Cover des Buches Eine Frage der Zeit (ISBN: 9783813502725)
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Rezension zu Eine Frage der Zeit von Alex Capus

Vom Irrsinn des Krieges

von Stefan83 vor 13 Jahren

Rezension

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Stefan83vor 13 Jahren
Dass Alex Capus ein Händchen dafür hat, geschichtliche Themen mit Fiktion zu verbinden, hat er nun schon in mehreren seiner Romane bewiesen. Und auch bei seinem neuesten Werk, "Eine Frage der Zeit", ist dies nicht anders, liefert er sogar seine meiner Meinung nach beste Leistung ab. Wäre die von ihm gewählte Geschichte dabei nicht auch hieb- und stichfest verbürgt und in Militärarchiven nachzulesen, man müsste ihm vorwerfen jegliches Maß verloren zu haben und zur Übertreibung zu neigen. Doch die Hintergründe sind nicht erfunden, sondern basieren auf unumstößlichen Fakten und Tatsachen, die Kaiser Wilhelm II., der unter größenwahnsinnigen Halluzinationen von einem deutschen Kolonialreich Afrika träumte, seiner Zeit selber schuf. Alex Capus nimmt nun den Faden auf und verwebt ihn zu einer ebenso fesselnden wie ziemlich verrückten Erzählung, die im Jahre 1913 ihren Anfang nimmt. Auf Befehl eben jenes Kaisers Wilhelm II. ist in der Meyer-Werft in Papenburg das Dampfschiff "Graf Götzen" erbaut worden, das auf dem Tanganjikasee in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika die deutsche Präsenz erhöhen und die Seehoheit auf dem Gewässer sicherstellen soll. Dort, wo sich die Gebiete der Kolonialmächte Deutschland, England und Belgien berühren, bedeutet ein Schiff strategischen Vorteil und so bekommen drei folgsame Papenburger Schiffsbauer den abenteuerlichen Auftrag, die "Graf Götzen" in ihre Einzelteile zu zerlegen und in 5.000 Kisten verpackt zu ihrem Zielort zu bringen. Über Hamburg, Daressalam und eine Bahn im Inneren des Landes gelangt sie schließlich zum Tanganjikasee, wo im Februar 1915 der Stapellauf erfolgt. Gleichzeitig schlägt in London die Stunde des Oberstleutnants Spicer Simson, eines erfolglosen Hasadeuers und begnadeten Aufschneiders, der von der Royal Navy dazu berufen wird, unter strengster Geheimhaltung zwei ehemalige Ausflugsschiffe zu Kanonenbooten umzubauen und gleichfalls ins Herz Afrikas zu transportieren, wo sie die britische Präsenz verstärken sollen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verwandelt die Idylle des Sees schließlich in einem absurden Schauplatz des tödlichen Kampfes... Capus schildert, ohne in den oftmals üblichen "Anti-Kriegs"-Jargon zu verfallen, das Leben von vier unterschiedlichen Männern, die sich in einem ausbrechenden Konflikt plötzlich auf verschiedenen Seiten gegenüberstehen. Feinde durch den Willen ihrer jeweiligen Herrscher und Figuren im Ränkespiel der großen Politik, sind sie dennoch vereint in ihrem Erleben des widersinnigen Krieges, den keiner will, aber ein jeder führen muss. Der Autor nimmt hier nicht nur kolonialen Dünkel sowie europäisches Herrendenken und Großspurigkeit aufs Korn, sondern zeigt gleichzeitig die grausamen Auswirkungen der so genannten zivilisierten Völker auf einen bis dahin unberührten Flecken der Erde. Einfach fantastisch, wie Capus mit wortwitziger und bildreicher Sprache den Leser von Beginn an zu packen vermag und ihn hundert Jahre in die Vergangenheit katapultiert. Derart lebendig und realistisch erzählt, meint man bald die tropische Glut selbst zu spüren, das Donnern der Kanonen hören zu können. Hinzu kommen die wunderbaren Figuren, insbesondere der liebenswerte Aufschneider Spencer, die der Autor mit Humor, feinem Spott und Augenzwinkern gezeichnet hat, und die doch so nachvollziehbar und verständlich für den Leser bleiben. So lächelt man doch nie ganz, steckt hinter jedem Schmunzeln doch die Gewissheit, dass diese abstruse Geschichte wirkliche geschehen ist und ihre tödlichen Auswirkungen hatte. Insgesamt ist "Eine Frage der Zeit" ein herrliches Lesevergnügen nach einer wahren Begebenheit, das blendend unterhält und leise, aber eindringlich, gegen die Sinnlosigkeit des Kriegsführens appelliert. Ein literarisches Kleinod, das ein großes Lesepublikum verdient hat.
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