„Fremd im eigenen Land“ – „Wo wart ihr an Silvester?“ – „Umvolkung“:
Pünktlich mit dem Ansteigen von Vertriebenen aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak und Afghanistan, die in Europa Schutz suchten, wurde 2015 auch der Wortschatz der deutschen Sprache um einige längst vergessen geglaubte Phrasen „bereichert“. Systematisch haben sich völkische Ideologien, Verschwörungstheorien (Stichwort: „großer Austausch“) und Hassbotschaften in den Diskurs eingegraben und alle Empörung darüber scheint ihnen nur noch mehr Aufwind zu verleihen. Über Geflüchtete (ach was, eigentlich über fast alle Migrant*innen) kann anscheinend nur noch in einer problematisierten, generalisierten und mehr oder weniger offen rassistischen Art und Weise gedacht und gesprochen werden. Die viel bejammerten „Denkverbote“ können wir allen Mimimis zum Trotz nicht erkennen und auch der guten alten Nazikeule geht langsam aber sicher die Luft aus. Die Gegenseite hat nämlich aufgerüstet: mit fake news, manipulierten Kriminalstatistiken, neofaschistischer Literatur und einer großen Horde Trollen. „Flüchtlingswelle“ – „Masseneinwanderung“ – „Islamisierung“ sind längst Befürchtungen breiter Bevölkerungsschichten geworden, die unhinterfragt angenommen werden, mit der Folge, dass sich weite Kreise der Gesellschaft zunehmend von Migrant*innen abkapseln (etwa in gentrifizierten Wohnvierteln, Privatschulen und videoüberwachten Shoppingcentern) und ihnen letztlich die Solidarität entziehen und die Integration verweigern.
In den Armen des Flüchtlings ist eine Antwort auf diese dramatischen gesellschaftlichen Entwicklungen und Diskursverschiebungen in Form einer literarisch verfassten Analyse. Liebe statt Hass wäre ein Motto, das sich anbringen ließe. Mit überzogenem, fast unerträglichem Kitsch, eine aus dem Repertoire des Adels-, Heimat-, Familien-, und Schicksalsroman synthetisierte Geheimwaffe, um die Sprache zurückzuerobern, die durch rechtspopulistische Gruppierungen geraubt wurde. AdF greift auf subtile Art die Symbolik des Diskurses auf: die Stereotypik (schmutzige, untätige, übergriffige Araber), die Knotenpunkte und Kampftermini des Diskurses (Köln, neue Smartphones, den Praterstern) und absolut jede abgedroschene Phrase und dreht sie mit Schmackes durch den Fleischwolf. Komplexe Phänomene wie Flucht, Vertreibung und Migration werden erfrischend neu erzählt und Schrödingers Migrant aus seiner paradoxen Situation geholt – Erwin Schrödinger kommt nebenbei im Buch vor.
Die Story ist schnell erzählt, so platt wie sie ist. Es ist immerhin ein Groschenroman: Studentin Lisa ist ziemlich lost in er großen Stadt Wien, ein unsicheres, überbehütetes Mädel und hat den Herausforderungen des Lebens nicht viel entgegenzusetzen. Am Praterstern lernt sie Aziz, einen attraktiven Geflüchteten kennen, es ist Liebe auf den ersten Blick. Nach einigen Irrungen und Wirrungen (teils selbst verschuldet, teils durch aktives Intrigieren des Umfeldes) nimmt die Liebesgeschichte ihren Lauf. Abgerundet wird das Genre mit einer Sturzflut an zärtlichen Adjektiven und der fast schon schmerzhaften Dominanz extrinsischer Impulse. Es passieren aber auch viele unvorhergesehene Dinge, die nicht typisch für einen Groschenroman sind. Die Irrungen und Wirrungen sind längst nicht so absehbar und ich kann guten Gewissens behaupten, dass das Buch sogar spannend ist, rasant geschrieben und äußerst lustig. Das Tempus des Romans ist radikal gegenwärtig, so spielt sich alles im Oktober 2017 ab und es wird auf aktuelle Begebenheiten, wie das Inkrafttreten des Verhüllungsverbots in Österreich, Bezug genommen.
Flüchtling Aziz nimmt nicht nur Studentin Lisa in die Arme, sondern auch sämtliche Vertreter neurechter Gruppierungen. Vor allem die Identitäre Bewegung nimmt er sich liebevoll an. Sanft streichelt er deren schizophrenes Frauenbild zu Tode, bettet sie unter Liebkosungen in das Schaumbad ihrer eigenen Wiedersprüche und zieht ihnen zuerst die weiße Weste aus und dann das braune Hemd.
Der Klappentext sagt „Wenn dieses Buch deine Gefühle verletzte, hast du deine Heimat nicht verdient“: In den Armen des Flüchtlings ist eine Reform des Heimatbegriffs, ein patriotischer Anschlag auf die Tränendrüsen selbsternannter Patrioten. Es ist eine kritische Absage an völkische Deutsch- und Heimattümelei, die in der neoliberalen Konsumgesellschaft über die käufliche Verfügbarkeit auch wieder salonfähig geworden ist. Selbstverständlich aber nur für diejenigen, deren Blut nicht auf den falschen Boden tropft. AdF schwingt (un-)versöhnlich die Keule der Liebe, ausgezogen um die umkämpfte Heimat aus den Fängen des rechten Hegemons zu befreien. Denn Heimat ist ein Menschenrecht.
Das Problem ist einzig, dass das Buch nich auf Amazon erhältlich ist, sondern aus der Schweiz bestellt werden muss.