Agnès Poirier

 4,2 Sterne bei 77 Bewertungen
Autorenbild von Agnès Poirier (©Hannah Starkey /Quelle: Klett-Cotta)

Lebenslauf

Französischer Flair: Agnès Poirier, geboren in Paris, ist eine französische Journalistin und Schriftstellerin. Sie wuchs in London auf und studierte dort an der London School of Economics. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie als Radioproduzentin für den Radio France. Als Journalistin schrieb sie schon für den Le Nouvel Observateur und Le Monde in Frankreich. Aber auch im Englischsprachigen Raum sind ihre Arbeiten sehr gefragt. Dort schrieb sie für The Guardian, The Times, the New Statesman und The Independent on Sunday. Zwischen 2001 und 2006 war sie als Filmkritikerin für Liberation tätig. Seit 2015 ist die Autorin regelmäßig als Gast für Fernsehdiskussions Programme zu sehen. So unter Anderen beim British Broadcasting Corporation´s  Dateline London.

Alle Bücher von Agnès Poirier

Cover des Buches An den Ufern der Seine (ISBN: 9783608983814)

An den Ufern der Seine

 (75)
Erschienen am 06.10.2020
Cover des Buches Notre-Dame (ISBN: 9783458682523)

Notre-Dame

 (2)
Erschienen am 12.12.2022

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Neue Rezensionen zu Agnès Poirier

Cover des Buches An den Ufern der Seine (ISBN: 9783608983814)

Rezension zu "An den Ufern der Seine" von Agnès Poirier

Poirier reicht mit „An den Ufern der Seine“ einem jungen und neuem Publikum die Hand, um den intellektuellen und moralischen Aufbruch einer ganzen Generation zu verstehen.
Ein LovelyBooks-Nutzervor 6 Monaten

Agnès Poirier entführt die Leser*innen an die Ufer der Seine, in die magischen Jahre von Paris 1940 bis 1950. Dies ist kein trockenes Sachbuch, das Fakten trostlos aneinanderreiht. Hier wird eine Epoche lebendig, hier wird Geschichte erlebbar. Während des Lesens singen Juliette Gréco und Édith Piaf ihre klassischen Chansons leise im Hintergrund. Ich versinke im Ohrensessel, ein heißer Tee steht auf dem Bistrotisch und weht mir seinen Vanilleduft unter die Nase. Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre sitzen mir gegenüber im Café de Flore. Fast scheint es mir als würde der Pfeifenrauch durch mein Lesezimmer ziehen.

Die 1940er Jahre, eines der schlimmsten Jahrzehnte der Menschheitsgeschichte, totaler Krieg, totale Vernichtung und totale Kontrolle stehen dem Willen zur totalen Freiheit gegenüber. Und in einem kleinen, alten, verwinkelten Stadtteil von Paris, gegenüber von Notre Dame, einen Steinwurf von der Seine entfernt, begegnen sich einige der wichtigsten Intellektuellen und Ikonen jener Zeit. Philosophen, Schriftsteller, Musiker, Künstler aber auch Lebemänner und Dandys. Existenzialismus und Kommunismus, neue Werte in einer alten Welt, prägen die Diskussionen. Nelson Algren, Simone de Beauvoir, Samuel Beckett, Saul Bellow, Albert Camus, Jean Cocteau, Miles Davis, Janet Flanner, Alberto Giacometti, Juliette Gréco, Arthur Koestler, Jean Paulhan, Pablo Picasso, Jean-Paul Sartre Boris Vian und Richard Wright, um nur einige zu nennen, leben in den 40er Jahren auf wenige hundert Quadratmeter verteilt, am linken Seineufer, dem Rive Gauche. Wie kann es sein, dass so viele bedeutende Persönlichkeiten in Paris zusammenkommen, um die Weltgeschichte zu verändern?

