Cover des Buches Seta (ISBN: 9788817106252)
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Rezension zu Seta von Maddalena Agliati

Ein Hauch von Nichts

von Ulenflucht vor 10 Jahren

Kurzmeinung: Lesenswert und gut geeignet für Italienischlerner

Rezension

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Ulenfluchtvor 10 Jahren
Seide, ein Hauch von Nichts. Und genau so ist diese kurze Erzählung, dieser schmale Band, der nicht mal so viel wie eine Tafel Schokolade wiegt. Leicht, fließend, geschmeidig und letztlich bedeutungslos.

Hervé Joncour lebt von der südfranzösischen Seidenproduktion, sie verschafft ihm und seiner Frau Hélène Wohlstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts und ein solides, leidenschafts- und kinderloses Leben. Als eine Seuche die Seidenraupen eingehen lässt, drängt ihn die Not in das isolierte Japan, das er nach monaterlanger Reise erreicht und zu dem er mehrfach zurückkehrt, nicht nur wegen der Raupen, sondern auch in der Hoffnung, der geheimnisvollen und schweigsamen Schönen wieder zu begegnen, die nur einen Satz von sich gibt, auf Papier: Kehre zurück oder ich sterbe. Er kehrt zurück, aber es herrscht Krieg in Japan und seine letzte Reise, um Seidenraupen zu kaufen, ist erfolglos, denn auch sie gehen ein. Zurück in Frankreich erhält er jedoch einen langen, erotischen Brief auf Japanisch, der dieser imaginären Liebe einen Schlusspunkt setzen soll, aber letztlich nicht das ist, wofür ihn Hervé Joncour hält.

Alessandro Baricco packt diese Geschichte in ganze 65 Kapitel, die teilweise nicht mal eine Seite lang sind, aber voller Symbolik stecken. Als sei alles aus Seide. Die Stimme von Hélène, das Schweigen der japanischen Schönen, das lange Band der ewig gleichen Reise von Südfrankreich über Kiew und Russland nach Japan, die leichte Bedeutungslosigkeit des Lebens. Der einzige Fremdkörper ist der Protagonist selber, der ein gradliniges Leben führt und das durch einen einzigen Blick der Japanerin aus den Fugen gerät. Alles, was mit Seide assoziiert werden kann, ist Hervé Joncour nicht. Ein gekonnter Kontrast, der aus ihm einen Spielball macht zwischen zwei Kulturen, zwei Frauen, Realität und Vorstellung.

Überhaupt ist Alessandro Baricco ein müheloser Könner, ein Sprachkünstler, ein Maler, ein Musiker. Aus seinen Büchern macht er Gesamtkunstwerke. Seta steht Novecento oder Oceano Mare in nichts nach, es ist genauso einzigartig in Stil und Thema wie sie. Das macht es schwer, diesem Buch mangelnde Tiefe zu diagnostizieren, denn es scheint Absicht und macht den Leser selbst zum Schuldigen, wenn er sich mehr Tiefe wünscht. Stattdessen bietet es Raum, sich die Geschichte selber zu schaffen, jenseits von Worten, jenseits von Stoff, wenn dieser leicht ist wie Seide.
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