Rezension zu "Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen" von Aharon Appelfeld
Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen, ist eigentlich ein Junge bzw. ein Jugendlicher. Seine Erzählung beginnt nach Ende des Zweiten Weltkrieges, als er sich mit anderen Juden auf der Flucht von Osteuropa (im Grenzgebiet zwischen dem heutigen Rumänien und der Ukraine) nach Neapel befindet. Allerdings nimmt er an der Flucht nicht aktiv teil, sondern schläft fast pausenlos, weswegen ihn die anderen tragen. Erst in Neapel kommt er langsam wieder zu sich. Dort wird er Teil einer Gruppe, die sich auf die Auswanderung und die Gründung des Staates Palästina vorbereitet und sich damit von den restlichen Flüchtlingen unterscheidet. In einer Art Bootcamp wird er, Erwin, fit gemacht, im Umgang mit Waffen trainiert und er lernt Hebräisch. Aber auch hier braucht Erwin zwischendurch immer wieder Tage zum Schlafen. Irgendwann kommt es tatsächlich zur Auswanderung. Auf der anderen Seite des Mittelmeers geht es zunächst ähnlich weiter wie in Neapel. Doch dann kommt die erste militärische Auseinandersetzung, bei der Erwin, der nun Aharon heißt, verwundet wird, noch ehe der Kampf richtig angefangen hat. Seine Beine sind schwerst verletzt, sodass es ungewiss ist, ob er jemals wieder gehen kann. Sein langer Genesungsprozess nimmt ungefähr die zweite Hälfte des Buches ein.
Warum schläft er nun so viel? Nun, zum einen verdrängt er durch den Schlaf seine Kriegserlebnisse (Eingesperrtsein, Folter) und den Verlust seiner Familie (im Konzentrationslager). Er flüchtet sich also in den Schlaf, um zu vergessen. Zum anderen entflieht er damit auch der Realität, in der er sich eine neue Existenz, gar eine neue Identität aufbauen muss. Schließlich bietet ihm der Schlaf eine Möglichkeit, mit seiner Familie vereint zu sein. Denn in seinen Träumen (davon hat er reichlich) trifft er immer irgendein Familienmitglied, meist die Mutter, um über Gegenwart und Vergangenheit zu diskutieren. Damit ist der traumreiche Schlaf natürlich auch eine Entscheidungshilfe, eine Art Kompass für die Gegenwart.
Neben dem Schlaf gibt es noch weitere zentrale Motive in diesem wohl autobiographisch geprägten Roman. Da wäre zunächst das Motiv der Schuld: Erwin fühlt sich schuldig, weil er ein neues Leben in einem neuen Land anfängt und dabei seine Muttersprache ablegt und einen neuen Namen annimmt. Das fühlt sich für ihn an wie Verrat.
Daneben gibt es das Motiv des Schreibens: Erwins Vater träumte von einer großen Schriftstellerkarriere, doch kein Verlag hatte Interesse an seinen Werken, was ihn verzweifeln ließ. An die unermüdlichen Bemühungen des Vaters will Erwin nun anknüpfen und nutzt v.a. seine Rekonvaleszenzzeit, um sich dem Schreiben anzunähern, was natürlich zugleich einen Akt der Heilung auf physischer und psychischer Ebene bewirkt.
Schließlich gibt es noch das Motiv des Hauses, des Zuhauses. Zuhause ist nicht notwendigerweise ein fester Ort, also ein Haus. Zuhause ist vielmehr ein Gefühl, das sich einstellt, wenn man mit den richtigen Menschen zusammen ist. Und das kann durchaus im Traum sein, wo sich Erwin mit seiner Familie verbunden fühlt.
Nun klingt das alles gar nicht so schlecht und nach den zwei Sternen, die ich vergeben habe. Mich hat jedoch massiv gestört, dass all das, was ich in das Buch hineingelesen habe, so plakativ ist, dass jeder andere dasselbe hineinliest. (Habe ich in meinem Lesekreis getestet.) Es gibt also keinen Raum für Diskussionen oder Mehrdeutigkeiten, kommt dabei aber so bedeutungsschwanger daher. Solche Bücher lese ich persönlich nicht gerne, wenn ich auch weiß, dass es viele andere tun. Außerdem ist v.a. die zweite Hälfte des Romans extrem handlungsarm, was mich einfach gelangweilt hat.