Agota Kristof

 4,2 Sterne bei 258 Bewertungen
Autor*in von Das große Heft, Die Analphabetin und weiteren Büchern.

Lebenslauf

Agota Kristof, geboren 1935 in Csikvánd in Ungarn, verließ ihre Heimat während der Revolution 1956 und gelangte über Umwege nach Neuchâtel in die französischsprachige Schweiz. Als Arbeiterin in einer Uhrenfabrik tätig, erlernte sie die ihr bis dahin fremde Sprache und schrieb auf Französisch ihre erfolgreichen Bücher, die in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurden. Sie wurde mit zahllosen Preisen geehrt wie 2001 mit dem angesehenen Gottfried-Keller-Preis, dem Österreichischen Staatspreis für Literatur sowie dem Kossuth-Preis in ihrem Geburtsland Ungarn. Agota Kristof starb Ende Juli 2011 nach längerer Krankheit in Neuchâtel.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Agota Kristof

Cover des Buches Das große Heft (ISBN: 9783492304337)

Das große Heft

(98)
Erschienen am 17.09.2013
Cover des Buches Die Analphabetin (ISBN: 9783492972413)

Die Analphabetin

(46)
Erschienen am 10.08.2015
Cover des Buches Der Beweis (ISBN: 9783492972406)

Der Beweis

(30)
Erschienen am 10.08.2015
Cover des Buches Die dritte Lüge (ISBN: 9783492972420)

Die dritte Lüge

(25)
Erschienen am 10.08.2015
Cover des Buches Irgendwo (ISBN: 9783492309387)

Irgendwo

(19)
Erschienen am 14.09.2015
Cover des Buches Gestern (ISBN: 9783492972390)

Gestern

(10)
Erschienen am 10.08.2015
Cover des Buches Hier (ISBN: 9783150090961)

Hier

(3)
Erschienen am 01.12.2002

Neue Rezensionen zu Agota Kristof

Cover des Buches Die dritte Lüge (ISBN: 9783492972420)
KikiAnderss avatar

Rezension zu "Die dritte Lüge" von Agota Kristof

KikiAnders
Ich fühle mich verarscht

Die ersten beiden Bände dieser Trilogie habe ich verschlungen. Ich war fasziniert und angewidert davon, was der Krieg aus den beiden Buben Lukas und Claus gemacht hat. Wie sie herzlos und verroht wurden, nur um in dieser grausamen Welt zu überleben und selbst nicht unterzugehen. Schrecklich war, dass ihre Mutter durch eine Sprengung ihr Leben verlor und die Buben sie zusammen mit dem ebenfalls getöteten Baby im Garten der Großmutter vergruben. Nach Jahren buddelten sie die Skelette wieder aus, restaurierten sie und hängten sie in ihrem Dachstübchen auf. Da, wo später auch das Skelett des kleinen verwachsenen Matias hängt, der sich umbrachte, weil er glaubte, dass Lucas ein behindertes Kind nicht lieben kann. Oder die Szene, wo der Vater, eben erst aus Kriegsgefangenschaft und Folter zurückgekehrt, vor den Buben beim Versuch, die Grenze zu übertreten, auf eine Mine tritt und in die Luft gesprengt wird. Die Kinder haben ihn vorgeschickt, wissend, dass das Terrain vermint ist.  Claus weiß nach der Detonation, wie die Linie der Minen verläuft und gelangt sicher auf die andere Seite (wohl Rumänien). Lucas bleibt in Ungarn und in einem trostlosen Leben zurück.

Und nun, in Band drei erfahre ich, dass alles Hirngespinste gewesen sind. Die Buben sind gar nicht zusammen aufgewachsen. Die Mutter erschoss den Vater, weil er am Kriegsbeginn zu seiner schwangeren Geliebten ziehen wollte. Ein Querschläger traf den vierjährigen Lucas, der von da an sieben Jahre in einem Spital lebte und sich nie ganz von der Verletzung an der Wirbelsäule erholte. Lucas wurde von der Geliebten des Vaters aufgenommen und lebte mit ihr und der kleinen Schwester, der einzige Frau, die er je geliebt hat und die er später heiraten will. Doch das wird natürlich unterbunden.

Lucas wird erst Drucker, dann Dichter und kümmert sich um die Mutter, als sie entlassen wird. Als Jahrzehnte später Claus auftaucht, verleugnet er, jemals einen Bruder gehabt zu haben.

Warum zum Teufel, macht die Autorin das? Alles was ich vorher gebangt und geglaubt habe, ist hinfällig. Ich bereue die Zeit, die ich dafür aufgewendet habe. In meiner Ausgabe ist als Titelbild ein Foto von Franz Kafka auf dem Cover. Kafkaesk wird in einer Rezension dieser dritte Band beschrieben.

Das war die erste Trilogie meines Lebens und es wird die letzte bleiben. Ich fühle mich verarscht!

