser getaucht, sie wußte es nur noch nicht. Hoch über ihr der Mond, eine bleiche Lampe aus der wirklichen Welt. Kein Laut sonst, kein Licht. Die Leuchtschriften, die nun hier und da aufsprangen, blieben geheime Chiffren, unentzifferbar. Kauft Salamander – Neckermann machts möglich – 4711 Immer dabei. Es war die Stunde zwischen Hund und Wolf.“

Zwei Mal brach ich das Buch bereits ab und las es erst beim dritten Versuch bis zum Ende. Dies zeigt vermutlich, wie ambivalent ich dieser Lektüre gegenüberstehe. Eine klare Empfehlung spreche ich demnach nicht aus, möchte aber eventuell ein weiteres Buch der Autorin lesen, da sie 'Der geteilte Himmel' am Anfang ihres Schriftstellertums schrieb.

„Licht, Luft,Kälte. Das fährt wie eine blanke Klinge in die filzige Decke der Gewohnheiten.“

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