Rezension
metalmelvor 16 Jahren
Gärten – eigentlich nicht so mein Ding. Ich finde sie schon oft schön zu betrachten, aber selber einen Garten zu gestalten, das wäre nichts für mich. Ich mag auch am liebsten Gärten, die etwas wildes, natürliches haben. Nicht diese abgezirkelten, exakten Anlagen. Die verursachen eher Beklemmungen. Da ist man doch nicht frei drinnen. Das sind auch keine richtigen Gärten für mich. Man muss der Natur auch ihren Raum lassen. Sie will sich doch entfalten und wachsen. Warum also sollte ich sie in ein Schema zwängen? Ich möchte ja auch nicht, dass man das mit mir macht. Und genau das habe ich gemerkt beim lesen: Ging es um Gärten wie Versailles oder Schönbrunn habe ich mich nicht wohl gefühlt, aber bei den Gärten von Blenheim oder Sissinghurst sah das schon wieder ganz anders aus. Überhaupt Sissinghurst – wohl einer der schönsten Gärten, die ich je gesehen habe! Letztes Jahr war ich da und habe ihn in seiner ganzen Pracht erleben dürfen. Nur der berühmte Weiße Garten war schon etwas verblüht. Vita Sackville-West hat sehr viel Liebe und Energie auf diesen Garten verwendet. Ihr Mann gestaltete die strukturierteren Teile der Anlage. Mir gefallen Vitas Gärten besser. 200 000 Besucher kommen jährlich und nehmen sogar in Kauf, dass der Besuch in der Hochsaison zeitlich begrenzt ist. Ich hatte das Glück, so lange bleiben zu können, wie ich wollte. Als Vita und Harold 1930 Sissinghurst Castle kauften, standen nur noch Torhaus, Turm und ein paar Wirtschaftsgebäude. Der Turm dominiert noch heute die Anlage und in ihm ist auch Vitas Arbeitszimmer untergebracht. Hier schrieb sie ihre Kolumne „In your garden“, Briefe an Virginia Woolf und einige Gedichte. Oder Blenheim. Hier ist Winston Churchill aufgewachsen. Natürlich existierten Palast und garten schon lange vor ihm. Wie die Autorin schon so richtig schreibt: „Blenheim Palace ist kein Landsitz und kein Schloss, sondern eine monumentale Übertreibung:“ Das stimmt! Ich war im Jahr 2000 dort und völlig überfordert von Gebäude und Garten. Ich wusste nicht mehr wo vorne und hinten ist, wo der Garten aufhört und die wilde Natur anfängt. Dafür verantwortlich war Lancelot „Capability“ Brown. Er schuf Rasenflächen, die unmerklich in die sanftgewellte Wiesenlandschaft übergingen. Er ließ Flüsse aufstauen, Uferlinien abrunden und ausgewachsene Bäume pflanzen. Die Kosten beliefen sich bis 1773 auf 21 500 Pfund. Heute hat Blenheim nur ein paar abgezirkelte Gartenanlagen, der Rest ist wunderschöne Natur. 1997 war ich in Villandry. Das liegt an der Loire. Der Garten dort hat etwas sehr akkurates, geradliniges, obwohl in den einzelnen Beeten und Rabatten viel Wildwuchs herrscht. Der Eigentümer Joachim Carvallo kannte nur ein Ziel: Schönheit durch Ordnung. So schuf er seinen Garten von 1909-1914. Besichtigt man ihn, glaubt man in einer Anlage aus der Renaissance zu stehen und doch ist der gesamte Garten ein Werk des 20. Jahrhunderts, der Elemente historischer Gartenbaukunst des 12.-18. Jahrhunderts vereint. Gerne hätte ich Pompeji, Père Lachaise und Giverny besucht. Aber da komme ich vielleicht irgendwann noch einmal hin. Sissinghurst Schönheit mit Nutzen gepaart und wieder Schönheit kittet mein zerbroch’nes Herz, gibt Gedanken Raum gleichbedeutend mit einem vergeblichen Traum. Vita Sackville-West