Cover des Buches Hotel Laguna (ISBN: 9783462051162)
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Rezension zu Hotel Laguna von Alexander Gorkow

Mallorca Anno 1967 und 2015

von Buecherschmaus vor 6 Jahren

Rezension

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Buecherschmausvor 6 Jahren
„Tourismus“ ist mittlerweile ein fast schon negativ besetztes Wort, besonders wenn es mit dem Präfix „Massen“ daherkommt. Dabei war es nach dem Zweiten Weltkrieg die Erfüllung der großen Sehnsucht so vieler Deutschen, sich mit dem eigenen kleinen Auto oder, je nach Geldbeutel, mit dem Flugzeug, gen Süden zu bewegen, hin zur Sonne, zur Wärme, aber auch zu mehr Leichtigkeit und Lässigkeit im Umgang mit dem Leben. Fort von den Mühen und Sorgen des Wirtschaftswunders, raus aus dem „grauen Alltag“. Auch heute noch zählen, bei allen Veränderungen beim Reisen, die „schönsten Wochen des Jahres“ für viele Menschen zu den unverzichtbarsten Dingen im Leben.
Diese Veränderungen sind ein Thema in Alexander Gorkows Buch „Hotel Laguna. Meine Familie am Strand“. Gorkows Familie, Vater, Mutter, die sieben Jahre ältere Schwester mit dem Herzfehler und der kleine Alexander, das „süße“ Kind, das es aber auch ganz faustdick hinter den Ohren haben konnte, sind in Meerbusch-Büderich beheimatet. Zusammen mit einigen anderen gut- und bildungsbürgerlichen Familien leben sie dort recht behaglich in einer Gartenwohnung, man isst gut, trinkt reichlich, raucht noch viel mehr und hört leidenschaftlich Musik, gerne auch modernen Jazz, den man sich von Stammplattenladen liefern lässt. Wäre da nicht der Flughafen Düsseldorf, der seine Einflugschneise direkt über das Haus der Gorkows führt. Ein Umstand, der zwar bei keinem der Anwohner den Gedanken am Umzug aufkommen lässt, aber so manches Gespräch unterbricht und auch prima als Grund dient, warum so mancher dort „nicht alle Tassen im Schrank hat.“
„Die üblichen Lärmintervalle waren klar ausschlaggebend für einige schwere Neurosen und Maotten in meiner Familie, mindestens war die Einflugschneise ein besonders fruchtbares Gelände, um schon vorhandene neurotische Anlagen zu kultivieren. so wird die unter Mitteilungsbedürftigen schon normale sorge, nicht ausreichend zu Wort zu kommen, zu einer manifesten Angstneurose. In den bis zu dreiundfünfzig Jahren, die meine Familienmitglieder in der Gartenwohnung der Dietrich-Bonhoeffer-Straße Nummer 1verbrachten, fiel sehr oft der Satz: „Ich möchte bitte ausreden“, gerne auch sogleich im ersten Anlauf durch die gereizte Zufügung: „Ich möchte bitte ausreden dürfen.“ Bevor das nächste Flugzeug kam, musste, was gesagt werden musste, gesagt sein.“
Vielleicht ist die etwas unentspannte Wohnlage auch ein Grund, weswegen es die Familie immer wieder in die Ferne zieht. Wahrscheinlich ist es aber eher die Sehnsucht nach dem Süden, nach dem anderen, dem leichteren Lebensgefühl, das die Eltern lockt. Nach Frankreich, nach Italien und dann immer wieder nach Canyamel auf Mallorca. Die Traumata der Kriegsjahre lasten immer noch schwer auf den Eltern, andererseits sind sie wild entschlossen, die schönen Seiten des Lebens auszukosten.
„Schon früh solidarisiere ich mich mit den kriegsbedingten Traumata meiner Eltern, ich esse alles, was ich sehe und bis mir schlecht ist, weil es vielleicht morgen nichts mehr zu essen gibt, ich tanze, sobald wer Musik auflegt, wer weiß, ob es morgen noch Musik gibt, ich liebe Helligkeit und Raum, Dunkelheit und Enge lehne ich ab.“ „
