Cover des Buches The Loneliness of the Long Distance Runner (Harper Perennial Modern Classics) (ISBN: 9780007792146)
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Rezension zu The Loneliness of the Long Distance Runner (Harper Perennial Modern Classics) von Alan Sillitoe

Rezension zu "The Loneliness of the Long Distance Runner (Harper Perennial Modern Classics)" von Alan Sillitoe

von rumble-bee vor 14 Jahren

Rezension

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rumble-beevor 14 Jahren
Was man doch manchmal für Schätze im Bücherschrank stehen hat! Ich bin froh, instinktiv nach diesem Buch gegriffen zu haben. Es war genau das, was ich gerade brauchte: eine Sammlung kurzer, aber anspruchsvoller Geschichten, leicht zu lesen aber instruktiv, mit lebendiger Alltagssprache. Und eine Begegnung mit meiner Jugend war es auch noch, weil ich mir diese Ausgabe damals noch im Studium angeschafft hatte - es war lustig zu sehen, welche Vokabeln ich damals angestrichen habe! Ja, zur Klarstellung sei nochmal gesagt, dass ich hier eine ENGLISCHE Ausgabe habe von 1992, welche auch nicht nur die Titelgeschichte enthält, sondern 8 weitere, alle mindestens ebenso gut (und natürlich alle von Alan Sillitoe...). Enthalten sind die Geschichten: 1) The Loneliness of the Long-Distance Runner, 2) Uncle Ernest, 3) Mr. Raynor the School-Teacher, 4) The Fishing-Boat Picture, 5) Noah's Ark, 6) On Saturday Afternoon, 7) The Match, 8) The Disgrace of Jim Scarfedale, und 9) The Decline and Fall of Frankie Buller. Alle haben die typischen Kennzeichen, die Alan Sillitoe völlig zu Recht so berühmt gemacht haben, und die "Schuld" daran sind, dass die Titelgeschichte sogar ins "Buch der 1000 Bücher" aufgenommen wurde: Alle Geschichten spielen im Milieu "einfacher Leute", zumeist Arbeiter oder Schulkinder; es wird eine lebendige Alltagssprache benutzt (was man da alles an Slang lernt, ist unglaublich; deshalb unbedingt im Original lesen, wenn möglich! sonst geht der Eindruck der Lebendigkeit verloren!!); es wird völlig auf eine Wertung seitens des Autors verzichtet; alle Protagonisten werden unmittelbar in einer Krisen- oder sonstigen intensiven Situation geschildert; nahezu völliger Verzicht auf schmückendes Beiwerk wie ausufernde Beschreibungen (es sei denn von Charaktereigenschaften); dynamische Entwicklung des Geschehens aus sich selbst heraus, also keine "im Kopf" verkomplizierten Plots; starkes Überwiegen der Dialoge oder der gesprochenen Sprache; und zumeist tragische Enden - tragisch in dem Sinne, das niemals etwas überzuckert oder "glücklich gelöst" wird, sondern vielmehr durch die jeweilige Geschichte dem Leser ein Wirklichkeitsausschnitt nahe gebracht wird, den er sonst so nicht gekannt hätte. Für den Leser wird unmittelbar spürbar, dass der Autor aus diesem Milieu stammt, er wertet niemals und versteht es, sogar noch für den letzten Gassenjungen Sympathien zu erwecken. Selbst im Tragischen geht den Protagonisten (fast) nie der Humor aus, sie erleben sich selbst durchaus nicht als gescheiterte Existenzen, sondern bewahren so weit als möglich ihre menschliche Würde. All das ist schon eine unglaubliche Leistung! ich würde sogar so weit gehen, dieses Buch, diese Geschichten (oder zumindest ähnliche) zur Pflichtlektüre für Sozialarbeiter und bewährungshelfer zu machen. Denn hier lernen sie zweifellos mehr über die Psyche von "sozial schwachen Menschen" als aus jedem Lehrbuch! *** Nur noch einige kurze Bemerkungen zu den Inhalten der einzelnen Geschichten. