Cover des Buches Der Mann im braunen Anzug (ISBN: 3502507384)
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Rezension zu Der Mann im braunen Anzug von Agatha Christie

Ist er nun langschädelig oder rundköpfig? (AC 4)

von StefanieFreigericht vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Warum hatte daraus niemand einen klassischen Hollywood-Film gemacht?

Rezension

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StefanieFreigerichtvor 8 Jahren

Achtung: Erwartungshaltung: Jaaa, AC schrieb etliche Bücher OHNE Miss Marple oder Hercule Poirot, wie dieses!

Damit kennt sie sich aus, die junge Anne Beddingfield, als Tochter eines kürzlich verarmt gestorbenen zerstreuten Professors, für den die Geschichte der Altsteinzeit alles war.

Ich setze meine chronologische Lektüre der Agatha Christie – Romane fort mit
O: The Man in the Brown Suit, 1924. Meine Auflage ist von 1983 aus dem Scherz Verlag in der Übersetzung von Margret Haas und hat ein anderes Cover, siehe Foto.
Es ist das vierte Buch der Autorin, das Personal des Bandes taucht später nicht wieder auf mit Ausnahme von Oberst Race, der in „Mit offenen Karten“ („Cards on the table“, AC 20, Poirot 13), „Blausäure“ („Sparkling Cyanide“, AC 36) und „Der Tod auf dem Nil“ („Death on the Nile“, AC 22, Poirot) wieder erscheint (ein häufigerer Kunstgriff der Autorin).

Wer die Rezensionen verfolgt, möge mir bitte hinsichtlich der chronologischen Abfolge gewisse Freiheiten verzeihen – die Autorin hat ihre Reihen mit den Detektiven, zu denen es mehrere Bände gibt, „wild durcheinander“ geschrieben und teils Romane eingestreut mit Hauptpersonen, die kein zweites Mal ermitteln. Ich erlaube mir da gewisse Sprünge, behalte aber die Chronologie innerhalb der Reihen bei. Schuldig im Sinne der Anklage – ich habe eine besondere Schwäche für die in der Öffentlichkeit eher weniger bekannten „Ermittler“.

Die Handlung ist, wie auch im bereits beschreibenen „Ein gefährlicher Gegner“, kein „Whodunnit“, sondern wieder eher eine Mischung aus Abenteuer- und Spionageroman, ähnlich Filmen der Reihe „Der dünne Mann“ oder einem Cary-Grant-Hitchcock-Film wie „Verdacht“.

Christie lässt das Buch mit einem Prolog in bester Hollywood-Manier starten, in dem zwei Personen mit – natürlich – russischen Namen aufeinandertreffen. Beide unterhalten sich über einen „Oberst“, der wie ein tüchtiger Geschäftsmann einen Verbrecherring unterhalte. Nur ein Mann könne den Ring enttarnen, der sei jedoch in Südafrika gestorben.

Ab da ist das Buch aus der Ich-Perspektive Anne Beddingfields geschrieben, im Wechsel mit Auszügen des ihr zur Verfügung gestellten Tagebuchs von Sir Eustace Pedler: Nach dem Tod ihres Vaters sehnt sich die junge Frau nach Romantik und Abenteuer und sucht ihr Glück in der Hauptstadt. Auf dem Bahnsteig in London wird Anne Zeugin, wie ein Mann erschrickt, auf die Gleise stürzt und so zu Tode kommt. Ein anderer Mann mit einem braunen Anzug bietet sich als Arzt an. Im Weggehen verliert er einen mysteriösen Zettel: „1 7 .1 22 Kilmorden Castle“. Etwas an der Situation mutet Anne im Nachhinein seltsam an – würde ein Arzt sich genau so verhalten? Leider weiß sie der Polizei nur eines zu dem „Mann im braunen Anzug“ zu berichten: „Seine Kopfform war ausgesprochen brachyzephal.“ S. 23 Die Handlungsorte wechseln von Annes kleinem Dorf nach London, dann über ein Schiff nach Südafrika und Rhodesien, heute Zimbabwe, immer auf der Suche nach dem Mann im braunen Anzug und dem geheimnisvollen „Oberst“. Zu den bemerkenswerten Vorkommnissen der Handlung gehören verschwundene Diamanten, diverse Heiratsanträge, Verkleidungskünstler, ein Mordverdächtiger, in den sich die weibliche Hauptfigur rettungslos verliebt, ein mutmaßlicher Geheimdienstmann, diverse merkwürdige Sekretäre und Sekretärinnen, wohlhabende Damen und Herren der Gesellschaft,….Warum eigentlich hat das niemand mit Cary Grant verfilmt?

