Cover des Buches Das verborgene Leben meiner Mutter (ISBN: 9783426281628)
Rezension zu Das verborgene Leben meiner Mutter von Adriaan van Dis

Das verborgene Leben meiner Mutter, Adriaan van Dis

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Eine spannende und sehr interessante fiktionalisierte Biographie.

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 8 Jahren

Wie der Titel des Buches suggeriert, handelt das Buch von Beziehungen zwischen einem Kind und dessen Mutter. Adriaan van Dis nimmt den Lesenden mit auf eine beinahe archäologische Unternehmung das Leben seiner Mutter zu entdecken und so vielleicht die problematische Mutter-Kind-Beziehung besser zu verstehen. Diese Beziehung kann als problematisch bezeichnet werden, weil, wie auch durch den Buchtitel impliziert, eine physische, emotionale und auch kognitive Distanz zwischen den Familienteilen herrscht. Der Autor beschreibt die Beziehung autobiographisch in der Ich-Person. Dabei wird aber kein Anspruch auf faktische Korrektheit der Geschehnisse gelegt; es ist eine fiktionalisierte Biographie von Adriaan van Dis und seiner Mutter. Der Fokus liegt stark auf diesen beiden Charakteren. Der Vater oder andere Familienmitglieder werden zwar erwähnt, bleiben aber im Hintergrund. Diese erzähltechnische Entscheidung ist verständlich und erlaubt ein besseres Abbild der Mutterfigur, trotzdem bleibt ein Schatten der Vaterfigur aufdringlich im Hintergrund, so als ob es da mehr zu erzählen gäbe, das nicht in dieser Geschichte erzählt werden darf.

Der Lesende begleitet den Erzähler, wie er mit seiner Mutter ihr bisheriges Leben während ihrer letzten Monate aufdeckt. Die Geschichte läuft chronologisch ab, unterbrochen von Erinnerungen der Mutter, die sie erzählt. Diese Unterbrechungen sind das Ziel der Gespräche zwischen dem Erzähler und seiner Mutter. Aber wie Erinnerungen eben sind, vor allem bei älteren Menschen, laufen diese Erzählungen kaum chronologisch, sondern eher assoziativ ab. Dies macht das Buch einerseits sehr spannend, da der Erzähler und der Lesende die Erinnerungen zusammenfügen müssen, um die Lebensgeschichte der Mutter zu verstehen. Andererseits sind diese assoziativen Erinnerungen auch frustrierend: Eine kohärente Lebensgeschichte scheint unerreichbar, sowohl für den Erzähler, als auch den Lesenden. Eine weitere Folge dieser Erinnerungen ist, dass die Mutter dabei immer mysteriös bleibt und ihre Lebensgeschichte zersplittert. Das fesselnde an der Erzählweise ist, dass für den Lesenden leicht zu vergessen ist, wer eigentlich die Geschichte erzählt. Die Geschichte scheint zwischen dem Erzähler und seiner Mutter zu oszillieren; beinahe als würden die beiden kämpfen, wer eigentlich die Lebensgeschichte der Mutter wie und wann erzählen darf. Diese Filterung der Geschichte durch den Sohn als Erzähler macht dieses Buch über ein schweres Schicksal anders als andere Schicksalserzählungen. Das Los der Mutter berührt, obwohl der Lesende immer auf Abstand gehalten wird, von der Mutter und dem Erzähler. Das Buch ist beinahe performativ in dem Sinne, dass die Distanzierung und Verfremdung, die der Erzähler gegenüber seiner Mutter fühlt, auf den Lesenden übertragen und so weiter ausgeführt wird.

Lesende, die gerne Bücher mit starken autobiographischen Zügen lesen, sind hier richtig. Das Schicksal und die Lebensgeschichte von Person, der Mutter, stehen im Fokus. Der Ton des Buches wechselt dabei zwischen berührend, nüchtern und frustrierend. So wird der Lesende in die Geschichte gezogen, aber niemals ganz herangelassen.


(Diese Rezension basiert auf dem niederländischen Originaltext "Ik kom terug".)

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