Rezension zu "Pesthauch und Blütenduft" von Alain Corbin
Wer wissen will, wie man Mitte des 17. Jahrhunderts begann Düfte, Luft und Körperausdünstungen zu wissenschaftlichen Zwecken ‚einzufangen‘ und zu destillieren, dem sei dieses Buch empfohlen. Erstmals in dieser Zeit versucht man sich mit der Zusammensetzung der Luft und insbesondere der Gerüche auseinander zu setzen. Fäulnisgase und ähnliches werden erstmals kritisch hinterfragt und von Biologen und Medizinern oft einer recht amüsanten Ursache zugeordnet. Hygiene oder ähnliches sind noch nicht so weit ausgebildet, dass sie die Entstehung von Fäulnisgerüchen erklären und u.U. auch deren Indikatorwirkung für gesundheitsschädigende Prozesse anzeigen. Am Verständnis hiervon arbeitet man noch. Problematisch wird der Zivilisationsgestank erstmals 1789 in Paris: die Revolution tobt in der Stadt und nicht nur die Politik gerät ins Wanken – so schreibt Alain Corbin, sondern eben auch die Stadt als solche. Vielerorts drücken der Unrat, die Kloake und die Leichenreste, die nicht verbrannt sondern ebenfalls einfach im Hausrat entsorgt werden, in die Wohnhäuser zurück. Die Stadt ist in den vergangenen Jahrhunderten derart expandiert, dass man Wohnquartiere entweder auf alte Mülllagerstätten erbaut hat (Senkgruben u.ä.) oder dass die Entsorgung aktuell anfallender Müllstoffe (einschließlich Kadavern tierischen und menschlichen Ursprungs) in der Nähe der Wohnhäuser erfolgt. Die Hygienische Zustände – und das beschreibt Corbin sehr plastisch – sind miserabel, der Geruch entsprechend ebenso. Bis erste Versuche unternommen werden, die hygienischen Zustände zu verbessern, vergehen noch fast 100 Jahre; zunächst ist jedoch erforderlich, dass die Menschen der damaligen Jahrhunderte die gesundheitsgefährdenden Wirkungen solcher „stinkender Zustände“ begreifen. Alain Corbin, französischer Professor, beschränkt sich in seiner Kulturgeschichte des Ge-stanks auf Frankreich, insbesondere Paris. Er zitiert Unmengen an Primärliteratur; Briefen, Tagebüchern, damalige Fachpublikationen. Das Erzählte ist oft drastisch aber gibt die tatsächlichen Zustände sehr plastisch und einprägsam wider. Alles in Allem eine sehr lohnenswerte Lektüre, wenn auch nichts für schwache Nerven. Im Übrigen räumt sie – zumindest indirekt – mit dem ewigen Mythos einer „besseren Vergangenheit“ auf: früher war nichts „besser“, allenfalls „anders“, so insbesondere unglaublich stinkender und unsauberer.