Rezension zu "The Kaiser's Last Kiss" von Alan Judd
Alan Judd nähert sich mit diesem Buch dem Zweiten Weltkrieg auf eine sehr unkonventionelle Weise: er beschreibt das Lebensende des letzten Kaisers von Deutschland.
Wilhelm II lebt in Haus Doorn in den Niederlanden als es von den Nazis okkupiert wird. Der Untersturmführer Martin Krebbs wird ihm zur Seite gestellt - vordergründig um ihn zu beschützen (vor den Holländern - unter denen er schon jahrzehntelang in Ruhe lebte), tatsächlich aber um ihn und seine Loyalen zu observieren. Es wird dezidiert versucht herauszufinden, wie er den Nazis und der neuen Führung unter Hitler gegenübersteht. Als schließlich auch die Gegenwart eines britischen Spions nachgewiesen wird und Himmler höchstpersönlich seinen Besuch ankündigt, überschlagen sich die Ereignisse.
Dieses Buch ist ein echter Gewinn! Am meisten gefällt mir, dass Judd aus der Sicht eines Nazi-Soldaten erzählt, der nur dem Nationalsozialismus seinen sozialen Aufstieg verdankt und trotzdem durch die Ereignisse im Laufe seines Aufenthalts lernt, die Dinge kritischer zu hinterfragen. Untersturmführer Krebbs verliebt sich in ein holländisches Dienstmädchen - Akki - die das Handeln der Nazis nicht einfach nur hinnimmt, sondern auch kritisiert. Selbst der Kaiser der Deutschen ist informiert über Massaker an britischen Gefangenen und hält mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg. Gleichzeitig hat er immer noch die eigene Vergangenheit abzuarbeiten. Der Erste Weltkrieg und sein Ausgang liegen ihm noch schwer auf dem Gewissen. Seine Gattin lässt einstweilen nichts unversucht, den ehemaligen Status des Kaisers im Nazireich wieder aufleben zu lassen - allein um es ihrer Schwester zu zeigen.
So hat jede Figur einen schlüssigen, hintergründigen Antrieb - es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Judd nimmt Anleihen an der Geschichte und lässt so einige Szenen, die tatsächlich stattfanden, wieder aufleben. Am Ende geht es jedoch darum, nach der eigenen Moral zu handeln. Was ist gut und richtig? Was ist Dogmatismus?
Das Buch habe ich aufgrund einer Filmempfehlung entdeckt. Nun habe ich den Film gesehen und das Buch gelesen - es gibt markante Unterschiede zwischen den beiden. Gut ist beides. Soweit ich weiß, ist das Buch nie auf Deutsch erschienen, dürfte jedoch für Leute mit vernünftigen Englischkenntnissen kein Problem darstellen.
Die Dialoge sind stimmig. Der Stoff genial. Ein feines, sinniges Werk.