Cover des Buches From Hell (ISBN: 9783864971020)
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Rezension zu From Hell von Alan Moore

Bis in Ewigkeit

von Igelmanu66 vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Einfach großartig. Wer sich für das Thema interessiert, sollte sich dieses Meisterwerk nicht entgehen lassen.

Rezension

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Igelmanu66vor 9 Jahren

»Armes Kind. Arme Polly. Was für ein Leben musstest du ertragen, und wartest nur auf die Befreiung.«

»Mm. Ich… Sir? Ich fühle mich so komisch. Sehn Sie auch Funken?«

»Ach Kind, das sind nur die Sterne. Ich glaube, dies ist eine ungewöhnliche, besondere Nacht. Für uns beide.«

»Ungewöhnlich? Ha ha! Ach Sir, was meinen Sie damit?«

»Polly, heute Nacht leuchten die Sterne nur für uns. Das Schicksal hat uns an diesem Ort zur rechten Zeit zusammengeführt … Darum gehen unsere Namen zusammen in die Geschichte ein.«

Tatsächlich, man kann es nicht abstreiten. Der Name Polly Nichols ist gemeinsam mit dem ihres Mörders in die Geschichte eingegangen. Mit einem Unterschied: Wer Mary Ann Nichols, die von allen Polly genannt wurde, war, weiß man genau…

London im Jahr 1888. Der furchtbare Mord an Polly Nichols am 31. August eröffnet eine geschichtsträchtige Mordserie im Bezirk Whitechapel. Innerhalb weniger Wochen werden dort fünf Prostituierte ermordet, verstümmelt und ausgeweidet. Seit diesem Herbst jagd man den Täter, es gab zahllose Verdächtige, reichlich Theorien und immer noch kommen neue hinzu. Ob man das Rätsel jemals lösen wird? Das Rätsel um die tatsächliche Identität hinter der Person Jack the Ripper…

Diese Graphic Novel nimmt nicht für sich in Anspruch, das Rätsel lösen zu wollen. Es wird eine Theorie aufgegriffen, die von einer Beteiligung des Königshauses und der Freimaurer ausgeht. Ob das realistisch ist, ist aber völlig gleichgültig, denn die Umsetzung ist einfach großartig und das Beste, das ich bislang im Bereich Graphic Novel gelesen habe.

Penibel wird das Szenario dargestellt, Bilder, Hintergründe, Sprache, alles passt perfekt. Die Texte sind ausgefeilt und nicht immer einfach. Das hier ist keine Graphic Novel, die man „mal eben“ lesen kann. Der Leser weiß von Anfang an um die Identität des Rippers, folgt und begleitet ihn bei seinen Taten. Meine Güte, die Zeichnungen sind ausschließlich schwarzweiß, was hervorragend zur Stimmung des Buches passt, aber ich hätte nicht gedacht, dass man Blut ohne Farbe so intensiv darstellen kann. Während eines Kapitels ist mir glatt ein wenig flau im Magen geworden, so präzise sind die Bilder.

Großartig auch, wie die Unterschiede zwischen dem Armenbezirk Whitechapel und dem noblen Westen der Stadt dargestellt werden. Es gibt Bilderfolgen, die den jeweils gleichen Grundablauf hier und dort zeigen, beispielsweise das morgendliche Erwachen, Aufstehen, Waschen usw. Man sieht die Bilder und hat keine Fragen mehr.

Die Texte sind – wie gesagt – nicht immer einfach und auch die Bilder wollen genau betrachtet werden. Die Psyche des Täters, Riten der Freimaurer, Exkurse über Kunst und Stadtgeschichte stehen im starken Kontrast zu „Gossensprache“, pornografischen Bildern, Wahnvorstellungen und Blutorgien.

»Wir befinden uns in der äußersten und entferntesten Region des menschlichen Geistes, einer trüben unbewussten Unterwelt. Einem leuchtenden Abgrund, wo der Mensch sich selbst begegnet … Die Hölle, Netley. Wir sind in der Hölle.«

Auch der Umfang ist beachtlich! Über 600 Seiten! Und dabei sind auf fast jeder Seite 7-9 Bilder. Das Buch ist daher auch ein kleiner Brocken mit ordentlichem Gewicht. Der Anhang mit Karten, Erläuterungen, Quellenangaben, historischen Personen und den Biografien einiger Charaktere, Örtlichkeiten, Slangausdrücken, überlieferten Zitaten usw. umfasst lockere kleinbeschriebene 57 Seiten. Man kann auf den Anhang auch durchaus während des Lesens zurückgreifen. Der Autor Alan Moore hat ihn seitenweise untergliedert und achtet darauf, nicht zu spoilern. Ich war völlig fasziniert, wie umfassend er und der Zeichner Eddie Campbell sich mit der Materie befasst haben. Die beiden arbeiteten an diesem kolossalen Werk von 1991 bis 1998 – und während dieser Zeit können sie kaum Pausen eingelegt haben. Was den Realitätsbezug der Zeichnungen angeht, wurde wohl jede mögliche Vorlage verwendet, die man erhalten konnte. Wenn beispielsweise das Innere des Arbeitshauses von Marylebone dargestellt wird, dann soll die Darstellung nicht nur einem typischen Arbeitshaus aus dieser Zeit entsprechen, sondern genau dem tatsächlichen. Akribie nennt man das wohl. Ein zweiter Anhang mit noch einmal 24 Seiten schließt sich an, der sich mit den vielen Ermittlungsansätzen und Theorien befasst, mit Verschwörungen und Ripperologen. Fast nichts ist sicher, bis auf…

»Dieses Buch ist Polly Nichols, Annie Chapman, Liz Stride, Kate Eddowes und Marie Jeannette Kelly gewidmet. Ihr und euer Tod: des allein sind wir gewiss.«

Fazit: Einfach großartig. Wer sich für das Thema interessiert, sollte sich dieses Meisterwerk nicht entgehen lassen.

»Verstehst du, wie sehr ich dich liebte? In ein oder zwei Jahren wärt ihr alle tot gewesen, gestorben an Leberversagen, Männern oder Geburt. Tot. Vergessen. Ich habe euch gerettet. Verstehst du das? Ich habe euch vor der Zeit in Sicherheit gebracht, und die Legende verbindet uns unauflöslich bis in Ewigkeit.«

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