Cover des Buches Der Beweis (ISBN: 9783492972406)
KikiAnderss avatar

Rezension zu "Der Beweis" von Agota Kristof

KikiAnders
Das Herzeleid eines herzlosen Menschen macht traurig

Dieser Folgeband von "Das große Heft" baut auf den ersten auf und ist ohne diesen zu kennen eigentlich nicht für den Leser verständlich. Es werden zwar wenige Dinge erklärt, aber niemals sonst könnte man in das Seelenleben von Lucas, dem in Ungarn zurückgebliebenen Zwillings so tief eintauchen. 

Auch dieses Buch spielt in der beklemmenden Kleinstadt. Lucas ist dort zurückgeblieben, während sein Zwillingsbruder, mit dem er nahezu symbiotisch dachte und lebte, über die Grenze floh. Zu 99,5 Prozent taucht dieser, so sehnsuchtsvoll vermisste Zwilling Claus in diesem Buch nicht mehr auf, wird auch nur selten erwähnt. Aber die Leser wissen, wie sehr Lucas unter dem Verlust leidet. 

Er vernachlässigt seinen Gemüsegarten, die Tiere, isst kaum etwas. Wie auch im ersten Band hat er einen Parteifunktionär, der ihn protegiert und zugetan ist, was ihm mehr als einmal hilfreich ist. Das Leben hat sich nach dem zweiten Weltkrieg in Ungarn verändert. Vor allem nach dem Volksaufstand 1956, der blutig niedergeschlagen wurde und viele Menschenleben gekostet hat, es flohen auch viele aus dem Land. Danach wird das Leben noch mehr von der stalinistischen Besatzung diktiert. Viele Bücher werden verboten, die Sprache ist jetzt russisch. 

Lucas findet eine junge Frau, siebzehn Jahre, sie ist zwei Jahre älter als er. Sie will ihr Kind ertränken und bringt es doch nicht über das Herz. Lucas, abgebrüht und abgestumpft durch seine Überlebensdisziplin bietet ihr an, es für sie zu erledigen. Es kommt aber anders. Er nimmt die beiden bei sich auf und sie leben einige Jahre unter einem Dach, bis Yvonne, wie sie heißt, eines Tages verschwindet. Yvonne hatte wohl die Hoffnung, das es zu einer Beziehung zwischen ihr und Lucas kommt, dass aus den Sexualkontakten mehr wird, aber Lucas ist dazu nicht fähig. Der kleine Matias ist verkrüppelt. Lucas will das anfangs nicht akzeptieren und holt eine ärztliche Meinung ein, die jedoch Yvonnes Einschätzung bestätigt. 

Ich fand, dass Lucas mit Mathias sich ähnlich verhält wie seine Großmutter mit ihm und seinem Bruder. Er liebt das Kind, aber er will es zu Härte erziehen. Er will, dass das Kind bei ihm bleibt und nicht mit der Mutter in die große Stadt geht. Mathias ist genauso wissbegierig und intelligent wie sein Ziehvater als Kind. Er kann seine Liebe nicht zeigen, sondern reagiert mit Strenge. Und das Kind hasst und liebt ihn gleichermaßen.

Lucas' Begehren der Bibliothekarin Clara, die nur ihren exekutierten Mann liebt, tut ein weiteres zu seiner Vereinsamung. Wir lernen auch den Inhaber des Buch- und Schreibwarenladens, Viktor, näher kennen, ein Mann, der sich sein ganzes Leben vorgenommen hat, ein Buch zu schreiben, aber durch seine Trunksucht nicht dazu kommt. 

Ein Buch voller Tragik, mit schnörkellosen Sätzen und von einer rohen Schönheit. 

Es hilft übrigens ungemein zum Verständnis des Werks von Agota Kristof ihre autobiographischen Erzählungen, die unter dem Titel "Die Analphabetin" erschienen sind, zu lesen. Dort erfährt man, wie ihre Kleinstadt aussah, wie sie und ihr Bruder sich genauso abhärteten wie Lucas und Claus, wie politischen Verhältnisse das Leben ihrer Familie erschwerten und wie unglücklich sie war, als sie von Dort in die Schweiz geflohen war. Heimatlos. 




Cover des Buches Das große Heft (ISBN: 9783492304337)
KikiAnderss avatar

Rezension zu "Das große Heft" von Agota Kristof

KikiAnders
Was der Krieg mit den Menschen macht - perfekt aufgezeigt und aufgezeichnet

In den fortgeschrittenen Kriegstagen bringt eine Mutter ihre beiden noch sehr jungen Zwillingssöhne in eine Grenzstadt zu ihrer eigenen Mutter, weil es in der Großstadt, in der die Familie lebt (der Vater ist schon lange an der Front, seit über sechs Monaten ohne Lebenszeichen) nichts Essbares mehr gibt. Das Alter der Zwillinge weiß man nicht, doch sie haben teilweise noch Milchzähne und die Großmutter hatte von ihrer Tochter schon seit zehn Jahren kein Lebenszeichen mehr gehört und wusste nichts von Heirat und Kindern. Ich habe die Jungen auf acht Jahre geschätzt. 

