Manchmal muss man seinen Horizont ein wenig erweitern und Sachen lesen, die man sonst nicht angerührt hätte. Science-Fiction ist ein Genre, das ich nicht uneingeschränkt zu meinen Favoriten zählen würde. Und wenn, dann bevorzuge ich eher die klassischen Autoren wie Philip K. Dick.
In diesem Fal allerdings wurde meine Neugier geweckt. Denn Jack Glass ist ein ungewöhnliches Buch, das versucht den klassischen Kriminalroman der goldenen Ära (geprägt durch Autoren wie Agatha Christie oder Margery Allingham) mit Science-Fiction-Elementen zu verbinden. 2013 wurde es in Großbritannien mit dem Preis für den besten SF-Roman des Jahres ausgezeichnet.
Schon das hinreißend attraktive Cover, im Stil eines Buntglasfensters gestaltet, setzt ein Ausrufezeichen. Der Inhalt präsentiert sich dann in drei separaten Abschnitten, die jeweils abgeschlossene Geschichten erzählen, wobei sich der Zusammenhang zwischen ihnen erst nach und nach erschließt.
Schauplatz von Teil 1 ist ein Gefängnis im All. Hier werden Häftlinge in einem Asteroiden „eingesperrt“, das heißt es wird eine Öffnung im Fels angelegt und später von außen verschlossen. Ihre Aufgabe ist es Stollen in den Fels zu bohren. 11 Jahre lang müssen sie dort schuften, bevor sie nach Ablauf ihrer Strafe von einem Raumschiff abgeholt werden. Später wird der so erschlossene Asteroid von den interplanetarischen Befehlshabern, genannt Ulanovs, als Immobilie veräußert werden. Unter den Gefangenen ist auch Jac, hinter dem sich die titelgebende Figur verbirgt. Jac ist ein gefährlicher Krimineller, aber verurteilt wurde er für ein geringeres Vergehen. Seine größte Angst ist, dass die Autoritäten seine wahre Identität herausfinden, denn das würde den Tod bedeuten. Und Jac hat nicht vor 11 Jahre zu warten, nein, er hat einen Fluchtplan. Wie dieser allerdings aussieht, erfährt man als Leser erst am Ende.
Aber vorerst heißt es unmenschliche Qualen auf sich zu nehmen. Es ist bitterkalt, es mangelt an Nahrung, die Arbeitsgeräte sind primitiv und unter den Häftlingen herrscht eine gnadenlose Hierarchie. Jac hat es etwas unglücklich erwischt, ihm fehlen nämlich die Beine. Als halber Mensch ist er den Alphatieren auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Es gibt Schläge, Tritte, Erniedrigungen, sexuelle Gewalt. Wird es Jac gelingen zu entkommen, und wie wird er es schaffen, die Leere des Alls zu durchqueren und einen sicheren Ort zu erreichen? Die Antwort ist höchst überraschend und auch ein wenig krank. Mit "Hannibal Lecter im All" ließe sich das Geschehen durchaus treffend charakterisieren.
Auf diesen düsteren Ausflug in die klirrende Kälte des Alls folgt ein Schauplatzwechsel. Wir befinden uns mittlerweile auf der Erde und werden Zeugen eines unmöglichen Mordes, der in einem verschlossenen Raum stattgefunden hat.
Eva und ihre Schwester sind gerade auf der Erde eingetroffen, als eine ihrer Dienerinnen tot in der verschlossenen Villa aufgefunden wird. Warum gerade so eine unbedeutende Person? – fragt sich Eva, denn ihre Familie ist sagenhaft reich und bedeutend. Ist dies vielleicht nur der Anfang einer Verschwörung gegen ihre gesamte Sippe?
Eva wird von zahlreichen Dienern begleitet und ihrem Erzieher/Hausdiener Jago (die Ähnlichkeit des Namens mit Jac aus Teil 1 ist keinesfalls Zufall.) Und sie ist leidenschaftlicher Krimifan. In der virtuellen Realität moderner Computerspiele hat sie bereits unzählige Kriminalfälle gelöst, sie kennt ihren Queen Ellery und ihre frau Christie in und auswendig. Und nun will sie endlich mal im echten Leben als Hobbydetektivin ermitteln. Und weil die Wohlhabenden in dieser Welt der Zukunft tun und lassen dürfen, was sie wollen (in dieser Hinsicht scheint sich wenig geändert zu haben), lässt die Polizei sie auch gewähren.
Teil 3, dessen erstes Kapitel den wundervollen Titel The Murder Of The Rogue RAC Droid trägt, ist ebenfalls eine "locked-room mystery". Ein hoher Polizeibeamter wird im Dabeisein mehrerer Zeugen erschossen. Von einem unsichtbaren Täter, der wie aus dem Nichts auftaucht und keinerlei Spuren hinterlässt. Die Lösung ist vollkommen logisch und gleichzeitig äußerst simpel, und hier spielt auch das Science-Fiction-Element ein wesentlich größere Rolle, zumal das Verbrechen erst durch futuristische Wissenschaft möglich wird.
Die Sprache in Jack Glass bereitete mir mitunter etwas Mühe, es gibt einige seltsame Ausdrücke und Wortschöpfungen, die in der Zukunft gebräuchlich sind. Es findet sich zwar am Ende ein Glossar, aber ich bin mir nicht sicher alles verstanden zu haben, auch was die Beschaffenheit dieser Zukunftswelt betrifft. Deren Regeln werden nicht alle ausführlich erklärt, und so muss man damit leben, dass sich nicht alle Zusammenhänge erschließen und die Konklusion der Geschichte etwas unfertig wirkt.
Abschließend muss ich sagen, ich hatte etwas anderes erwartet. Etwas Klassischeres, Gemütlicheres. Jack Glass zollt war der Detektivliteratur vergangener Zeiten Hommage, tut dies aber mit den Mitteln eines modernen und mitunter höchst brutalen Thrillers.
Und manches hat mir gefehlt. Ich habe die dichte Stimmung klassischer Krimis vermisst. Ich weiß natürlich nicht, wie das Äquivalent von knarrenden Türen und flackerndem Kaminfeuer im All aussehen würde. Auf dem Mars gibt es schließlich keine Spukhäuser oder düstere Moorlandschaften. Jedenfalls wirkte die Kulisse auf mich zu kühl.
Und auch sonst mangelte an Herz. Jack ist interessant, aber es ist nicht liebenswert, nein, das war keine dieser Personen.
Jack Glass ist ein durchaus einfallsreiches Puzzle, aber für eine wirklich mitreißende Geschichte bleibt das Geschehen zu distanziert, weil den Geschehnissen ein tiefere Bedeutung fehlt.
Empfehlenswert nur für besonders wagemutige Leser die sich nach Abwechslung sehnen.