Cover des Buches Op. non cit (ISBN: 9783827002570)
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Rezension zu Op. non cit von Alan Isler

Intellektuelle Anarchie in gebildetem Gewande

von Joachim_Tiele vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Vier Künstlernovellen, die sich bewusst schwierig geben und damit der "leichten Lektüre" entziehen.

Rezension

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Joachim_Tielevor 8 Jahren

Vorab: es ist ein richtig schönes Buch, die deutschsprachige Ausgabe aus der hohen Zeit des alten Berlin Verlags (1), der sich auf gediegene Ausgaben aus dem relativ schmalen Feld des aufgeklärten Konservatismus spezialisiert hatte, bildungs- und kulturorientiert und damit zutiefst bürgerlich, aber auch von progressiven Lesern geschätzt und gekauft, die sich dafür interessierten, was die andere Seite dachte; dies leicht gemacht durch die Hohe Kunst der Buchherstellung, die schon seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von immer mehr Verlagen dem zunehmenden Kostendiktat geopfert wurde. Beim Berlin Verlag konnte man sich in jenen Jahren sicher sein, dass man inhaltliche wie gestalterische Distinktion und Exklusivität gekauft hatte. Die vier Novellen dieses Bandes sind auf eine geradezu exzentrische Weise schwierig, und dies ganz offensichtlich mit Bedacht. Isler (1932-2010), ein Brite, der schon in relativ jungen Jahren in die USA übergesiedelt war und dort englische Literatur erst studierte und später unterrichtete, tut sich nicht den Zwang an, seine eigene superbe Bildung vor dem Leser zu verbergen. Seine Sätze sind lang, verschachtelt, strotzen von Fremd- und Fachwörtern aus dem Kanon der klassischen humanistischen Bildung und scheinen darüber hinaus ihren Inhalt gelegentlich am Satzende verloren zu haben, bis sie, wie von spielerischer Zauberhand geführt, doch zur ihrem Ziel zurückfinden. Aber zu welchem Ziel?

Ohne die Hinweise des – gegenüber dem Text hier bei LovelyBooks deutlich ausführlicheren – Klappentextes wäre man auch bei guten Allgemeinkenntnissen der europäischen Literatur seit, sagen wir, Shakespeare schnell aufgeschmissen, denn Isler zeigt in seinen Texten vordergründig nicht, was er denn eigentlich darstellen will, und worauf er sich bezieht; dass die Texte anspielungsreich sind, merkt man schnell, obwohl man sich nicht sicher sein kann, worauf sie anspielen. Und dies ist pure Absicht. Op. non cit., der Titel der Sammlung, sagt ganz klar, dass die Werke, auf die die Texte Bezug nehmen, nicht angeführt werden. Entweder man kennt sie, oder man findet sie heraus, oder man steht auf dem Schlauch. Gemeinsam ist allen vier Texten die Ausgrenzung ihrer Protagonisten aus den Gesellschaften, in denen sie leben, durch ihr Jüdisch-Sein in einer nicht-jüdischen Welt. Dies ist allerdings bei Isler frei von jeder Form von Lamento, sondern von einer Selbstironie, wie sie deutschen Lesern vielleicht aus Salcia Landmanns Jüdische Witze (2) bekannt ist. Nicht nur werden sie in Islers Novellen von Christen verachtet und zum Abschwören ihres Glaubens aufgefordert, sondern sie selbst verachten bisweilen nicht nur ihren eigenen Glauben, aber auch ihre christlichen Mitbürger, nehmen etwa Essenseinladungen bei diesen nicht an, weil dort nicht koscher gekocht wird, oder weigern sich, mit einer Frau zu schlafen, weil sie ein Kreuz an einer Kette um den Hals trägt.

Das Monstrum etwa hat den ungenannt bleibenden Shylock aus Shakespeares Der Kaufmann von Venedig zum ich-erzählenden Protagonisten, wobei der zentrale Plot in Shakespeares Drama bei Isler als mein Jahrhundertprozess allenfalls am Rande erwähnt und sachlich anders aufgelöst wird. Zwei der Figuren Shakespeares, Antonio und Bassanio, werden bei Isler zu der einen Person Antonio Bassanio, dem, nur bei Isler, bekehrten Juden Ascher Bassan, und damit der Streit um das Pfand zu einem Streit unter Juden. Eine der Nebenfiguren des Dramas, einer der Freier Portias, ein Engländer, dem Shylock bei Shakespeare nicht begegnet, tritt bei Isler zusammen mit diesem auf, aber um das herausfinden zu können, sollte man einen Blick in das Drama werfen und nicht nach dem Namen suchen, sondern nach der Beschreibung der Bekleidung der jeweiligen Figur. Als Ergebnis zeigt sich dann, dass sich Isler, gebürtiger Engländer, über die Engländer und ihr Auftreten im Ausland lustig macht, aber dies als jüdischer Engländer auf dem Umweg der Beschreibung der Begegnung eines Engländers auf Reisen mit einem Juden.

