Seit 2014 bringt der Penguin-Verlag eine Buchreihe heraus, die "Penguin Monarchs". Es handelt sich um Kurzbiographien aller englischen und britischen Könige und Königinnen seit dem 11. Jahrhundert. Die Reihe beginnt mit den letzten angelsächsischen Herrschern vor der normannischen Eroberung. Auch Oliver Cromwell ist ein Band gewidmet. Mittlerweile sind mehr als drei Viertel der 45 geplanten Bände erschienen. Bald wird die Reihe vollständig sein. Die Bücher sind kleinformatig (13x18,5 cm) und umfassen maximal 150 Seiten. Sie enthalten farbige Abbildungen, Stammtafeln und kommentierte Literaturhinweise. Auch wenn eine entsprechende Angabe fehlt, ist davon auszugehen, dass sich die Bände an historisch interessierte Laien richten, die sich rasch über das Leben der englischen Monarchen informieren wollen. Als Konkurrenz zur renommierten Biographienreihe "Yale English Monarchs", deren Bände eher für den wissenschaftlichen Gebrauch in Frage kommen, sind die "Penguin Monarchs" nicht gedacht. Interessant ist die Reihe dennoch, denn der Verlag hat zahlreiche namhafte Historikerinnen und Historiker als Autoren gewonnen. Damit ist sichergestellt, dass sich die einzelnen Kurzbiographien auf der Höhe des heutigen Forschungsstandes bewegen.
Mit seiner Biographie Eduards IV. (1442-1483) führt A.J. Pollard den Leser mitten hinein in die dramatische Zeit der Rosenkriege. Um 1450 befand sich England in einer schweren politischen Krise. Heinrich VI., der dritte und letzte König aus dem Hause Lancaster, war schwach, unfähig und zeitweise geistig umnachtet. Seine Vettern aus dem Hause York, einem anderen Zweig der Plantagenet-Dynastie, machten ihm offen die Krone streitig. Der Konflikt zwischen den beiden rivalisierenden Familien und ihren jeweiligen adligen Anhängern mündete schließlich 1455 in die sogenannten Rosenkriege. Dreißig Jahre lang, bis 1485, rangen die Häuser Lancaster und York um die Macht. Immer wieder entbrannte der Streit nach längeren Friedensphasen aufs Neue. Zunächst führte Richard, Herzog von York (1411-1460), die Opposition gegen Heinrich VI. an. Nach seinem Tod in der Schlacht von Wakefield Ende 1460 übernahm sein jugendlicher Sohn Eduard die Führung des Hauses York. Dem noch nicht Zwanzigjährigen, der eine solide militärische Ausbildung erhalten hatte, gelang das für unmöglich Gehaltene: Binnen weniger Wochen siegte er Anfang 1461 zweimal über die königlichen Truppen. Heinrich VI. suchte sein Heil in der Flucht, während Eduard von York von einer spontan gebildeten "Volksversammlung" zum neuen König ausgerufen wurde. Die Rosenkriege waren reich an unerwarteten Wendungen. Ein Aufstand und Verrat unter den eigenen Anhängern zwangen Eduard IV. Ende 1470 ins Exil. Doch es kam für ihn nicht in Frage, sich geschlagen zu geben. Er kehrte Anfang 1471 mit einer Handvoll Männer nach England zurück und erkämpfte sich die Krone ein zweites Mal, zum sprachlosen Erstaunen der Engländer und Europas. Fortan regierte Eduard IV. unangefochten.
Wie Pollard in der Einleitung darlegt, waren sich Zeitgenossen und spätere Historiker uneins in der Beurteilung Eduards IV. Der erste König aus dem Hause York besaß Stärken und Schwächen, Vorzüge und dunkle Seiten. Eduard war hochgewachsen und gutaussehend, im Umgang mit Menschen gesellig, leutselig und gewinnend. Er war ein brillanter Heerführer, der Soldaten zu begeistern und zum Sieg zu führen verstand. Doch in manchen Situationen kam Eduards bösartige und rachsüchtige Seite zum Vorschein. Wenn es nötig war – oder nötig zu sein schien –, legte der König eine Härte und Grausamkeit an den Tag, die seine Zeitgenossen verstörte. Eduard hatte keine Hemmungen, seinen Bruder Georg, Herzog von Clarence, in einem Schauprozess wegen angeblichen Hochverrats zum Tode verurteilen zu lassen. Die Rosenkriege waren eine Zeit roher Gewalt, und so hatte auch Eduard keine Skrupel, Menschen aus dem Weg zu räumen, die seine Herrschaft gefährdeten. Ein anderes prominentes Opfer war sein Onkel und einstiger Mentor, der Graf von Warwick, der berühmte "Königsmacher". Er bezahlte seine Mitwirkung am Umsturz von 1470/71 mit dem Leben. Auch Eduards Leistungen als König finden in der Forschung unterschiedliche Bewertungen. Pollard gehört zu jenen Historikern, die Eduard eher kritisch sehen. Folgt man Pollard, so konzentrierte sich Eduard IV. auf Naheliegendes, kurzfristig Erreichbares. Ihm fehlte politischer Weitblick, der Mut zu durchgreifenden Reformen. Es gelang ihm nicht, die Verhältnisse in England so zu stabilisieren, wie es sich das Volk wünschte.
Gegen Ende seines Lebens verlor Eduard nahezu das Interesse an den Staatsgeschäften. Die Jagd, Tafelfreuden und amouröse Abenteuer füllten seine Tage aus. Schon die Zeitgenossen fanden diesen liederlichen und zügellosen Lebenswandel anstößig. Als Eduard IV. im Frühjahr 1483 mit nur 41 Jahren starb, war er körperlich verbraucht und vorzeitig gealtert. Sein gleichnamiger ältester Sohn, der Thronfolger, war erst 13 Jahre alt, also noch nicht regierungsfähig. Niemand rechnete damit, dass Eduards jüngerer Bruder Richard von Gloucester den Kindkönig beiseiteschieben und die Krone an sich reißen würde. Das Haus York zerfleischte sich selbst, und dem Haus Lancaster eröffnete sich eine unerwartete Gelegenheit, den Thron zurückzuerlangen. Ein Neffe Heinrichs VI., Henry Tudor, besiegte den Usurpator Richard 1485 in der Schlacht von Bosworth. Kaum 25 Jahre lagen zwischen Aufstieg und Untergang des Hauses York. Wie Pollard betont, stammten Eduard IV. und Richard III. aus einer dysfunktionalen Familie, die zu Selbstzerstörung neigte. Anstatt seinen jungen Neffen zu unterstützen, gierte Richard von Gloucester selbst nach der Macht. Mit der Absetzung Richards II. (1399) und Heinrichs VI. (1461) waren verhängnisvolle Präzedenzfälle geschaffen worden. Die York-Brüder Eduard und Richard waren überzeugt, dass die Krone dem gehörte, der kühn und verwegen genug war, sie sich zu nehmen. Es fehlte nicht viel, und Richard III. hätte seinen verstorbenen Bruder nachträglich zum Bastard erklären lassen, der niemals auf den Thron hätte gelangen dürfen. Er begnügte sich schließlich damit, nur Eduards Kinder zu Bastarden erklären zu lassen, um seinen Staatsstreich notdürftig zu rechtfertigen.
Da es auf dem deutschen Buchmarkt keine (seriösen) Werke über die Rosenkriege gibt, von Biographien der englischen Könige des 15. Jahrhunderts ganz zu schweigen, ist auch dieser Band der "Penguin Monarchs" sehr gut als Einstiegslektüre geeignet.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Juli 2020 bei Amazon gepostet)