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass die Titelgeschichte die beste ist. Zweifellos die berühmteste, über einen jugendlichen Straftäter, der sich weigert, sich der Gesellschaft unterzuordnen, indem er absichtlich ein Rennen in der "Besserungsanstalt" verliert - weil er den Leiter und den Minister völlig durchschaut hat: denen geht es überhaupt nicht um ihn, sondern um ihren eigenen Ruhm. Mein persönlicher heimlicher Favorit ist eher "On Saturday Afternoon", weil die Geschichte vor schwarzem Humor nur so strotzt, was ich ja sehr liebe! Ein Zehnjähriger sitzt gelangweilt allein zu Hause, weil er nicht mit seinen Geschwistern ins Kino durfte. Da sieht er einen schon länger als schräg geltenden Nachbarn mit einem Seil vorbeigehen, und schleicht ihm nach. richtig geahnt: der Mann will sich erhängen, weil er Frau und Arbeit verloren hat. Und was geschieht? Das Kind wird zum Komplizen, es schaut fasziniert bei den Vorbereitungen zu, und verspricht sogar, zu assistieren (die Tür schließen, den Stuhl umkippen...). Schräger geht es nicht: der Junge platzt vor Stolz, weil er nun seinen Geschwistern bei der Rückkehr etwas zu erzählen hat! Allerdings geht der Selbstmordversuch schief. der Junge verdrückt sich, als die Polizei kommt, und denkt sich seinen Teil ("hab ich dem Typ ja gleich gesagt, dass die Lampe das nicht aushält"). Der Mann wird abtransportiert, und zum Schluss erfahren wir noch, dass er sich in der Haft doch noch durch einen Sprung aus dem Fenster getötet hat. Weitere Geschichten handeln z. b. von Außenseitern aus der Nachbarschaft, bei denen autobiographische Züge aus der Jugend des Autors nur vermutet werden können. einmal geht es um Jim Scarfedale, der immer bei seiner Mutter wohnte, eine gescheiterte Ehe hinter sich hat, und der schließlich als Perverser endet, der kleine Mädchen erschreckt. Frankie Buller hingegen ist geistig behindert, und leitet mit 20 noch Straßenschlachten unter den Kindern des Viertels. Dies ist sein einziger Weg, sich wichtig zu fühlen: indem er träumt, er sei ein echter Soldat... In "Noah's Ark" haben wir es mit zwei Schuljungen zu tun, die trotz Geldmangels einen Abend auf dem Rummel verbringen und so allerhand Möglichkeiten erkunden, dennoch an einige Münzen und kostenlose Mitfahrten zu kommen... Die restlichen Geschichten handeln allesamt von Erwachsenen, bzw. sind aus erwachsener Perspektive geschrieben (die bisher erwähnten in der Ich-Perspektive, also aus kindlicher Sicht). Hier würde ich den einzigen Abstrich machen, der aber letztlich kaum ins Gewicht fällt: der Autor ist tendenziell besser darin, die kindliche Sicht einzunehmen als die erwachsene. Er ist einfach überzeugender, wenn er Kinder darstellt oder Jugendliche. Allerdings sind auch die erwachsenen Protagonisten der restlichen Geschichten allesamt verknackte Existenzen: ein Lehrer, der an seinem Beruf verzweifelt und sich lieber die Verkäuferinnen im Laden gegenüber anschaut; ein Mann, der bei verlorenen Fußballspielen regelmäßig Wutanfälle bekommt und so seine Frau vergrault; ein anderer, der jahrelang von seiner Frau getrennt lebt, und sie dennoch nicht verurteilt, und schließlich ein armer Landstreicher, der für seine Freundlichkeit zwei kleinen Mädchen gegenüber noch missverstanden wird. *** Dies soll als Lese-Anregung reichen. Ich kann nur sagen, das ist nicht nur abwechslungsreiche Lektüre, sondern "dem Volk direkt aufs Maul geschaut", empfehlenswert für jeden, der wissen will, wie es in den 50ern in England so zuging!
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