Ähnlich wie die auf Shakespeare verweisende Geschichte haben auch die anderen drei in ihnen selbst ungenannt bleibende Bezüge, etwa Der Bacon-Liebhaber auf Coleridges Poem Kubla Khan, Die Überfahrt auf Wildes Komödie Ernst sein ist alles und Die Affäre auf Zolas Ich klage an. Diese Bezüge sind allerdings aufs höchste vertrackt. Der Bacon-Liebhaber könnte mit gleichem Recht Der Geigenbauer heißen, doch seine Liebhaberei bezieht sich auf den Philosophen Bacon ebenso wie auf den gleichnamigen Schinkenspeck in englischen Puddings, auf die der jüdische Protagonist trotz seiner glaubensbedingten Speisevorschriften nicht verzichten mag, genauer gesagt, auf seine Lebensgefährtin, eine von den Nachbarn so bezeichnete Judenhure, wie der Titel gleichfalls hätte lauten können, deren Spezialität am Herd allerlei Puddings mit nicht-koscheren Zutaten sind. Als einen Auftrag fertigt er nicht eine Geige, sondern eine Dulcimer (eine Art Zither), und auf der Reise zum Auftraggeber, der das Instrument für seine Tochter bestellt hatte, begegnet er einem jungen Mann, der Interesse an dem Instrument zeigt, nach der Vorführung der Dulcimer und der Erläuterung des Auftrags Opium in sein Weinglas träufelt und daraufhin sofort einschläft. Die Zeilen A damsel with a dulcimer / In a vision once I saw aus Kubla Khan, Coleridges Opiumabhängigkeit und seine spätere Selbstaussage, dass er diese Vision in einem Traum hatte, sollte man kennen, andernfalls kann man als Leser den Bezug nicht herstellen. In Die Überfahrt den Bezug zu Wilde zu sehen, ist vergleichsweise einfach, denn er wird als in der Geschichte auftretende Person genannt, und ein Namenswechsel, wenn auch aus jeweils anderen Gründen, findet in Islers Novelle wie in Wildes Komödie statt. Der Hinweis auf Zola und die Affäre Dreyfus in Die Affäre ist fast eine Irreführung, denn die Geschichte spielt in der Gegenwart der off Broadway Theaterszene in New Yorks Greenwich Village. Sie wirklich goutieren, und Islers Erzählabsicht einordnen, kann man wohl nur im Zusammenhang mit Kenntnissen über die Konkurrenzsituation der Londoner Theaterszene zu Zeiten Shakespeares und der damaligen Diskussion über populäre Theaterstücke, die dem Geschmack des Publikums entsprachen.

Op.non.cit allein als literarisches Rätselbuch, als exzentrischen Spaß eines alten Kauzes und emeritierten Literaturprofessors anzusehen, würde zu kurz greifen. Es sprüht vor Lust und Leben, der Lust an subtiler Erkenntnis und dem Leben in seiner prallsten Form, Derbheit und Frivolität eingeschlossen. Wer sich auf den Weg dieses Buches macht, und der Leser mag versichert sein, dass die Hinweise in dieser Rezension allenfalls die ersten Schritte erleichtern, keineswegs das Äquivalent des den Mörder Verratens bei einem Krimi darstellen, macht sich auf den Weg eines Grundlagenkurses in Sachen Weltliteratur unter besonderer Berücksichtigung des jüdischen Einflusses auf sie, ebenso wie der Darstellung jüdischen Lebens und Denkens in ihr. Flucht und Diaspora, Namen und Bedeutungen, Erschaffung und Verlust von Identitäten und Vermögen, Klugheit und Torheit, Schönheit und Hässlichkeit, Witz und Magie von der Renaissance bis in die Gegenwart sind die Gegenstände, die dieses Buch zu erforschen und aufeinander zu beziehen einlädt. Der Weg dorthin ist der der Anarchie des Denkens, verkleidet als Bildungsreise durch Jahrhunderte und Kontinente. Also durchaus eine seriöse Angelegenheit…

Joachim Tiele – 08.02.2016

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(1) http://www.zeit.de/2012/11/Berlin-Verlag

(2) Salcia Landmann, Jüdische Witze, dtv, 1963 (und öfter)
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