Trivia: Interessant finde ich folgende biographische Bezüge https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Mann_im_braunen_Anzug
„Das Buch hat einige Parallelen zu Ereignissen auf der Weltreise, die Christie gemeinsam mit ihrem ersten Ehemann Archie Christie unter der Leitung von dessen ehemaligen Lehrer vom Clifton College, Major E. A. Belcher, unternommen hatte. Belcher war im Auftrag der britischen Regierung unterwegs, um für die British Empire Exhibition 1924 zu werben und hatte Archibald Christie als Assistenten engagiert. Die Reise dauerte vom 20. Januar 1922 bis zum 1. Dezember 1922. Auf dieser Reise schrieb Christie die meisten der Kurzgeschichten, die später als Poirot rechnet ab und Die Arbeiten des Herkules[6] veröffentlicht wurden. Vor der Reise sind die Christies zum Dinner bei Belcher eingeladen. Er schlägt ihr vor, einen Kriminalroman zu schreiben, der in seinem Haus, Mill House, spielt und den Romantitel „Das Geheimnis von Mill House“ tragen sollte - und er bestand auch darauf. Belcher ist die Inspiration für die zentrale Figur des Sir Eustace Pedler, der Titel wurde aber auf Wunsch von Ehemann Archie geändert.[7] Auch das Mill House tritt in Erscheinung, es ist aber nach Marlow verschoben.
Christie fand Belcher „als Person kindisch, bedeutend und irgendwie manisch: ‚Niemals, bis heute, konnte ich mich von einer schleichenden Vorliebe für Sir Eustace losmachen‘, schrieb Christie über den fiktionalen Belcher alias Sir Eustace, dem sie mit „Der Mann im brauen Anzug“ ein Denkmal setzte. Ich weiß, das ist verwerflich, aber es ist so.“[8] Auch aus Annes Äußerungen am Ende des Romans kann man Christies ambivalentes Verhältnis zur Hauptfigur erkennen.“


Einige Bemerkungen im Zuge der Handlung veranlassen mich zu gewissen Schlussfolgerungen, so leiden – auffällig? - Poirot wie auch Anne Beddingfield an Seekrankheit. Einige Kommentare verleiten mich zu Rückschlüssen auf die Autorin, mindestens zum Schmunzeln, so „Es gibt kein besseres Mittel als geheuchelte Teilnahmslosigkeit, um einen Menschen zum Reden zu bringen.“ S. 27 oder“Sanfte Männer sind fast immer dickköpfig.” S. 42

Zeitgeist:
Kleidung wird noch bevorzugt vom Schneider gefertigt und nicht im Kaufhaus erworben, Zugang zu einer Arbeitsstelle bekommt man über eine auf eine Visitenkarte gekritzelte Empfehlung und die Theorie eines Ursprungs der Menschheit in Afrika gilt als vorsintflutlich. Eine Schiffskarte erster Klasse von Großbritannien nach Kapstadt kostet 87 Pfund.
Auch wenn Anne letztendlich alles im Griff, sieht sie sich doch gewissen Voreinstellungen gegenüber, so sagt ihr der Inspektor: „ Junge Damen sind eben romantisch veranlagt, ich weiß.“ S. 21. Der Oberst ist „abergläubisch wie eine Frau“ S. 6, als Kriminal-Reporterin zu arbeiten ist „unweiblich“ S. 99. Und Anne selbst sagt „Ich werde nie heiraten ohne die ganz große Liebe – und es gibt nichts Schöneres für eine Frau, als alles zu tun für den Mann, den sie liebt. Je eigenwilliger sie sonst ist, desto glücklicher wird sie dabei sein.“ S. 111 Jaaa, das Buch erschien 1924, nicht vergessen! Dafür kann man in Kapstadt sein Gepäck in einen Zug stellen und einfach wieder aussteigen: „Kümmere dich nicht um dein Gepäck; das kannst du morgen telegrafisch zurückbeordern.“ S 91 So (!) romantisch veranlagt, mein unbeaufsichtigtes Gepäck irgendwo auf der Welt wieder zurück zu bekommen, wäre ich dann auch gerne wieder. Und, einmal ehrlich – wenn nachts auf einem Schiff ein verletzter Mann an meine Zimmertür klopft mit der Bitte, ihn zu verstecken… (außer, wie gesagt, Cary Grant natürlich!).

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