Dieses bemerkenswerte Erstlingswerk des französischen Schriftstellers Adrien Bosc hat mich bereits nach den ersten Seiten nicht mehr losgelassen. Dies liegt nicht nur an der tragischen, wahren Geschichte, die der Autor ausgewählt hat, sondern insbesondere auch am journalistisch geprägten Erzählstil des Jungautors, mit dem er das schicksalhafte Ereignis vor unseren Augen im Stil einer Reportage abspult, die die folgenschwere Verkettung von Zufall und Schicksal beleuchtet und die entsetzliche Katastrophe in ihrer ganzen Dimension sichtbar werden lässt. Das verheerende Unglück, dessen Verlauf Bosc hier detailgetreu und sehr behutsam im Hinblick auf die dahinterstehenden menschlichen Schicksale rekonstruiert, ist der Absturz der Air France Maschine F-BAZN, eine Lockheed Constellation, die aufgrund ihrer luxuriösen Ausstattung auch das Flugzeug der Stars genannt wurde. Am 27. Oktober 1949 zerschellte der Luxusliner auf seinem Weg von Paris nach New York auf dramatische Weise am Monte Redondo auf der Azoreninsel São Miguel und riss 48 Menschen (37 Passagiere und 11 Crewmitglieder) in den Tod.
Rekonstruktion einer rätselhaften Flugzeugkatastrophe
Zur Rekonstruktion des mysteriösen Flugzeugabsturzes schildert Bosc zunächst chronologisch den Hergang des Unglücks und erzählt uns auf sehr lebendige Weise die Geschichten und Hintergründe der Passagiere. Hier rücken zunächst natürlich die Celebrities,die Berühmtheiten der damaligen Zeit, in den Vordergrund, die die Tragödie auch zu einem gefundenen Fressen für die Presse machten. Hierzu zählte u.a. Boxchampion Marcel Cerdan, dessen außereheliche Affäre mit der französischen Chansonette Édith Piaf ein offenes Geheimnis war. Cerdan, der auf dem Weg zu einem alles entscheidenen Boxkampf mit seinem Erzrivalen Jake Motta in New York war, hatte eigentlich geplant, mit dem Schiff anzureisen. Weil Piaf jedoch nicht so lange von ihm getrennt sein wollte, bat sie ihn, anstelle des Schiffs das Flugzeug zu nehmen – eine Reise ohne Wiederkehr für ihren Geliebten, dessen Tod sie als gebrochene Frau zurücklies.
Berühmte und unbekannte Opfer
Ein weiteres V.I.P. Opfer war die junge Geigenvirtuosin Ginette Neveu, das Violinenwunderkind der Nachkriegszeit, der man eine glänzende Karriere vorausgesagt hatte. Gemeinsam mit ihrem Bruder Jean war sie auf dem Weg zu ihrer bereits ausverkauften US-Tournee, die der erste Meilenstein ihres rasanten Aufstiegs sein sollte. Doch ihr Traum ging nicht in Erfüllung: Der tragische Flugzeugabsturz beendete ihr Leben und das ihres Bruders auf schreckliche Weise. Man fand ihre Leiche schließlich unter den Trümmern. Es war ein erschütterndes Bild, das sich den Rettern bot, denn selbst im Tod hielt sie ihre geliebte Stradivari noch fest umklammert.
Neben weiteren bedeutenden Persönlichkeiten, die sich an Bord der Unglücksmaschine befanden, wie z. B. Kay Kamen, der Erfinder des Merchandising, der dem Disney-Konzern einen sensationellen Erfolg bescherte oder Bernard Boutet de Monvel, Exzentriker, Dandy und Lieblingsporträtist der High Society, hat Bosc auch die zahlreichen unbekannten Passagiere aus ihrer Anonymität geholt und somit denen eine Stimme gegeben, die für die Presse uninteressant waren, aber deren Lebensgeschichten aus Sicht des Autors dennoch nicht unerwähnt bleiben sollten. Und so erzählt er uns u.a. von Amélie Ringler, einer armen Spulerin aus Mühlhausen, die in einer Textilfabrik arbeitete, bis sie nach dem Tod ihrer reichen Patentante deren lukrative Fabrik in den USA erbt. Doch auch hier verhindert das Schicksal, dass sich ihr Leben zum Guten wendet. Dies trifft ebenso auf fünf baskische Hirten zu, die sich in den USA zu Wohlstand und Reichtum emporarbeiten wollten, um dann vermögend wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Aber auch dieser Wunsch erfüllt sich nicht.
Folgenschwere Verkettung von Zufall und Schicksal
Der zweite „rote Faden“, der sich neben dem chronologischen Hergang des Flugzeugabsturzes und den Biografien und Hintergrundgeschichten der Passagiere durch Boscs Roman zieht, ist die folgenschwere Verkettung von Zufällen bzw. unglücklichen Konstellationen, die man auch als die unausweichliche Macht des Schicksals bezeichnen könnte. So berichtet der Autor darüber hinaus von Menschen, die eigentlich mit der Maschine fliegen wollten, aber dann durch eine glückliche Fügung doch nicht an Bord gingen, wie z.B. das frischgebackene Ehepaaar Édith und Philipp Newton, das nicht mitflog, weil es Marcel Cerdan und seiner Entourage unbedingt den Vortritt lassen wollte.
Beeindruckendes Erstlingswerk aus Facts & Fiction
All diese Aspekte sind so fesselnd und berührend miteinander verwoben, das man sich nur schwer von diesem Roman lösen kann. Boscs beeindruckende Betrachtung der Thematik Schicksalskonstellation, die er insbesondere in den letzten Kapiteln seines Romans mit einfließen lässt, wenn er von seiner investigativen Reise an den Unglücksort berichtet, ist so wunderbar poetisch, dass man sie einfach nicht mit Worten beschreiben kann. Man muss sie lesen und jede Formulierung absorbieren, um dann am Ende festzustellen, was für ein großartiges Werk dem Autor mit dieser Mischung aus Facts & Fiction gelungen ist.