Nachts kommen die Träume und die Erinnerungen. Meist verblassen sie schnell, so als ob die Helligkeit des neuen Tages alles überblendet und dabei alles fast vollständig löscht. Es bleiben oft nur bruchstückhafte Standbilder zurück, ein unerklärliches Glücksgefühl, nackte Angst oder einfach gar nichts.
Doch was ist, wenn die Bilder nicht verschwinden wollen, und sich ganz klar zu erkennen geben, sich geradezu aufdrängen, und wenn sie stets eine gewisse Uhrzeit bevorzugen? So ergeht es Yarima Lalo, dem es, fast zwangsläufig, gelingt, diese Erinnerungen festzuhalten.
Er ist Maler und somit in der Lage, das offenbar Geschehene auf Leinwand zu übertragen. Bilder, die sich mit seinen beiden vorherigen Leben und seinen jeweils gewaltsamen Toden beschäftigen. Anders als seine weiteren Arbeiten sind diese Werke aber unverkäuflich, weshalb sie in seinem Atelier und Laden meist verdeckt aufgestellt sind.
Eine ebenso merkwürdige wie erwartungsvolle Stimmung breitet sich bereits in den ersten Zeilen und auf den ersten Seiten aus, und es ist kaum möglich, sich diesem Zauber zu entziehen. Zudem gestalten sich die weiteren Ereignisse mehr als mysteriös und lösen eine erwartungsvolle Unruhe aus.
Dafür ist nicht nur eine Frau namens Azisa verantwortlich, die ebenfalls um die schon zitierte Uhrzeit im Laden des Malers auftaucht, sondern auch jene Kinder mit Karren, die immer wieder unerwartet auftauchen und verschwinden, und welche sich, in scheinbar neugieriger Verwunderung, stets in wundersamen Andeutungen auszudrücken pflegen:
"Du wärst erstaunt, was man im Dazwischen alles findet."
Es dauert nicht lange, bis so etwas wie eine Parallelwelt entsteht, die nichts anderes als eine andere Wirklichkeit sein könnte, in die man unaufhaltsam immer weiter eindringt, geradezu muss, allerdings ohne dabei viel tun zu müssen. Außer lesen natürlich...
Haupt- und Nebendarsteller/innen sind mit atemberaubender Intensität gezeichnet. Der nigerianische Autor nimmt uns an die Hand, bis wir uns in seiner geschaffenen Welt aus Realität und Phantasie frei bewegen können. Wir können den Laden des Malers betreten und Yarima Lalo beim Malen über die Schulter schauen!
Die Stimmung, die sich in diesem Buch entfaltet, erinnert an ferne Tage in der Vergangenheit, als man die Faszination des geschriebenen Wortes entdeckte. Leserinnen und Leser reisen ihren eigenen Lebensweg zurück und kommen schließlich in jenen Tagen an, als sie erstmals, aus welchen Gründen auch immer, die magische Anziehungskraft der Bücher entdeckten.
Mit ihrer Hilfe konnten sie, über alle Horizonte hinweg, in ferne Welten reisen und Möglichkeiten entdecken, den eigenen Horizont zu überschreiten, um vielleicht einfach nur zu sehen, was passieren oder nicht passieren mag.
Auch wenn man damals vielleicht noch nicht alles verstanden hatte und nachvollziehen konnte, so wusste man dennoch, dass es niemals mehr einen Rückweg geben würde. Davon wegzukommen war fortan nicht mehr vorstellbar. Sollte Abubakar Adam Ibrahim mit seinem Buch so etwas, wie auch immer, im Sinn gehabt oder geplant haben, so ist ihm das mehr als gelungen.
Darüber hinaus hat er auch weitere Botschaften versteckt, die, gut getarnt im Kleid anderer Wirklichkeiten, einen ganz klaren Bezug zur Realität bilden. Wenn man so will, eine Art Brücke zu einem größeren Ganzen.
Ob jedoch Empathie oder so etwas wie Vergebung in Anbetracht der Dimensionen der beschriebenen Taten wirklich angebracht oder umsetzbar ist, bleibt dem Empfinden der Leser/innen überlassen, ebenso die Spur einer, wenn auch vornehmen, Ratlosigkeit am Ende.
Abubakar Adam Ibrahim
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Neue Bücher
Alle Bücher von Abubakar Adam Ibrahim
Zeit der Glühwürmchen
Wo wir stolpern und wo wir fallen
Season of Crimson Blossoms (English Edition)
Neue Rezensionen zu Abubakar Adam Ibrahim
Zeit der Glühwürmchen
Die Geschichte handelt vom Maler Yarima Lalo der von Erinnerungen aus seinem früheren Leben verfolgt wird. Doch woher kommen die Bilder? Scheinbar wurde er schon zweimal der Liebe willen ermordet. Er macht sich mit seiner Geliebten Aziza auf eine Reise durch Nigeria um dort seine früheren Leben zu suchen.
Dort trifft er auf ein geheimnisvolles Kind, dass eine Verbindung zur Geisterwelt hat. Diese Geschichte handelt einerseits in einer übernatürlichen Welt und andererseits in der realen Welt. Die Geschichte handelt von Liebe, Tod und Erlösung und ist sehr spannend geschrieben. Mir hat sie sehr viel Anregung zum Nachdenken gegeben. Ein spannendes und lesenswertes Buch.
„Durch das Dunkel seines Denkens trieb eine einsame Libelle und zog kleine weiße Lichtpünktchen hinter sich her. Mit ausgebreiteten geäderten Flügeln ließ sie sich in der Leere seines Verstandes nieder.
Aus vier Flügeln wurden acht, aus einem Körper zwei und eine weitere Libelle kam zum Vorschein, machte sich los und flog davon."
Der nigerianische Maler Yarima Lalo bekommt plötzlich Visionen an seine gewaltsamen Tode, aus zwei früheren Leben. Beide Male war er verliebt und wurde der Liebe wegen getötet. Lalo kann sich diese Visionen nicht erklären und versucht sie in seinen Bildern zu verarbeiten. Seine Freundin Aziza glaubt ihm und zusammen reisen sie durch Nigeria zu den Spuren seiner früheren Leben. Die Geisterwelt, die sich ihm geöffnet hat zeigt sich in Form kleiner Kinder, die sich um die Seelen der Verstorbenen in Form von Glühwürmchen kümmern. Ein Kind scheint ihm zugeteilt und steht ihm zur Seite.
Abubakar Adam Ibrahim hat hier einen ganz wunderbaren Roman geschrieben. Sehr mystisch angehaucht, findet wir uns im von Gewalt beherrschten Nigeria wieder. Die Geschichte spielt in einem für uns sehr fremden Land, dass von Boko Haram terrorisiert wird. Menschen werden einfach getötet und Frauen vergewaltigt. Trotz dieser ganzen erschreckenden Brutalität ist dieser Roman sehr poetisch und fast schon märchenhaft geschrieben.
Teilweise haben wir hier eine sehr zarte Liebes - und Familiengeschichte, es geht aber auch um Kunst und Traumabewältigung. Nicht zuletzt ist es ein Buch über Schuld, Rache und Vergebung. Ich gebe für diesen Roman eine dicke Empfehlung.