Leben am Rive Gauche

Leider geht die Kontinuität des Rive Gauche in Poiriers Erzählung etwas unter. Bei ihr erscheint es so, als würden die 40er Jahre des letzten Jahrhunderts den Mythos des linken Seineufers, des intellektuellen Stadtteils begründen. Dabei haben in den 20er Jahren bereits eine ganze Reihe Künstler dort gelebt und gewirkt, z.B. Ernest Hemingway, Henry Miller, Anaïs Nin, Gertrude Stein, und Sylvia Beach. Und auch davor, war das Quartier geprägt durch die Sorbonne und den zahlreichen Studenten, die hier wohnten. Das traditionelle Universitätsviertel war seit jeher das intellektuelle Zentrum. Auch weil man hier, im Vergleich zum bürgerlichen rechten Seineufer, weitaus günstiger leben konnte.

In diesem Quartier Latin konzentriert sich in den 40er Jahren ein bedeutender Teil der westlichen Intelligentzija. Die meist 20 bis 30jährigen sind gezeichnet vom Weltkrieg, von den Erfahrungen der deutschen Besatzung, der Kollaboration oder der Résistance. Drehte sich jahrelang alles ausschließlich ums Überleben und den Widerstand gegen die Faschisten, veränderte sich mit der Niederlage Nazideutschlands die ganze Welt. Die jungen Erwachsenen fanden sich zurückgeworfen auf existenzielle Fragen: wie konnte es zum Krieg kommen, was fängt man mit seinem Leben nach dem Krieg an? Was ist der Sinn des Lebens? Und wie kann man ihn verwirklichen? Geprägt durch eine grundlegende Skepsis am Kapitalismus, der sich allzu schnell mit dem Faschismus verbrüderte, kokettieren viele Intellektuelle jener Zeit mit dem Kommunismus, dem der Nimbus des Antifaschismus anhaftet.

Erst langsam nehmen einige Wenige auch die Grausamkeiten des Stalinismus wahr und versuchen einen „dritten Weg“ in der Politik zu gehen. Ausgehend von der Philosophie des Existenzialismus, müsse es doch einen Weg jenseits von Kapitalismus und Kommunismus geben. Doch so politisch auch der Alltag war und so produktiv die Künstler und Schriftsteller waren, so wollten alle ihr junges Leben nach den Entbehrungen des Krieges, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und manchmal auch darüber hinaus, genießen. Eine neue Freizügigkeit nicht nur im Denken brach sich Bahnen. Neue Lebensentwürfe wurde erprobt, bürgerliche Traditionen abgelehnt. Simone de Beauvoir erkämpfte sich einen Lebensstil der bis dahin nur Männern vorbehalten war. Ungebunden, frei und mit vielen wechselnden Sexualpartnern, sogar beiderlei Geschlechts. Was für viele junge Frauen Vorbild werden sollte, war für das Bürgertum vor allem eines: ein Skandal.

Exzessiver Exitenzialismus

Und an Skandalen war das arme Paris der 40er Jahre reich. Poirier fängt das Sittengemälde und die Rebellion gegen verkrustete Strukturen grandios ein. Die Leser*innen folgen Sartre und Beauvoir die Treppenstufen hinab in dunkle Kellergewölbe in denen bei Jazzmusik gefeiert und vor allem viel getrunken wird. Die Partner vieler Intellektuellen scheinen im munterem Reigen wechselnde Tête-à-Tête einzugehen. Exzessives Leben in allen Bereichen. Wer will es jungen Menschen verübeln im Angesicht der Grausamkeiten, die nach und nach über den Holocaust bekannt werden oder angesichts einer zunehmenden Weltuntergangsstimmung der sich konfrontierenden Atommächte USA und Russland.