Und so geht es in einer engen Caravelle Jahr für Jahr in den kleinen Badeort an der Nordostküste Mallorcas. Damals war das Hotel Laguna, Sehnsuchtsort der Mutter, noch fest in Schweizer Hand, man selbst residierte in der kleineren „Mi vaca y yo“.
Anders heute in unserer globalisierten Gegenwart. 2015 reist Alexander Gorkow für drei Monate „Sabbatical“, er konnte seinen Verleger von der Idee eines Erinnerungsbuchs überzeugen, in eben jenes Hotel Laguna direkt an der Playa de Canyamel.
Das Buch ist keine Autobiografie und erst recht kein Roman. Eher mit seinem journalistischen Handwerkszeug geht Gorkow daran, von seinen Erinnerungen an die Familienurlaube, an seine Familie, die vor einigen Jahren verstorbene Schwester und vor allem den toten Vater zu erzählen. Dabei entsteht ein wirklich rührendes Porträt eines sicher auch nicht immer einfachen Mannes, des „Chefs“, der auch im Urlaub täglich mit der Firma telefoniert, hitzige Debatten mit der politisch links stehenden, pubertierenden Tochter führt und gutes Benehmen fordert, gerade in „Ländern, die man eben noch überfallen hatte.“
Dieses gute Benehmen ist etwas, das Alexander Gorkow bei den meisten heutigen Urlaubern vermisst. Denn neben den Erinnerungen ist sein Bericht eine meist bittere Bestandsaufnahme der Veränderungen, die die Urlaubsinsel Mallorca, der Tourismus und generell die Menschheit so erfahren haben seit jenen Kinderjahren.
Vieles ist davon zutreffend, manches auch brüllend komisch. Besonders wenn man selbst zu den Urlaubern der späten Sechziger und Siebziger Jahre gehört hat. Ich war zufälligerweise im selben Jahr wie Alexander Gorkow das erste (und leider einzige Mal) auf Mallorca, 1967. Ich war zwei Jahre alt, habe natürlich daran keine Erinnerung mehr und merkwürdigerweise gibt es nur ein einziges Foto von mir auf der Treppe zum Flugzeug. Viele der witzigen Episoden erkenne ich aber wieder von den zehn folgenden Urlauben auf dem spanischen Festland, die ich dort mit meiner Familie verbrachte. Das trifft der Autor wunderbar und hat mich nicht nur oft zum Lachen, sondern auch zu manch leicht rührseligen Erinnerung gebracht.
Insgesamt ist der Rückblick sehr nostalgisch. Einiges wird naturgemäß verklärt. Ob es beispielsweise ein Ausdruck von Freiheit war, mit seinem des Schwimmens nicht mächtigen Kind auf dem Rücken weit ins Meer hinauszuschwimmen (was interessanterweise mein Vater mit mir auch gemacht hat, ich war aber schon mit Schwimmflügeln einigermaßen gesichert) ist zumindest fraglich. Gorkow macht auch recht deutlich, was ihm am heutigen Urlauben nicht gefällt. Seine Verachtung verteilt er dabei recht großzügig über Luxushotels wie über Ballermann-Touristen, über Smartphones nutzende Familien wie über Onlinebucher.
Meiner Meinung nach vergisst er nur manchmal, dass er sich zeitweise gar nicht so anders verhält. Was unterscheidet den besoffenen Urlauber Gorkow groß von den Feierwütigen in Cala Ratjada, was den wegen Flugverspätung einen Aufstand anzettelnden Autor von den ihren Missmut ausgießenden Bewertungsportalnutzern?
Etwas weniger Selbstgerechtigkeit und Häme hätte dem ansonsten sehr amüsant zu lesenden Buch gut getan. Ein zärtliches, rührendes Porträt für seine Familie und allen voran den Vater ist es aber dennoch geworden.
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