Die Großmutter ist wenig angetan. Sie will weder von der Tochter noch ihrer "Brut" etwas wissen. Doch am Ende behält sie widerstrebend die Buben, für die fortan eine neue Zeitrechnung und ein neues Leben beginnt. Vorbei ist die Zeit der liebevollen Umarmungen, des behüteten Leben, der Reinlichkeit, des täglichen Zähneputzens. Sie müssen auf einer harten Eckbank in der Küche schlafen, ohne die Decken, Laken und Handtücher, die ihnen ihre Mutter mitgegeben hatte. Denn die Großmutter - als Hexe im Ort verschrien, weil sie angeblich ihren Mann vergiftet hat - verscherbelt alles zusammen mit ihrem Gemüse und ihren Hühnern auf dem Markt und behält den Erlös für sich. Sie wäscht sich nie, schläft in ihren Kleidern, schlägt die Jungen ohne Grund, lässt sie schuften und frieren. 

Das Geld und die Kleidung, die die Mutter schickt, verschwinden, ohne dass die Jungs etwas davon sehen. Im Winter müssen sie barfuß laufen. Doch die beiden geben nicht auf. Sie kämpfen sich durch die Zeit und härten sich zusätzlich mit Schlägen und Hungern ab. Huhn und Pfannkuchen gibt es nur an den Tagen, an denen die Buben Hungertage haben und sich quälen, wenn sie der Großmutter beim Schlemmen zusehen. An den anderen gibt es nur Kartoffeln und Bohnen. Sie peitschen sich, bis sie keinen Schmerz mehr fühlen und brennen alle liebevollen Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis um zu überleben. Denn das Überleben ist verdammt schwierig in diesen Kriegszeiten, wo man stehlen und kämpfen muss um nicht selbst bestohlen zu werden. Auch das Töten muss gelernt werden. Dabei wird schon mal die Hauskatze aufgehängt. Dabei sind sie wissbegierig, intelligent und bauernschlau. Unterrichten sich gegenseitig, lesen in der Bibel und in einem Wörterbuch - dem einzigen, was ihnen von ihrem gefühllosen Vater blieb. Schreiben Aufsätze in ein Heft, die die einzelnen Kapitel dieses Buches ausmachen (sollen). Lernen in Windeseile durch Zuhören die Sprache der Kriegsparteien allein durch Zuhören. Verdienen sich nebenbei Geld. Sie verziehen sich auf den Dachboden, zu dem die Grußmutter, die ihre Enkel nur "Hundesöhne" oder "Hurensöhne" nennt, keinen Zugang mehr hat, seitdem sie die Leiter angesägt haben und die Großmutter damit stürzte. Sie klettern an einem Seil in ihr Reich und durch Löcher im Boden können sie des Nachts die betrunkene Großmutter und auch den Untermieter, einen Offizier in allen ihren Abgründen beobachten. Es gibt auch sexuelle Perversionen in ihrem Umfeld mitzuerleben. 

Auch wenn ihre Abgestumpftheit und die damit einhergehende Verrohung immer weiter voranschreitet, haben sie trotzdem ein Gefühl für Gerechtigkeit und helfen oder bestrafen, wo es ihrer Meinung nach angebracht ist. 

In den letzten Kriegstagen kommt es zu schrecklichen Szenen und die Sieger nehmen sich nach der Kapitulation unbarmherzig was sie wollen, aber die beiden Buben sind inzwischen so schlau, dass sie sich gut durchlavieren können. Trotzdem gibt es am Ende noch einmal einige Knaller, mit denen ich nicht gerechnet hatte, und noch die halbe Nacht grübelte, bis ich verstand. 

Ich musste mich ein wenig mit der ungarischstämmigen Autorin und der Geschichte Ungarns im zweiten Weltkrieg beschäftigen, um zu realisieren, dass die Großstadt Budapest ist, der Ort der Handlungen an der rumänischen Grenze, der Offizier zu der deutschen Armee, mit der sich der ungarische Ministerpräsident verbündete (obwohl die Bevölkerung unglaublich litt und massenhaft an der Front verheizt wurde), die Deportierten ungarische Kriegsgefangene, die verkohlten Menschenpyramiden Juden im Konzentrationslager, die grausamen Sieger die Russen sind. Im Prinzip war alles zu Kriegszeiten und Kriegsende, vor allem die letzten Tage, so ähnlich, wie es mir meine Mutter und mein Vater - die es selbst erlebten - mir immer erzählt haben. 

Obwohl das Buch eine Faszination ausübt, die es zu einem Pageturner macht, ist es nicht leicht zu lesen. Es ist fast ein Glück, dass man als Leser mit den Zwillingen auch ein wenig abstumpft, sonst wäre es kaum zu ertragen.

Nach einem Tag Bedenkzeit habe ich mir heute die Nachfolgebände zu der Geschichte "Der Beweis" und "Die dritte Lüge" (die einstige Trilogie ist nicht mehr erhältlich) sowie ihre autobiographische Erzählung "Die Analphabetin" über ihre Flucht 1956 aus Ungarn und die erste schwere Zeit in der französischsprachigen Schweiz bestellt. Einen besseren Beweis für meine Empfehlung gibt es nicht. 


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