Die Produktivität gepaart mit der verzehrenden Lebensweise hat seinen Preis und Poirier schildert auch die Schattenseiten der so leuchtenden Biographien. So war die Einnahme von Amphetaminen vollkommen gewöhnlich, Drogen und Aufputschmittel verschiedenster Art, anschließend Schlaftabletten um wieder Ruhe zu finden, gehörten zum Alltag. Ebenso wie Alkohol geschwängerte Streitigkeiten, die teils jahrelange Freundschaften zu ruinieren vermochten. So explosiv wie sich die Weltgeschichte darstellte, so heftig, hitzig und obsessiv lebten die jungen Intellektuellen jener Zeit. Und Poirier schafft es mit ihrer Sprache eine geradezu hypnotische Wirkung zu entfachen, ein Mahlstrom, der hinab in die Begierden und Leidenschaften einer unterdrückten Jugend führt. Wer die Menschheit liebt, muss an ihr verzweifeln.

Moderne Zeiten

Dabei darf man allerdings nicht übersehen, dass mitunter Genauigkeit und Differenzierung dem lockeren Schreibstil geopfert werden. Es ist ein erzählendes Sachbuch, eher eine Reise an die vergangenen Ufer der Seine, denn eine historisch korrekte Betrachtungsweise. Wenn man sich damit anfreunden kann und über die ein oder andere spekulative Szene, die als solche allerdings leider nicht deutlich gekennzeichnet ist, die ein oder andere Stereotypisierung und die ein oder andere verklärte Perspektive hinwegsehen kann, bekommt man eine wunderbare und informative Zeitreise in eines der intellektuellsten Jahrzehnte.

Poirier reicht mit „An den Ufern der Seine“ einem jungen und neuem Publikum die Hand, um den intellektuellen und moralischen Aufbruch einer ganzen Generation zu verstehen. Geschichte wird gemacht und wirkt in die Gegenwart. Es wurden nicht nur literarische Grundfeste erschaffen, sondern zugleich weltanschauliche Wertemaßstäbe entworfen. Der Widerstand gegen Unterdrückung und Ausbeutung, gegen Faschismus und Autoritarismus, die Intoleranz gegenüber den Intoleranten und Antidemokraten sind zeitlose Imperative. Die Erinnerung daran erscheint nötiger denn je.

Für Bibliophile sei allerdings die Warnung ausgesprochen, dass sehr viele literarische Werke angesprochen werden, die die Liste der zu lesenden Bücher mal wieder zu verlängern vermag.

Cover des Buches An den Ufern der Seine (ISBN: 9783608983814)
P

Rezension zu "An den Ufern der Seine" von Agnès Poirier

"Die magischen Jahre von Paris 1940 - 1950" - magisch, weil so voller Leben, so voller Gedanken und bis heute prägend!
porte-bonheurvor einem Jahr

Ich hatte mir das Buch über die Feiertage zum zweiten Mal vorgenommen und war ich schon beim ersten Mal sehr angetan von der Lektüre, so hat sie mich jetzt noch einmal begeistert.

Agnès Poirier hat eine hervorragende, sehr detailreiche Arbeit geleistet, mit der sie die für viele, nicht nur literarische, Entwicklungen prägenden 10 Pariser Jahre 1940 bis 1950 in Reihe und Zusammenhänge bringt und das in angenehmen Erzählton. So folgt man einer Dekade, die natürlich in den Bibliotheken der entsprechenden Studiengänge meterlange Regale füllt, gespannt und teils auch atemlos, allein schon ob der gewaltigen Gedankenwelt, die in diesen Jahren entstanden, aufgebaut und schriftlich niedergelegt wurde und die noch soviele Jahre später entscheidenden Einfluß auf alles Nachfolgende hatte. 

