Rezension zu "Amy und die geheime Bibliothek" von Alan Gratz
Wenn ich ein Buch liebe, möchte ich es am liebsten der ganzen Welt empfehlen. Aber wie fasse ich meine Begeisterung so in Worte, dass sie für jemand anderen verständlich werden? Gleich damit hat Amy mich am Anfang schon eingefangen:
Wie erklärst du jemandem, warum du etwas magst? Du kannst alle Besonderheiten aufzählen, die dir gefallen. [...] Doch nichts davon ist der eigentliche Grund, warum ich das Buch schon dreizehnmal gelesen habe und es trotzdem immer wieder lesen möchte. Der eigentliche Grund ist [...] viel mehr als alle diese Dinge zusammengezählt.
Wie erklärst du jemandem, warum dir eine Sache wichtig ist, wenn sie dem anderen nichts bedeutet? Wie kannst du ausdrücken, dass dich ein Buch so sehr berührt, dass es ein Teil von dir wird und dein Leben sich ohne es leer anfühlt?
Auf der Rückseite wird das Buch als “ein Buch über mutige Kinder und die Bedeutung von Büchern” beworben, und das stimmt. Aber Mut zeigt sich auf ganz unterschiedliche Weisen. Amy möchte dem Schulausschuss erklären, warum ihr Lieblingsbuch nicht verbannt werden sollte, aber beim Treffen bringt sie kein Wort hervor. Genauso, wie es Amy schwerfällt zu erklären, warum Gilly Hopkins ihr Lieblingsbuch ist, könnte ich alle Besonderheiten an diesem Buch aufzählen, die mir gefallen, auch wenn sie nur einen Teil darstellen. Zum Beispiel, dass Amy eine Heldin ist, die auch aus einer Roald-Dahl-Geschichte hätte entspringen können (dessen Bücher übrigens auch teilweise verbannt werden sollen). Oder wie Bibliotheken als Zufluchtsorte dargestellt werden, die die größten Schätze beherbergen, die ich mir niemals hätte kaufen können. Ich möchte dieses Buch in jede Bibliothek und jeden öffentlichen Bücherschrank stellen.
In den USA gibt es jedes Jahr Hunderte Beschwerden, die erreichen wollen, dass Bücher aus Bibliotheken verbannt werden. Und auch wenn wir nicht in den USA leben, sollten wir uns nicht einfach erleichtert zurücklehnen. Bücher verdienen es, immer und überall wertgeschätzt zu werden. Welches Recht hat eine erwachsene Person, die diese Bücher vielleicht gar nicht einmal selbst gelesen hat, darauf, jene Bücher aus einer Schulbibliothek verbannen zu wollen? Und auch wenn die Direktorin Amy erklären will, dass es einen Unterschied zwischen verbannen und entfernen gibt, so bin ich ganz Amys Meinung, dass es in beiden Fällen bedeutete, dass die Bücher damit unzugänglich gemacht werden.
Wir sollten uns aussuchen dürfen, was wir lesen möchten und wann wir es lesen möchten, ohne dass wir jemandem erklären müssen, warum uns genau diese Geschichte gefällt oder warum wir sie für wertvoll halten.
Dem Autor Alan Gratz ist es gelungen, ein Kinderbuch zu schreiben, das Kinder mit einer Geschichte über Freundschaft, Mut und Zusammenhalt gegen gemeine wie auch nette Eltern und Lehrkräfte bestens unterhält, während es auch erwachsene Leser*innen schmunzeln lässt und gleichzeitig vor Augen führt, dass Viellesen in keinem Alter selbstverständlich und etwas unglaublich Wertvolles ist.
Nicht nur die guten Bücher sollten gelesen werden, sondern alle Bücher. Egal welche Bücher. [...]
Ich hatte Glück, meine Eltern würden mir jedes Buch kaufen, das ich haben wollte, wenn ich sie darum bat. Doch nicht alle Eltern konnten das. Deshalb gab es Bibliotheken: damit jeder die Chance hatte, die gleichen Bücher zu lesen wie alle anderen.”