Jetzt muss ich freilich erklären, dass ich Romanistik studiert habe und mich über dieses Buch auch deshalb freuen konnte, weil es mir in angenehmen Erzählton das zum Teil doch sehr mühsam erworbene Detailwissen aus der Studienzeit noch einmal zusammengefasst hat. Ja, ein bißchen Vorwissen um diese Zeit ist bei der Lektüre sicher hilfreich und macht sie entspannter. Und freilich gibt es auch Kritik, vor allem die, dass es eben keine profunde wissenschaftliche Abhandlung des Existenzialismus ist, auch gar nicht sein kann. Auch fehlte mir an vielen Stellen die detailliertere Einbettung in die Geschehnisse rund um all die Kulturschaffenden. Das "normale" Paris dieser Zeit bleibt doch oft zu sehr außen vor, aber, du meine Güte, das Buch hat auch so schon 450 Seiten!

Die Lektüre des Buches hat mir gefallen, mir eine wirklich gute und erkenntnisreiche Lesezeit bereitet, mich am Ende aber auch betrübt zurückgelassen: wo sind denn die heutigen Schriftsteller, die sich in dieser Häufung für eine andere - bessere? - Welt einsetzen und schreibend lohnenswerte Utopien gestalten oder gesellschaftliche Probleme angehen und entsprechend authentisch mit ihrem Verhalten auch überzeugen?

Cover des Buches An den Ufern der Seine (ISBN: 9783608983814)
Pantoffeltiers avatar

Rezension zu "An den Ufern der Seine" von Agnès Poirier

Umfangreicher Blick auf die Intellektuellenszene
Pantoffeltiervor 4 Jahren

Ich war skeptisch was dieses Buch betrifft und hatte mich auf eine etwas trockene und mühsame Lektüre eingestellt. Sicherlich ist es keine leichte Lektüre, aber ich war trotzdem überrascht, wie gut es sich lesen lässt.

An den Ufern der Seine ist ein akribisch recherchiertes Porträt der Pariser intellektuellen Szene von 1940-1950. Die Autorin arbeitet viele Tagebuchnotizen, Anekdoten und einige Szenen, die so gewesen sein könnten ein.

Es hilft auf jeden Fall, sich ein wenig in der Zeit auszukennen und schon Vorkenntnisse betreffend Literatur, Politik und Geschichte zu haben. Es tauchen dutzende Namen auf, manche nur recht kurz. Die Autorin ist manchmal etwas zu erpicht all ihr angesammeltes Wissen auch mitzuteilen und verliert etwas den Faden. Die Erzählung ist chronologisch und beginnt mit den Geschehnissen des zweiten Weltkrieges und seiner Bedeutung für das französische Selbstverständnis. Obwohl es sich nur um eine Einleitung für den Hauptteil handelt, fand ich diesen Abschnitt besonders spannend. Es wird gezeigt, wie verschiedene Charaktere mit der Extremsituation in einem besetzten Land umgehen und Widerstand leisten, sich arrangieren, verzweifeln, die Augen verschließen etc. Dann widmet sich die Autorin den aufstrebenden Intellektuellen mit ihrem Ringen um moralische und politische Fragen und auch Infragestellung traditioneller Werte und Normen, besonders Sexualität und Beziehungen betreffend. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Existenzialisten um Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre, ihre zahlreichen Affairen, den Versuch einen dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus zu finden.

Sehr gut gefallen hat mir, wie die Autorin die Atmosphäre der Zeit einfängt und lebendig werden lässt. Autoren, die ich schon vorher kannte, kann ich nun viel besser einordnen und ich habe mir auch einige Lesetipps abgeholt. Gerade im letzten Drittel wurde es mir etwas zu detailliert und es folgten zu viele Daten, Namen und Fakten unzusammenhängend aufeinander. Ich hätte mir am Ende noch ein längeres zusammenfassendes Fazit gewünscht.

Alles in allem ein lohnenswertes Buch, das jedoch Vorkenntnisse und Durchhaltevermögen erfordert.

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Zusätzliche Informationen

Agnès Poirier im Netz:

Community-Statistik

in 111 Bibliotheken

auf 26 Merkzettel

von 1 Leser*innen aktuell gelesen

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